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Filmstarts der Woche: Von Clint Eastwoods „Cry Macho“ bis „The French Dispatch“

Zwei eigensinnige Amerikaner dominieren diese Startwoche: Clint Eastwood wird bald 92 und macht weiter unbeirrt Filme, aktuell das Roadmovie „Cry Macho“, in dem er nach Mexiko fährt; Wes Anderson hat sein Bastelkino mittlerweise so perfektioniert, dass er mit „The French Dispatch“ seiner Idee von exzentrischem Journalismus ein Denkmal setzen kann. Darüber hinaus gibt es drei sehenswerte Dokus im Angebot: „Die letzte Stadt“ von Heinz Emigholz stellt eine ungewöhnliche Mischung aus Autobiographie, Architekturkritik und Essay dar; „Walchensee forever“ ist das Porträt dreier Frauengenerationen aus Bayern; und in „Ottolenghi und die Versuchungen von Versailles“ gibt es hohe (und süße) Kochkunst. Die Filmstarts der Woche im tipBerlin-Überblick.


Cry Macho

„Cry Macho“ von Clint Eastwood. Bild: Warner Bros.

ROADMOVIE 91 Jahre ist Clint Eastwood nun schon alt, man muss das einfach betonen, zumal das Alter ein Thema seines neuen Films „Cry Macho“ ist. Eastwoods 40. Regiearbeit in 50 Jahren ist das, ein wahnwitziges Arbeitspensum, das auch dazu führt, dass viele seiner Filme eher dahingeworfene Studien sind, kleine Filme, die bekannte Aspekte seines Oeuvres variieren oder kommentieren.

Zumal wenn Eastwood wie hier selbst die Hauptrolle spielt, den alternden Rodeo-Cowboy Mike Milo, der sich nur mühsam über Wasser hält. Den Alkohol hat er hinter sich gelassen, wohl auch mit Hilfe seines alten Kumpels Howard (Dwight Yoakam), aber das kann man wie so vieles in diesem lose erzählten Film nur ahnen. Jedenfalls schuldet Mike Howard Dank, lässt sich deswegen auf die Bitte ein, nach Mexiko zu fahren, wo Howards 13jähriger Sohn Rafael (Eduardo Minnett) bei der Mutter lebt. Eine halbe Entführung soll das sein, Mike und der Zuschauer ahnen es, doch die Umstände interessieren Eastwood nur bedingt.

Ein loses Road Movie entwickelt sich, eine Reise durch karge mexikanische Landschaften, die in einem kleinen Dorf überraschenden Halt macht. Südlich der Grenze findet der einsame Streiter Mike hier Zuwendung und Nähe, was man im Western-Kosmos, den Eastwood als Schauspieler und Regisseur immer wieder bearbeitet hat, durchaus programmatisch verstehen darf. Und als Kommentar zur amerikanischen Gegenwart, auch wenn „Cry Macho“ 1979 spielt, vielleicht nicht zufällig ein Jahr vor der Wahl Ronald Reagans, mit dem eine neue, konservative Phase begann. Eastwood ist bekanntermaßen selber Republikaner, was man aber keineswegs mit Sympathie für Donald Trump verwechseln sollte. Eine Mauer zwischen Texas und Mexiko existiert in „Cry Macho“ noch lange nicht, im Gegenteil: Auf seine typisch unterschwellige Weise deutet Eastwood Möglichkeiten des Miteinanders an. Michael Meyns

USA 2021; 114 Min.; R: Clint Eastwood; D: Clint Eastwood, Dwight Yoakam, Eduardo Minett, Natalia Traven; Kinostart: 21.10.


The French Dispatch

„The French Dispatch“ von Wes Anderson. Bild: 20th Century Studios/Disney

KOMÖDIE Eingebettet in Wes Andersons exzentrisches Bastel-Universum findet sich diesmal eine Hommage an abschweifenden Journalismus: Angelehnt an die verschiedenen Ressorts eines exzentrischen amerikanischen Magazins (Vorbild ist unübersehbar der „New Yorker“) stellt der Film in mehreren Kapiteln einige der Autorinnen und Autoren mit ihren auf Abwege geratenden Storys vor. Einmal mehr erarbeitet Anderson eine seiner typischen Komödien, die eigentlich überhaupt nicht lustig sind – oder wenn, dann eben nur auf verschlungenen Umwegen. Lars Penning

USA/D 2021; 108 Min.; R: Wes Anderson; D: Bill Murray, Tilda Swinton, Benicio del Toro, Léa Seydoux, Frances McDormand; Kinostart: 21.10.


