Neu im Kino

Filmstarts der Woche: Von „Aus meiner Haut“ bis „Pacifiction“

Satte dreizehn Filme gibt es diese Woche zur Auswahl. Man müsste also jeden Tag zwei schauen, um die bis kommenden Donnerstag alle durchzukriegen, wenn die nächste Ladung kommt. Wir schaffen ein bisschen Überblick, es gibt viel Sehenswertes: „Aus meiner Haut“, ein deutsches Beziehungsdrama mit spannender Pointe; oder Albert Serras großartiger Südsee-Alptraum „Pacifiction“; oder Helena Wittmanns Mittelmeer-Trip „Human Flowers of Flesh“. Die Filmstarts der Woche im tipBerlin-Überblick

Aus meiner Haut

„Aus meiner Haut“ von Alex Schaad. Foto: X-Verleih

DRAMA Auf einer abgeschiedenen Insel kommen Paare zusammen, um ihre Körper für zwei Wochen mit anderen Paaren zu tauschen, nach dem Zufallsprinzip. Beherbergt und begleitet wird das fantastische Ritual von einer jungen Frau, die Stella heißt und von Edgar Selge gespielt wird. So weit, so abwegig. Leyla (Mala Emde) und Tristan (Jonas Dassler) sind eins der Paare, die sich auf der Insel einfinden. Von diesen beiden handelt der Film, von ihren Körpern und mehr noch von dem Geist, der diese Körper bewohnt. Leyla leidet schon lange an einer Depression und darf, so will es der Zufall, ausgerechnet mit der extrovertierten, leger daher kommenden Fabienne (Maryam Zaree) tauschen.

Haarige Sache: „Aus meiner Haut“ mit Jonas Dassler

Der androgyne, schüchterne Tristan, der neben Leyla auch in seine Gitarre vernarrt ist, wacht auf in der haarigen Gestalt des machohaften, kunst- und kulturfernen Angebers Mo (dargestellt von Dimitrij Schaad, der zusammen mit seinem Bruder das Drehbuch geschrieben hat). Leyla ist Fabienne, Tristan ist Mo – da hat der Film die Zuschauerin schon fest im Griff. „Aus meiner Haut“ erspart sich den Genderdiskurs und erzählt auf eine zutiefst menschliche Art viel über Körpergedächtnis, Depression und das Glück, endlich bei sich zu sein, wenn auch im Körper einer oder eines Anderen. Olga Baruk

D 2022; 103 Min.; R: Alex Schade; D: Mala Emde, Jonas Dassler, Edgar Selge; Kinostart: 2.2.

Concerned Citizen

„Concerned Citizen“ von Idan Haguel. Foto: Salzgeber

DRAMA Ben und Raz sind ein Paar in Tel Aviv. Sie haben eine schöne Wohnung in einer spannenden Gegend, sie suchen gerade nach einer Leihmutter, um eine Familie zu gründen. Alles ist auf Zukunft und Dauer angelegt, aber Ben verliert ausgerechnet jetzt zunehmend seine innere Ruhe. Alles beginnt damit, dass er um einen Baum bangt, der in seiner Straße gerade wächst – noch ganz dünn, und bedroht durch junge Männer, die sich unbedacht dagegenlehnen. Dass die Männer dunkelhäutig sind, und dass die Polizei einen von ihnen schlimm misshandelt, bringt Ben weiter aus dem Gleichgewicht.

Idan Haguel führt in „Concerned Citizen“ verschiedene Krisensymptome im modernen Israel zusammen: die Diskrepanz zwischen den „europäischen“ Juden und den „afrikanischen“ Zuwanderern, die Gentrifizierung, die Selbstzweifel eines liberalen Bürgers, der sich seines Ortes in der Gesellschaft und im Staat nicht mehr sicher ist. Bert Rebhandl

Israel 2022; 82 Min.; R: Idan Haguel; D: Shlomi Bertonov, Ariel Wolf; Kinostart: 2.2.

