Neu im Kino

Filmstarts der Woche: Von „Nightmare Alley“ bis „Charlatan“

Ein neuer Film von Guillermo del Toro sorgt immer für Spannung: Dieses Mal hat der mexikanische Regisseur („Pacific Rim“) sich eine klassische Thriller-Schauergeschichte aus dem alten Hollywood vorgenommen. In „Nightmare Alley“ glänzen Bradley Cooper und Cate Blanchett. Außerdem startet „Charlatan“ von Agnieszka Holland, das Psychogramm eines frühen Querdenkers; die deutsche Produktion „Niemand ist bei der Kälbern“ hat die wunderbare Saskia Rosenthal in der Hauptrolle. Diese und weitere Starts im tipBerlin-Überblick.


Nightmare Alley

Cate Blanchett und Bradley Cooper in „Nightmare Alley“ von Guillermo Del Toro. Foto: Disney

THRILLER Stanton Carlisle arbeitet als Hilfskraft auf einem Rummel. Er sieht sich aber zu Größerem bestimmt und schafft auch tatsächlich einen beeindruckenden Aufstieg: In den besten Hotels von Chicago tritt er bald als Wahrsager und Hellseher auf, unterstützt von seiner Assistentin Molly (Rooney Mara), die ihm durch geschickt formulierte Fragen heimlich mitteilt, was die Menschen im Publikum auf die Karten geschrieben haben, auf denen ihre Anliegen eingesammelt werden. Stanton ist aus einer Welt der billigen Sensationen in die Elite einer Großstadt eingedrungen, er sorgt als „Mentalist“ für Furore und beutet dabei die Nöte der Menschen aus.

Guillermo del Toro hat mit „Nightmare Alley“ einen berühmten Schwarzweißfilm aus dem alten Hollywood neu gemacht: Bei Edmund Goulding im Jahr 1947 spielte Tyrone Power den Stanton Carlisle, nun geht Bradley Cooper die Sache noch ein bisschen radikaler an: in den psychologischen Zerfall einer Figur legt er viel Pathos. Insgesamt folgt das Remake relativ treu der Vorlage, der Unterschied ist in erster Linie ein ästhetischer. Del Toro hat einen prächtigen Film gemacht, er schwelgt in weichen Farbtönen und in Dekors, die so tun, als wäre das Hollywood-Studiokino der 1940er-Jahre quicklebendig. Besonders spannend wird die Geschichte, als Stanton auf die Psychoanalytikerin Lilith Ritter trifft (großartig wie fast immer: Cate Blanchett). „Nightmare Alley“ ist ein Stück Kinonostalgie, das sich am besten auf einer großen Leinwand genießen lässt. Bert Rebhandl

USA 2021; 150 Min.; R: Guillermo del Toro; D: Bradley Cooper, Cate Blanchett, Rooney Mara; Kinostart: 20.1.


Charlatan

„Charlatan“ von Agnieszka Holland. Foto: Cinemien

DRAMA Wunderheiler, Scharlatan, profitgieriger Opportunist, Katholik, versteckter Homosexueller und Rebell gegen die Gleichmacherei des Kommunismus – die reale Figur des tschechischen Naturheilkundlers Jan Mikolášek war eine schillernde Persönlichkeit, ebenso verehrt wie umstritten. Ohne ärztliche Approbation praktizierte er unter der deutschen Besatzung wie unter den Kommunisten und behandelte täglich hunderte von Patienten, darunter hochrangige Nazis, den tschechischen Präsidenten Zápotocký und angeblich König George von England. Durch Urindiagnostik erkannte er oft untrüglich das Problem und heilte mit individuellen Kräutermischungen.

Agnieszka Hollands Film erzählt in brillant komponierten Bildern von Mikolášeks Lehre bei einer Heilerin, der heimlichen Beziehung zu seinem Assistenten František und der Bedrohung durch zwei totalitäre Systeme. Was den Film weit über ein durchschnittliches Biopic hinaushebt, ist die Erzählstruktur. Kaum mal linear, in kürzesten Schnipseln und verschachtelten Rückblenden springt der Film durch die Zeiten, entwickelt dabei ein komplexes Psychogramm und dreht gleichzeitig virtuos an den Spannungsschrauben. Dass Holland zuletzt viel für Serien wie „House of Cards“ und „Treme“ gedreht hat, merkt man an dem Tempo, in dem sie mit Perspektivwechseln und Ambivalenzen jongliert. Eindeutig ist nur ihre Sicht auf Mikolášeks Glaubwürdigkeit als Heiler. Seine diagnostische Hellsichtigkeit war eine außergewöhnliche Gabe, an der er auch litt und um deren Grenzen er wusste, soviel stellt der Film klar.