Die letzte Stadt

„Die letzte Stadt“ von Heinz Emigholz. Bild: Filmgalerie 451

ESSAYFILM Nachdem Heinz Emigholz 2012 das Ende seiner unkommentierten „Hardcore-Dokumentationen“ (O-Ton Emigholz) über moderne Architekten und Bauingenieure ankündigt hatte, als er erstmals auf finanzielle Forderungen aufgrund von sogenannten „Bildrechten an Gebäuden“ stieß, geriet der Regisseur in eine künstlerische (und später auch noch in eine gesundheitliche) Krise. Einen gelungenen Ausweg aus dieser Misere wies der autobiografische Spielfilm „Streetscapes [Dialogue]“ (2017), ein Schlüsselwerk, beruhend auf dem Transkript eines in der Krisensituation geführten sechstägigen Gesprächs mit dem israelischen Psychologen Zohar Rubinstein.

Ein älterer Filmemacher (John Erdman) trifft darin auf einen jüngeren Analytiker (Jonathan Perel): Sie sprechen über Zeitstrukturen und ungewöhnliche Räume, über den Umgang mit Misserfolgen und über biografische Details, über Kameraarbeit und Architektur – stets kontextualisiert, indem Emigholz seine Protagonisten in Gebäuden der Architekten Julio Vilamajó, Eliadio Dieste und Arno Brandlhuber filmt.

Mit „Die letzte Stadt“ knüpft der Regisseur nun in einer offeneren Form an „Streetscapes [Dialogue]“ an: Die beiden Hauptfiguren scheinen ihr Gespräch in Israel bruchlos fortzuführen, doch aus dem Filmemacher ist nun ein Archäologe und aus dem Analytiker ein Waffendesigner geworden. Ihre Gespräche handeln von Liebe, Krieg und Moral, dabei betrachten sie die Zeichnungen israelischer Schulkinder, die dem Designer angeblich als Inspiration für neue Waffen dienen – was auch einen ganz guten Eindruck von Emigholz‘ trockenem, sarkastischen Witz vermittelt, der in den einzelnen Szenen und Dialogen steckt.

In Anlehnung an einen Traum von einer Stadt mit sich ständig ändernden Koordinaten und Personen mit wechselnden Rollen springt der Film bald zu immer neuen Orten, Figuren und Themen. Da flirtet der Archäologe unter anderem mit seinem jüngeren Selbst, zwei Brüder (ein Priester und ein Polizist) leben in einer fröhlichen inzestuösen Beziehung, und eine Japanerin (gespielt von der deutschen Schauspielerin Susanne Sachsse) wird in China mit japanischen Kriegsverbrechen konfrontiert und zum rituellen Selbstmord gedrängt.

Die Fantasie des Regisseurs erscheint unerschöpflich: Mittlerweile gibt es einen noch neueren Film („The Lobby“), der Emigholz‘ unterschiedliche Interessen miteinander verbindet: Da sitzt John Erdman dann in holzgetäfelten und marmornen Lobbys in Buenos Aires und hält einen angriffslustigen Monolog über den Tod, das Kino, Sex, Religion und das Universum. Lars Penning

D 2020, 100 Min., D 2020, R: Heinz Emigholz, D: John Erdman, Jonathan Perel, Dorothy Ko, Start: 21.10.


Ottolenghi und die Versuchungen von Versailles

„Ottolenghi und die Versuchungen von Versailles“ von Laura Gabbert. Bild: MFA+

DOKU Yotam Ottolenghi ist der Koch, auf den sich in den letzten Jahren wahrscheinlich die meisten Foodies in der Welt hätten einigen können. Ein deutsch-italienischer Jude, der in Jerusalem aufwuchs und heute von London aus ein kleines Imperium leitet, mit Restaurants, vor allem aber mit Kochbüchern, in denen er eine moderne mediterrane Küche vermittelt, mit einem Einschlag, den man auch heute noch gern als „orientalisch“ bezeichnet. Ottolenghi ist inzwischen weit über sein eigenes Metier hinaus ein Star, und so verwundert es nicht, dass das Metropolitan Museum in New York ihn für ein spannendes Projekt engagierte: Er sollte für eine große Ausstellung über Geschichte und Kultur von Versailles die Patisserie übernehmen. Er sollte also Torten und anderes Süßes auf den Tisch bringen, und zwar so, wie es in den großen Tagen des monarchischen Absolutismus und der höfischen Pracht in Europa gewesen sein mochte.