Daniel Richter

„Daniel Richter“ von Pepe Danquart. Foto: Weltkino

PORTRÄT Daniel Richter ist einer der erfolgreichsten deutschen Maler der Gegenwart. Mit dem Porträtfilm, den ihm Pepe Danquart gewidmet hat, möchte er auch herausfinden, „wie man selber funktioniert“, es soll also „nicht nur Eitelkeit“ eine Rolle spielen. Richter ist selbst mit Abstand sein bester Interpret, sein Freund und Kollege Jonathan Meese zeigt sich regelrecht begeistert davon, dass da einer immer wieder so richtig „ablabert“.

Danquart konzentriert sich sehr stark auf Richter in seinem Atelier, wo er sonst nur bunte Vögel als Gesellschaft hat, Papageien sitzen ihm beim Malen gern auf den Schultern. Man kann sehr gut sehen, wie Bilder entstehen. Weniger plastisch wird der Betrieb, in dem Richter ein Teil ist. Zwar bekommt man alle wesentlichen Beteiligten zu sehen (die Galeristin, den Sammler, den Auktionsfuzzi, die Interpretin), aber auf dieser Ebene bleibt der Film weitgehend die übliche Folklore. Bert Rebhandl

D 2022; 117 Min.; R: Pepe Danquart; Kinostart: 2.2.

Die Frau im Nebel

„Die Frau im Nebel“ von Park Chan-wook. Foto: Plaion

THRILLER Der Kriminalpolizist Hae-Jun schläft schlecht. Das hat auch damit zu tun, dass er einen Fall bearbeitet, in den einen schöne Frau verwickelt ist. Sie könnte gut und gern die Täterin sein, aber Hae-Jun ist schon ein bisschen befangen. Oder hingerissen. Dazu kommt die Frage, ob überhaupt ein Fall vorliegt. Ein Mann ist von einem markanten Berg in der Nähe der südkoreanischen Stadt Busan gestürzt. Vielleicht hatte er einfach einen Unfall. Vielleicht aber hat seine Frau auf die allerraffinierteste Weise ein Alibi für sich gebastelt, und hat den Mann, der deutlich älter ist als sie, in den Tod geschubst.

Park Chan-wook, einer der bedeutendsten Regisseure im koreanischen Kino („Oldboy“, „Die Taschendiebin“), hat sich mit „Die Frau im Nebel“ („Decision to Leave“) viel vorgenommen: einen lupenreinen Film Noir. In diesem Genre des „Schwarzen Films“ gehört es zu den wichtigsten Qualitäten, dass die Situation auf eine faszinierende Weise unübersichtlich ist. Und auch der Typus der Femme Fatale gehört hierher. Seo-Rae, die weibliche Hauptfigur in „Decision to Leave“, ist eine fernöstliche Variante dieser „tödlichen Frau“, in der inneren Logik von „Die Frau im Nebel“ ist dabei auch noch bedeutsam, dass sie aus China zugewandert ist. Sie ist also auch für Hae-Jun exotisch, für das westliche Kinopublikum ist sie das sowieso.

Das koreanische Kino hatte zuletzt durch den Oscar-Triumph für „Parasite“ von Bong Joon-ho neue Aufmerksamkeit gefunden, die wichtigsten Titel kamen aber ohnehin meistens auch in Deutschland in den Verleih. „Die Frau im Nebel“ lohnt sich schon allein aufgrund der großen formalen Qualitäten: Park Chan-wook ist ein Stilist, er schafft immer großartige, atmosphärische Momente. Zugleich zählt es zu den Erfordernissen der Form, einen möglichst komplizierten Fall vorzulegen, womöglich eine Geschichte, in der sich die Motive dauernd verdoppeln und jede Lösung zugleich neue Fragen aufwirft. Hae-Jun könnte eigentlich ein ruhiges Leben mit seiner Frau haben, sie ziehen eigens in einen ruhigen Ort außerhalb der Stadt, aber die Obsessionen verfolgen ihn auch bis in die Abgeschiedenheit. „Die Frau im Nebel“ steigert sich so schrittweise bis zu einem Finale, das an Pathos wenig zu wünschen übrig lässt. Bert Rebhandl

Süd-Korea 2022; 138 Min.; R: Par Chan-wook; D: Wei Tang, Hae-il Park, Go Kyung-pyo; Kinostart: 2.2.