Der tschechische Theaterstar Ivan Trojan und sein Sohn Josef als junger Mikolášek spielen ihn zerrissen, als arrogantes Genie und Masochisten. Mikolášek ist Wohltäter und Egomane, hilft, ohne Geld zu verlangen, aber kennt keinen Respekt für die Gefühle anderer. Als Františeks Frau schwanger wird, bringt das seine dunkelste Seite zum Vorschein. Mikolášeks Homosexualität und die Verbindung zu seinem Assistenten sind nicht belegt. Daraus den emotionalen Kern des Films zu machen, dürfte auch ein Statement gegen das homophobe Klima in Osteuropa sein. Agnieszka Hollands Fokus hat sich erweitert von politischen Themen zu Fragen nach unserem Verhältnis zur Natur. Mikolášek wirkt oft wie ein dunkler Bruder der Heldin aus ihrem Film „Die Spur“ von 2017, die Naturgesetze erforscht und gequälte Tiere rächt. Beide Filme erzählen von einer Verbündung mit der oft gering geschätzten Natur und produktiver Liebe zu ihr. Susanne Stern

CZ/IE/PL/SL 2020; 118 Min; R. Agnieszka Holland; D: Ivan Trojan, Josef Trojan, Juraj Loj, Jaroslava Pokornát; Kinostart: 20.1.


Sing – Die Show deines Lebens

„Sing – Die Show deines Lebens“ von Garth Jennings. Foto: Universal

ANIMATION Buster Moon will hoch hinaus – und das gleich im doppelten Sinne. Der etwas windige, aber liebenswerte Impresario-Koala, immer kurz vor dem Bankrott stehend, der es 2016 im Film „Sing“ schaffte, aus einer bunt zusammengewürfelten Truppe ein Ensemble zu formen und trotz aller Widrigkeiten eine rasante Bühnenshow zu präsentieren, mit der er ein altehrwürdiges Theater vor dem Abriss retten konnte, will diesmal mit seiner tierischen Truppe (Menschen gibt es in beiden Filmen nicht) in der Showmetropole Redshore City auftreten, und zwar mit einem aufwendigen Science-Fiction-Musical.

Dass man sie schon am Eingang des Hochhauses abwimmelt, kann ihn nicht schrecken: hinreißend, wie sich die ganze Truppe in die Overalls der Putzkolonne zwängt und sich so am Empfang vorbeischiebt zum Musikmogul Jimmy Crystal – ein Wolf (dem Wotan Wilke Möhring in der deutschen Fassung eine eindrucksvoll einschüchternde Stimme gibt) mit entsprechendem Charakter. Buster Moon ködert ihn mit dem Versprechen, die Rocklegende Clay Calloway, die sich vor fünfzehn Jahren an einen unbekannten Ort zurückgezogen hat, zu einem Comeback bewegen. Dafür hat er gerade zwei Wochen Zeit – anderenfalls wird Crystal ihn eigenhändig von seinem Hochhaus in die Tiefe werfen.

Standen im Vorgänger die einzelnen Charaktere und ihr beschwerlicher Weg zur Gesangskarriere im Mittelpunkt, so geht es diesmal um die Gemeinsamkeit der  Anstrengungen. Was „Sing – Die Show deines Lebens“ rundum gelungen sein lässt, ist zum einen sein präzises komisches Timing, vor allem aber die Choreografie des Science-Fiction-Musicals, die locker aufwendige Bühnenshows wie „Starlight Express“, „Cats“ oder „Das Phantom der Oper“ in den Schatten stellt. Nach „Trolls World Tour“ beweist auch dieser Animationsfilm, dass Fortsetzungen manchmal die besseren Filme sind. Frank Arnold

USA 2021; 110 Min.; R: Garth Jennings; Dt. Stimmen: Bastian Pastewka, Wotan Wilke Möhring, Katharina Thalbach; Kinostart: 20.1.