Der Dokumentarfilm „Ottolenghi und die Versuchungen von Versailles“ von Laura Gabbert erzählt von diesem Projekt. Im Kern ist das natürlich Marketing, eine klassische Win-Win-Situation mit Synergien zwischen einer mächtigen amerikanischen Museumsinstitution und einer der wichtigsten neueren Gastro-Brands. Spannend, aufschlussreich und auch sympathisch ist der Film aber trotzdem, nicht zuletzt deswegen, weil Ottolenghi interessante Kolleg:innen wie die Ukrainerin Dinara Kasko dazugeholt hat. Man erfährt so Einiges über Frankreich vor der Revolution, vor allem aber sieht man sündhaft schönes, exzentrisches Süßzeug entstehen. Bert Rebhandl

USA 2020; 75 Min.; R: Laura Gabbert; Kinostart: 21.10.


Walchensee forever

„Walchensee forever“ von Janna Ji Wonders. Bild: Farbfilm

FAMILIENDOKU Das Haus, in dem Anna Werner aufwuchs, könnte kaum idyllischer gelegen sein. Der Walchensee liegt direkt vor der Tür, dahinter eine Gebirgslandschaft. Aus der Kindheit gibt es Filme, in denen das Leben am Wasser wie ein langes Fest der Lebendigkeit wirkt. Und viele von den Bildern, auf denen die Erinnerungen an damals verewigt sind, stammen von Anna selbst, denn sie wählte das Fotografieren als Beruf. Zum Glück wurde auch sonst fast alles aufgehoben in dem Haus am Walchensee, sodass Janna Ji Wonders für ihren Dokumentarfilm „Walchensee forever“ aus dem Vollen schöpfen konnte. Sie ist die Tochter von Anna Werner, und sie erzählt nun die Geschichte ihrer Familie. Und zwar auf eine sehr intime Weise, die zugleich aber auch viel von der größeren Geschichte in sich enthält. Im Zentrum steht Anna, die wichtigste Zeugin. Sie muss auch für ihre Schwester Frauke sprechen, die jung bei einem Verkehrsunfall starb. Es gibt Gründe für die Vermutung, sie wäre absichtlich gegen einen Baum gefahren.

Frauke und Antje (Anna) durchlebten in jungen Jahren den Aufbruch einer ganzen Generation. Sie waren lange in Mexiko, schlugen sich mit Jodelgesang und bayerischer Volksmusik durch, in ihrer Trachtenkleidung waren sie schon Hippies, bevor dieses Wort geläufig wurde. Indien wurde dann das zweite Sehnsuchtsland, sie folgten einem Guru und trafen auf Rainer Langhans, einen der bekanntesten deutschen 68er. Er hat auch mitgemacht bei „Walchensee forever“, wie auch Jutta Winkelmann, die zu der Wohngemeinschaft gehörte, die sich rund um Langhans bildete: Sie wurde als „Der Harem“ bekannt, man erfährt nun aber, dass man bei diesem Wort nicht unbedingt an Sex denken sollte, denn es wurde viel meditiert, und Langhans ging es vor allem darum, seinen Körper zu verlassen.

Frauke war immer diejenige, die „extreme Erfahrungen“ suchte, und so ist „Walchensee forever“ auch ein Stück Trauerarbeit über die „Schatten“, die in fast allen Biografien irgendwo auftauchen. Janna Ji Wonders hatte das Glück, auch noch ausführlich mit ihrer Großmutter drehen zu können, die über hundert Jahre alt wurde. Und sie konnte für „Walchensee forever“ nicht nur auf die Zeugnisse vor allem von Anna setzen, sondern eben auf einen regelrechten Schatz an Bildern, Home Movies und anderen Dokumenten aus vielen Jahrzehnten. So wurde auch unter Protest mancher Familienstreit verewigt. In Rückblick ist jedes Dokument wertvoll und von Interesse. Und in „Walchensee forever“ wird alles zu einer sehr sehenswerten Familiengeschichte zusammengefügt. Bert Rebhandl

D 2020; 110 Min.; R: Janna Ji Wonders; Kinostart: 21.10.


Mehr Kino in Berlin

Wir geben euch auch den Überblick der Vorwoche: Die Filmstarts vom 14. Oktober 2021. Wir sprachen über komplexe Frauenfiguren und ihre Rolle in „Es ist nur eine Phase, Hase“: Unser Interview mit Christiane Paul. Zwei Berliner und ihr Kampf gegen Google: Darum geht’s in der Netflix-Serie „The Billion Dollar Code“. Was wir euch noch empfehlen? Ridley Scotts neuen Film „The Last Duel“. Immer aktuelle Texte findet ihr in unserer Film-Rubrik.

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