Ein Mann namens Otto

„Ein Mann namens Otto“ von Marc Forster. Foto: Sony

Vor ein paar Jahren hat Tom Hanks in Marielle Hellers „Der wunderbare Mr. Rogers“ den immer und unter allen Umständen bedingungslos gut gelaunten Titelhelden verkörpert, eine Institution des US-amerikanischen Kinderfernsehens, dessen Sendung mit dem Song „Won’t you be my neighbour?“ begann. In Marc Forsters „A Man Called Otto“ lässt er nun sozusagen die Gegenfigur folgen: Otto ist der Albtraum einer jeden Nachbarschaft, ein griesgrämiger Blockwart, der Falschparker denunziert, auf Ordnung und Sauberkeit pocht, keinerlei Humor hat und Empathie noch nicht mal vom Hörensagen kennt. Jedenfalls sieht es zunächst danach aus. Doch dann zieht Marisol mit ihrer Familie lautstark ins Haus gegenüber, und vorbei ist es mit der Ruhe, die der Menschenfeind in der Zurückweisung der Welt zu finden vermeint.

Sturheit ist heilbar: „Ein Mann wie Otto“ mit Tom Hanks

Regisseur Forster adaptiert hier den 2012 erschienenen schwedischen Bestsellerroman „En man som heter Ove“ von Fredrik Backman, der 2015 bereits unter gleichem Titel von Hannes Holm mit Rolf Lassgård in der Titelrolle verfilmt worden ist. Und Hanks – immer eine sichere Bank, wenn es darum geht, größtmögliche unspektakuläre Normalität mit größtmöglicher charakterlicher Komplexität zu verbinden, ohne dass das störend auffällt – ist als Otto ideal besetzt. Freilich kann auch er nichts daran ändern, dass das Ausgangsmaterial weniger zur Welt- als vielmehr zur Unterhaltungsliteratur zu zählen ist. Doch obzwar sich der melodramatische Kern der Geschichte als Andockstelle für hollywoodtypische Rührseligkeiten aller Art durchaus eignet, bleiben die Beteiligten stur wie Otto dem Boden verhaftet und beharren auf der Relevanz des Themas: Auf gute Nachbarschaft – und die Freundschaft, die aus ihr entstehen mag! Alexandra Seitz

USA 2022; 126 Min.; R: Marc Forster; D: Tom Hanks, Mariana Treviño, Truman Hanks; Kinostart: 2.2.

Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht

„Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht“ von Isabel Gathof, Sabine Lamby, Cornelia Partmann. Foto: Realfiction

DOKU Er ist eine Legende: Fritz Bauer, streitbarer hessischer Generalstaatsanwalt und der erste, der in Deutschland Nazis für ihre Untaten anklagte. Spielfilme wie „Der Staat gegen Fritz Bauer“ schildern sein Tun. Allerdings hatte Bauer wie auch spätere Ankläger ein folgenreiches Problem: Er sollte bei jedem einzelnen Nazischergen eine ganz konkrete Tat nachweisen, was oft nicht möglich war – es kam zu vielen Freisprüchen aus Mangel an Beweisen. Die pauschale Beteiligung am SS-Tötungsapparat in den Konzentrationslagern war nicht ausreichend.