In Liebe lassen

„In Liebe lassen“ von Emmanuelle Bercot. Foto: Studiocanal

DRAMA Wenn ein Film über Krebs mit der Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs beginnt, kann es nur ein Ende geben: den Tod. Und so geht es in Emmanuelle Bercots „In Liebe lassen“ auch nicht um die Frage, ob der verhinderte Schauspieler Benjamin (Benoit Magimel) die Diagnose irgendwie doch überlebt, sondern um die Schilderung seines letzten Jahres vor dem unausweichlichen Ende. Anfangs will Benjamin es nicht wahrhaben, sträubt sich, flüchtet in Sarkasmus – bis er langsam seine Situation akzeptiert und sein Leben aufräumt. Viele Baustellen gibt es dort, nicht zuletzt im Verhältnis zu seiner Mutter Crystal (Catherine Deneuve).

Den Schauspielstars Magimel/ Deneuve zuzuschauen sollte der Höhepunkt des Films sein, der allerdings immer wieder durch Bercots Hang zu allzu plakativen, rührseligen Szenen untergraben wird. Viel überzeugender sind dagegen Momente in denen Benjamins Arzt Dr. Eddé im Mittelpunkt steht. Gespielt wird er vom Laien Gabriel Sara, der im echten Leben selbst Onkologe ist, und dessen ungewöhnlichen Methoden in fast dokumentarischer Manier dargestellt werden. Deren Ziel ist es, die Krebs-Patienten, nicht zuletzt aber ihre Angehörige, auf dem Weg vom Leben in den Tod beizustehen, das Unausweichliche erträglicher zu gestalten. Ob dabei das Singen von sentimentalen Songs wie „Nothing Compares 2 U“ oder „Let My People Go“ hilft, sei dahingestellt, doch den einen, richtigen Weg des Loslassen gibt es nicht. Am Ende von „In Liebe lassen“ steht schließlich ein Abschied zwischen Mutter und Sohn, der unweigerlich sentimental ist, aber dank zweier französischer Schauspielgrößen auch unzweifelhaft bewegend. Michael Meyns

F 2021; 122 Min.; R: Emmanuelle Bercot; D: Catherine Deneuve, Benoit Magimel, Cécile de France; Kinostart: 20.1.


Niemand ist bei den Kälbern

„Niemand ist bei den Kälbern“ von Sabrina Sarabi. Foto: Filmwelt

DRAMA Flirrende Sommerhitze, Kuhställe und Fliegen, irgendwo im Nirgendwo in Mecklenburg-Vorpommern. Und mittendrin die 24-jährige Christin, die sich fehl am Platz fühlt und am liebsten abhauen möchte. Sie lebt mit ihrem Freund auf dem Bauernhof seiner Familie, vertreibt sich aber lieber die Zeit mit ihrer besten Freundin beim Feiern und beginnt eine Affäre mit einem älteren Mann. Ab und zu müssen auch noch die Kühe gemolken werden. Über allem liegt erdrückende Langweile wie ein schweres Tuch.

Allerdings fühlt sich so auch das Zuschauen des Films an, dessen sehr dünner Plot bisweilen zusammenhanglos vor sich hin mäandert. Interessante Themen wie Sexismus, Alkoholismus und Rechtsextremismus in den ländlichen Regionen streift „Niemand ist bei den Kälbern“ nur im Vorübergehen. Und das ist schade nach Sabrina Sarabis starkem Debütfilm „Prélude“ (2019), in dem Louis Hofmann einen psychisch instabilen Pianisten an einem Konservatorium verkörperte. Zwar sind die Welten in beiden Filmen sehr unterschiedlich, doch beide Geschichten folgen jungen Menschen, die nach und nach immer extremer handeln und an ihrem Umfeld zerbrechen.

In „Niemand ist bei den Kälbern“ bietet Hauptdarstellerin Saskia Rosendahl eine starke Leistung, für die sie auch eine Auszeichnung beim Filmfestival in Locarno bekam: In ihrem zerknirschten Gesicht spürt man die Aggressivität, die unter der Oberfläche lauert. Die Protagonist:innen sind übrigens allesamt keine Sympathieträger. Deswegen ist also niemand bei den Kälbern. Nora Stavenhagen

D 2021; 116 Min.; R: Sabrina Sarabi; D: Saskia Rosendahl, Rick Okon, Godehard Giese; Kinostart: 20.1.


Eine Nacht in Helsinki

„Eine Nacht in Helsinki“ von Mika Karismäki. Foto: Arsenal Filmverleih

DRAMA Menschenleer sind die Straßen der Stadt, niemand in Feierlaune ist an diesem Abend vor dem 1. Mai zu sehen. Es ist die Zeit der Pandemie, das Restaurant von Heikki darf keine Gäste bewirten. Die Tür ist trotzdem nicht abgeschlossen, denn der Wirt wartet auf den Besuch seiner Tochter. Die kommt nicht, stattdessen erscheinen der befreundete Arzt Risto und später Juhani, den man zu Beginn des Films durch die leeren Straßen laufen sah. Drei Männer, die die Nacht mit Reden und Trinken verbringen.

Auf ein Corona-Bier in der Corona-Bar! Das musste der Film nicht einmal erfinden, denn die Biermarke dieses Namens gibt es ja, und die Bar, die der Regisseur Mika Kaurismäki zusammen mit seinem Bruder Aki in Helsinki betreibt (und die hier den Schauplatz abgibt), heißt ebenfalls so. Drehen sich die Gespräche zunächst vor allem um Alltägliches, so erhalten sie doch einen Twist dadurch, dass einer der drei Männer offenbar etwas zu verbergen hat. Das hat nichts mit der Pandemie zu tun, anders als bei Heikki, dem jetzt die Kunden seines gerade aufwendig renovierten Restaurants wegbleiben, während Risto den Tod einer jungen Patientin verkraften muss. Es ist eine Nacht, in der für alle drei Entscheidungen anstehen.

Der Lakonie seines Bruders Aki ist Mika Kaurismäki seit „Zombie and the Ghost Train“ wohI nicht mehr so nah gewesen wie hier, wo das Alltägliche sich mit dem Grundsätzlichen zusammenfügt und die Notwendigkeit des Miteinanderredens beschworen wird. Manchmal bedarf es erst einer Ausnahmesituation, um das zu erkennen. Frank Arnold

FIN 2020, 90 MIn., R: Mika Kaurismäki, D: Timo Torikka, Kari Heiskanen, Pertti Sveholm, Start: 20.1.


An Impossible Project

„An Impossible Project“ von Jens Meurer. Foto: Weltkino

DOKU Wer hätte vor 15 Jahren schon wirklich voraussagen können, wie umfassend die Digitalisierung der Arbeits- und Freizeitwelten unser aller Leben verändern würde? Klar, das Internet, den Laptop, das Mobiltelefon und die Digitalfotografie gab es damals auch schon, aber die Kombination in Gestalt des Smartphones wurde gerade erst erfunden, und die sozialen Netzwerke spielten bei weitem nicht die Rolle wie heute. Und während die Digitalisierung zweifellos viele Abläufe bedeutend einfacher und schneller gemacht hat, zeigen sich doch auch bereits erkennbare Gegenbewegungen: So feierte etwa die Vinylschallplatte in den vergangenen Jahren ja ein recht unvorhersehbares Comeback.

Die Renaissance der Schallplatte ist ein kleiner Nebenschauplatz in „An Impossible Project“, einem Dokumentarfilm des in Berlin ansässigen Regisseurs und Produzenten Jens Meurer, der darin vorrangig den österreichischen Entrepreneur Florian „Doc“ Kaps porträtiert. Kaps kaufte 2008 die letzte, kurz vor der Schließung stehende Polaroid-Fabrik in Enschede, um weiterhin Filme für die vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren beliebten Sofortbildkameras produzieren zu lassen. Zweifellos eine Entscheidung für ein extrem analoges Produkt, dessen Herstellung sofort mit enormen Problemen behaftet war. Um es kurz zu machen: Heute vertreibt die Firma wieder erfolgreich ihre Filme, nur Kaps als Geschäftsführer blieb dabei irgendwann auf der Strecke.

Doch er ist sowieso mehr Ideengeber und Träumer als harter Geschäftsmann und steckt seine Energie gern in neue Projekte. Davon gibt es genug. Der Film lebt von seinem sympathischen und humorvollen Protagonisten, zollt dessen Ideen aber auch in der Gestaltung – mit 35mm-Film und einer direct-to-disc aufgenommenen Musik der Jazzsängerin Haley Reinhart plus Orchester – seinen Tribut.