Die drei Dokumentarfilmerinnen Sabine Lamby, Cornelia Partmann und Isabel Gathof haben sich in ihrem aufwändig recherchierten Film „Fritz Bauers Erbe“ nun vor allem jenen Prozessen etwa zu Tätern im KZ Stutthof angenommen, die in den vergangenen Jahren stattfanden, immer mit hoch betagten Angeklagten. Wenn man dann ebenfalls greisen Holocaustüberlebenden wie Judy Meisel oder Roza Bloch zuhört, wie sie von den unfassbaren Gräueltaten erzählen und auf ein Urteil hoffen, dann wird klar, wie wichtig solche Prozesse auch heute noch sind: um jenen Menschen Gehör zu verschaffen und gegen das Vergessen anzukämpfen.

Zu Wort kommen hier vor allem Jurist:innen und Expert:innen, aber auch Angehörige der Überlebenden. Und es werden noch zwei Umstände deutlich: zum einen, wie wichtig Archive wie die „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ in Ludwigsburg sind. Zum anderen das große Versagen der bundesdeutschen Justiz in den vergangenen mindestens 50 Jahren. Mit Ausnahmen wie beim Vorreiter Fritz Bauer. Wie es der Untertitel des Films sagt: „Gerechtigkeit verjährt nicht“. Martin Schwarz

D 2021; 98 Min.; R: Isabel Gathof, Sabine Lamby, Cornelia Partmann; Kinostart: 2.2.

Human Flowers of Flesh

„Human Flowers of Flesh“ von Helena Wittmann. Foto: Grandfilm

FILMKUNST Portugal, Brasilien, Deutschland, Tschechische Republik, Algerien, Griechenland: Die Männer auf dem Boot „Don du Vent“ („Geschenk des Windes“) kommen aus allen Teilen der Welt. Ida, die einzige Frau auf dem Boot, gibt an einer Stelle eine Liste mit Ländern an einen Mann, der nicht so sehr von einem anderen Ort stammt, sondern aus einer anderen Welt: Sein Name ist Galoup, er wird von dem französischen Star Denis Lavant gespielt, bekannt aus „Die Liebenden vom Pont-Neuf“.

Magische Atmosphäre: „Human Flowers of Flesh“

Im Zusammenhang von Helena Wittmanns „Human Flowers of Flesh“ aber stellt Lavant eine andere Anspielung dar: Sie bezieht sich damit auf „Beau Travail“ von Claire Denis, einen großen, rätselhaften Film über post- oder spätkoloniale Männlichkeit, mit einer Brigade von Legionären in Ostafrika.

Ida führt eine Expedition über das Mittelmeer nach Afrika. Die Fremdenlegion spielt in irgendeiner Weise eine wichtige Rolle, aber der Erzählfaden bleibt dünn, und das ist so gewollt. In seiner Essenz ist dieser Film eine fast abstrakte, fantastisch fotografierte Schichtung von elementaren Erfahrungen auf See und mit dem Meer, dazu ein spannender Versuch, historische Spuren in einer Landschaft zu finden, die ebenso sehr an antiken Mythen denken lässt wie an Cinephilie, an die Moderne und an ihre Überwindungen in einer magischen, mediterranen Transzendenz. Bert Rebhandl

D 2022; 106 Min.; R: Helena Wittman; D: Angeliki Papoulia, Ferhat Mouhali, Gustavo de Mattos Jahn; Kinostart: 2.2.

Pacifiction

„Pacifiction“ von Albert Serra. Foto: Filmgalerie 451

FILMKUNST Ein französischer Diplomat namens De Roller (Benoît Magimel) vertritt als Hochkommissar seine Republik auf Tahiti. Unter anderem soll er die Voraussetzungen für die Errichtung eines Casinos scha fen, von dem er sich Steuer- einnahmen verspricht. Bei einer Sitzung lässt er geduldig eine längere, nicht untertitelte Stellungnahme in der knackenden Landessprache eines stark bemalten Mannes mit imposantem Zahnwerk (Tigerhai?) an seiner Halskette über sich ergehen.

Zu den Aufgaben von De Roller gehört es auch, viel im Paradise Night herumzuhängen, einem Club, in dem eine stark queere Atmosphäre herrscht, wie das halt so ist, wenn das männliche Personal nur weiße Unterhosen trägt, und ein Ladyboy die auffallendste Erscheinung ist. Zugleich ziehen die Europäer ihr typisches Ding ab: große Politik von weither betrifft auch Tahiti, ein Admiral labert die ganze Zeit von Atomwaffenversuchen, und schart auch eine seltsame Elitetruppe um sich. Geheimdienst ist der Brotberuf der Wirtschaftsvertreter in der kolonialen Welt.

Großartig, wie Serra dabei einen ganz eigenen, maritim-südhemisphärischen Surrealismus entwickelt. Einmal lässt sich De Roller ein wenig hinaus auf das Meer, zu den Wellen, schippern, und dieses Schau- keln auf einer Schaumkrone ist vielleicht das schönste Bild für den Geist dieses ungewöhnlichen Films, der auch mit fast drei Stunden nie fad wird, wenn man einmal in den Groove des tahitischen Dschungels verfallen ist. Bert Rebhandl

F 2022; 163 Min.; R: Albert Serra; D: Benoît Magimel, Sergi Lopez, Pahoa Maha- gafanau; Kinostart: 2.2.

Plane

„Plane“ von Jean-Francois Richet. Foto: Leonine

ACTION Der Schotte Brodie Terrance ist kein gewöhnlicher Linienflug-Kapitän. Er zeichnet sich durch ein übermäßig entwickeltes Verantwortungsbewußtsein aus, verliert auch in lebensgefährlichen Situationen nicht die Nerven, ringt renitente Passagiere auch schon mal im Schwitzkasten nieder und bricht einem Schurken mit bloßen Armen das Genick. Der charismatische Hauptdarsteller Gerard Butler nimmt einen durch sein sympathisches Aussehen und menschlich glaubhaftes, souveränes Auftreten – mal entschlossen zupackend, mal emotional verletzlich – von Filmbeginn an für sich ein. Sein muskelbepackter Filmpartner Mike Colter, bekannt als Titelheld der Marvel-TV-Serie „Luke Cage“, beeindruckt allein schon durch seine physische Präsenz. Er spielt einen unter Mordanklage stehenden ehemaligen Fremdenlegionär, der Terrance mit seiner Kampferfahrung beisteht in dessen Bemühen, vierzehn Flugpassagiere aus der Gewalt von  Geiselnehmern zu befreien, nachdem der Pilot in Folge eines Blitzeinschlages auf der südphilippinischen Insel Jolo notlanden mußte. (Gedreht wurde in Puerto Rico.)

„Plane“ bietet schnörkellos und spannend inszeniertes Action-Entertainment mit solide strukturierter Handlung, schnitttechnisch kohärent montierten, furiosen Feuergefechten, sowie knallharten Keilereien. Der zweiminütige Kampf zwischen Torrence und einem Terroristen wurde freihändig in einer Einstellung gefilmt. Kameramann Brendan Galvin konnte seine Erfahrungen beim Dreh von „Rambo: Last Blood“ (2019) einbringen. Szenen im Flugzeug hatte er schon bei der 2004er Neuverfilmung des Klassikers „Der Flug des Phoenix“ (1965) fotografiert. Ralph Umard

USA 2023, 107 Min.; R: Jean-Francois Richet; D: Gerard Butler, Mike Colter, Yoson An; Kinostart: 2.2.