Und weil sowieso klar ist, dass die Digitalisierung nicht zu stoppen ist, begibt sich der Film am Ende auch gleich noch in das Herz der US-amerikanischen Digitalisierungsindustrie. Und wer hätte das gedacht – ausgerechnet bei Facebook gibt es eine kleine, aber feine Abteilung, in der die Digi-Boys und -Girls über die Technik einer vergangenen Ära staunen: das Analogue Research Lab. Lars Penning

D/AUT/GB 2020; 99 Min.; R: Jens Meurer; Kinostart: 20.1.


Effigie – Das Gift und die Stadt

„Effigie – Das Gift und die Stadt“ von Udo Flohr. Foto: GeekFrog Media

Irgendwie hatte ich mir die Gründung meiner Heimatstadt Bremerhaven ein wenig anders vorgestellt. Vielleicht nicht ganz so prosaisch wie dieses Gespräch dreier Männer auf einer sumpfigen Wiese, das Regisseur Udo Flohr in seinem auf einem Theaterstück beruhenden historischen  Kriminaldrama „Effigie – Das Gift und die Stadt“ inszeniert. Es ist eine Szene enorm effektiver Verdichtung: Nicht allein, dass die Stadtgründung besprochen wird, es geht auch um die im Verlauf des Films immer wiederkehrende Frage, wie die Protagonisten zu einem möglichen Bau der damals neumodischen Eisenbahn stehen. Zugleich macht der Bremer Bürgermeister Johann Smidt im Verlauf seiner Ausführungen judenfeindliche Bemerkungen – womit sich die Drehbuchautoren absolut auf der Höhe der geschichtlichen Forschung zeigen. 

Die Erkenntnisse über Smidts Auslassungen führte vor einigen Jahren zu heftigen Diskussionen, zumal in Bremerhaven, wo man den Stadtgründer ja schlecht deshalb aus der Geschichte tilgen konnte, weil einige seiner  Äußerungen heute als inakzeptabel gelten. Wen es interessiert: Man löste das Problem unter anderem mit einer zusätzlichen Hinweistafel an Smidts prominent aufgestelltem Denkmal, die auf die problematischen Bereiche seiner Biografie und Politik hinweist.

Darum geht es in „Effigie“ natürlich nicht, aber es zeigt ganz gut, inwiefern der bereits 2019 mit vergleichsweise geringem Budget gedrehte Film mit reichlich Zeit- und Lokalkolorit operiert, während er von einem in Bremen berühmten und historisch verbürgten Kriminalfall erzählt: Gesche Gottfried ermordete zwischen 1813 und 1827 insgesamt 15 Menschen mit Arsen, darunter ihre Eltern, einen Bruder, drei Kinder, zwei Ehemänner, einen Verlobten sowie mehrere Freund:innen und Nachbar:innen. Sie war die letzte Person, die in Bremen öffentlich hingerichtet wurde. Ihr Motiv blieb letztlich im Dunkeln, manchmal ergaben sich aus den Tötungen finanzielle Vorteile, andere Morde konnten damit jedoch nicht erklärt werden.

Udo Flohr macht aus dieser Geschichte im Wesentlichen ein Frauendrama, indem er Gesche Gottfried (Suzan Anbeh) die – nicht historische – Figur der Cato Böhmer (Elisa Thiemann) gegenüberstellt, eine junge ambitionierte Protokollantin des Untersuchungsrichters und Senators Droste. Böhmer ist vergleichsweise privilegiert, Gottfried stammt ursprünglich aus ärmlichen Verhältnissen – aus diesen verschiedenen Perspektiven blickt der Film auf eine von Männern dominierte Welt, in der arrogante Dummheit, Gewohnheit und Vorurteile einer moderneren Gesellschaft im Wege stehen. Lars Penning

D 2019; 85 Min.; R. Udo Flohr; D: Suzan Anbeh, Elisa Thiemann, Christoph Gottschalch, Uwe Bohm; Kinostart: 20.1.


Mehr Kino in Berlin

Weiterhin aktuell: die Filmstarts der Woche vom 13. Januar. Neuigkeiten zu den Festspielen: Ein Ausblick auf Film-Highlights der Berlinale-Sektionen. Was wann wo läuft, erfahrt ihr im Kinoprogramm für Berlin. Weitere Texte und Rezensionen findet ihr in unserer Rubrik für Kino und Streaming.

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