Step by Step

„Step by Step“ von Felix Starck. Foto: Koryphäen

DOKU Mitten in der Pandemie aus dem grauen Berliner Lockdown-Winter ausbrechen und sich auf Mallorca ein neues Leben aufbauen, das klingt für so manchen Großstädter ziemlich verlockend. Für Felix Starck und Valentina Blaumann ist es ein konkreter Plan, den die beiden Wahl-Berliner auch recht zügig umsetzen. Erwachsen ist ihre Idee aus dem Wunsch, inmitten von Krisen wie Klimakatastrophe und Covid ein unabhängiges Leben zu führen, sich selbst versorgen zu können, konkret: eine kleine Landwirtschaft mit Gemüse- und Obstanbau aufzubauen, im besten Fall nachhaltig und sogar klimaneutral. Auslöser, den idealistischen Plan in die Tat umzusetzen, ist die Schwangerschaft von Valentina, die die beiden zukünftigen Eltern vor die Frage stellt, wie und in welcher Welt sie ihr Kind großziehen wollen.

Es werden also Kisten gepackt und ein Haus mit einem Stück Land auf der sonnigen Mittelmeerinsel gemietet, es folgt ein Mix aus tatkräftigem Versuch und Irrtum sowie ausgiebigen Studien des Ackerbaus auf Youtube. Von hartnäckigem Boden über streikende Gerätschaften und nicht gedeihende Setzlinge bis hin zum Rauswurf aus dem neuen Heim erleben die frischgebackenen Farmer eine ganze Bandbreite an Rückschlägen. Doch so naiv die Berliner Auswanderer oftmals sind, so optimistisch sind sie auch und lernen mit jeder Niederlage dazu, step by step eben, Schritt für Schritt. Felix Starck hat nach „Pedal the World“ und „Expedition Happiness” nun zum dritten Mal ein Abenteuer aus dem eigenen Leben filmisch verpackt; wie die beiden Vorgänger ist auch „Step by Step“ dadurch sehr authentisch und kurzweilig; leider aber auch ganz schön vorhersehbar. Paula Schöber

D 2022; 95 Min.; R: Felix Starck, D: Felix Starck, Valentina Blaumann; Kinostart: 2.2.

The Lost Souls of Syria

„The Lost Souls of Syria“ von Stéphane Malterre, Garance Le Caisne. Foto: Filmsthatmatter

DOKU 2014 schmuggelte ein ehemaliger Fotograf der syrischen Militärpolizei siebenundzwanzigtausend (in Zahlen: 27.000) Fotos von Ermordeten und Gefolterten aus dem Land; sie werden unter dem Decknamen des Whistleblowers als „Caesar-Akten“ bekannt. Entsetzen und Empörung waren groß, doch der Versuch der Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, dem Internationalen Strafgerichtshof die Verfolgung des Assad-Regimes zu ermöglichen, scheiterte wenig überraschend an den Vetos von Russland und China.

Stéphane Malterre dokumentiert in „The Lost Souls of Syria“ anhand einiger Einzelschicksale die Bemühungen, die seither von NGOs mit der Hilfe von Menschenrechtsanwält:innen in Spanien, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und Deutschland unternommen werden, auf zivilrechtlichem Wege mehr als nur das übliche bedauernde Kopfschütteln zu erreichen.

Formal wird dabei kein Neuland betreten und bleibt die visuelle Strategie innerhalb eines konventionellen Darstellungsrahmens; die jeweiligen Hintergründe der einzelnen Fälle werden gleichfalls nicht immer richtig klar; das dürfte allerdings dem Umstand geschuldet sein, dass die Beteiligten vor Assads langem Arm geschützt werden müssen. Mit den Fotos muss man es freilich aufnehmen – und würde dann so gerne dem Filmtitel widersprechen und sagen, dass die darauf Abgebildeten nicht verloren sind. Das wäre aber eine Lüge. Alexandra Seitz

F/D 2022; 99 Min.; R: Stéphane Malterre, Fachberatung: Garance Le Caisne; Kinostart: 2.2.

Wann kommst du meine Wunden küssen?

„Wann kommst du meine Wunden küssen?“ von Hanna Doose. Foto: MFA+

DRAMA Die 1976 geborene Hanna Doose („Staub auf unseren Herzen“, 2008) hat ein Faible für das improvisierte Drama. Dabei sollen die Schauspieler eigene Erfahrungen in Dialog und Spiel einbringen. Und so etwas klappt nur mit einem außerordentlichen Ensemble wie in „Wann kommst du meine Wunden küssen“. Bibiana Beglau spielt Maria, eine wenig erfolgreiche Regisseurin jenseits der 40. Sie kehrt aus Berlin zurück auf jenen abgelegenen Bauernhof im Schwarzwald, auf dem sie mit ihrer Schwester Kathi (Katarina Schröter) aufgewachsen ist. Kathi lebt hier zusammen mit der früheren Schauspielerin Laura (Gina Henkel) und dem DJ Jan (Alexander Fehling). Allmählich wird klar, dass alle vier eine gemeinsam Vergangenheit verbindet, mit künstlerischen und anderen Exzessen in der Großstadt. Und mit vielen ungelösten Konflikten.

Hanna Doose breitet mit den großartigen Darsteller:innen das Innenleben der Figuren schonungslos vor uns aus. Trotz aller Streitereien in der kraftvollen Szenerie wird klar, dass die hadernden Figuren zuerst einmal mit sich selbst ins Reine kommen müssen, mit dem eigenen Lebensentwurf und den Emotionen. Und dass alle dennoch starke, auch positive Gefühle miteinander verbindet. Getragen wird der Film auch von prächtigen Bildern und einem pulsierenden Soundtrack des Elektro-Musikers Kanding Ray. Martin Schwarz

D 2022; 111 Min.; R: Hanna Doose; D: Bibiana Beglau, Alexander Fehling, Gina Henkel, Katarina Schröter; Kinostart: 2.2.

Bulldog

„Bulldog“ von André Szardenings. Foto: missingFILMS

DRAMA Seit zwölf Jahren lebt Bruno mit seiner Mutter Toni auf Ibiza. Sie sind so etwas wie ein Paar, dabei sind sie in Wahrheit Mutter und Sohn. Toni war 15, als sie Bruno bekam, bis heute sind sie eng aufeinander bezogen, eine fast schon problematische Intimität, die sie immer wieder durch Alberheit zu überspielen versuchen. „Ich finde, unser Leben ist schön“, sagt Toni an einer Stelle, und das ist da schon eher ein Wunsch als eine Feststellung, oder auch Schönreden einer prekären Situation. Denn die Jobs in den Hotels sind immer schwieriger zu finden, zumal Toni schon an vielen Orten einmal etwas vermasselt hat.

Traum von der ewigen Jugend: „Bulldog“ von André Szardenings

André Szardening erzählt in „Bulldog“ aus der Perspektive des 21 Jahre alten Bruno davon, wie sich ein junger Mann aus einer ungewöhnlichen Familienkonstellation zu emanzipieren beginnt. Der Traum von einer ewigen Jugend ist konkret ja eher eine Ausrede, irgendwann muss sich jemand den Tatsachen stellen, hier ist es zuerst der Sohn, der sich eines Morgens mit einer Rivalin konfrontiert sieht, die aber auch seine Verbündete werden könnten. Plausibel erzähltes Psychodrama vor zwischensaisonaler Urlaubskulisse. Bert Rebhandl

D 2022; 95 Min.; R: André Szardenings; D: Julius Nitschkoff, Lana Cooper, Karin Hanczewski; Kinostart: 2.2.

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Die Berlinale steht vor der Tür: Wir sorgen schon einmal für Stimmung mit den lustigsten Fotos vom Roten Teppich. Das Sinema Transtopia hat wieder geöffnet – wir stellen diese wichtige Berliner Kinoinstitution vor. Die Filmstarts der Vorwoche findet ihr hier. Unser bisheriger Lieblingsfilm 2023 ist „Unruh“ von Cyril Schäublin – mit dem Regisseur haben wir ausführlich gesprochen. Täglich aktuell auf tipBerlin-Online: Das Kinoprogramm in Berlin.

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