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Filmstarts der Woche: Von „Mittagsstunde“ bis „Don’t Worry, Darling“

Diese Woche startet ein Film, über den viel getuschelt wurde: „Don’t Worry Darling“ von der jungen Regisseurin Olivia Wilde, mit Harry Styles und Florence Pugh. Unser Kritiker meint: es lohnt sich. Wir mögen auch „Mittagsstunde“ gern, die Verfilmung des Bestsellers von Dörte Hansen. Die Filmstarts der Woche im tipBerlin-Überblick

Don’t Worry Darling

„Don’t Worry Darling“ von Olivia Wilde. Foto: Warner

DRAMA Selten ist über einen Film, seine Herstellung und seine Beteiligten so viel geschrieben worden, wie über Olivia Wildes „Don’t Worry Darling“, und das schon, bevor irgendjemand den fertigen Film überhaupt gesehen hatte. Ohne ausführlich auf die Gerüchte über angeblich unprofessionelles Verhalten der Regisseurin während der Dreharbeiten und einen Streit mit ihrer Hauptdarstellerin Florence Pugh einzugehen, lässt sich doch sagen, dass all das Gerade, die Vorverurteilungen, die oft ungezügelte Häme, die dem Film und seiner Regisseurin entgegengeschlagen ist, geradezu bestätigt, was sein inhaltlicher Kern ist.

Über „Don’t Worry Darling“ zu schreiben ist nicht ganz einfach, denn seine Qualitäten liegen nicht zuletzt in seinen überraschenden Wendungen, die erst im letzten Drittel passieren, über die also nichts gesagt werden soll. Da die Regisseurin selbst jedoch schon Vergleiche zur „Truman Show“ und zu „The Matrix“ nahegelegt hat, der Trailer zudem einen unverkennbaren „Die-Frauen-von-Stepford“-Touch hat, dürfte klar sein, dass hier nichts so ist, wie es scheint.

Eine heile 50er-Jahre Welt wird etabliert, voller bonbonbunter Häuser, makelloser Fassaden und mehr Alkohol, als bei „Mad Men“ getrunken wird. Hier leben Alice (Pugh) und Jack (Harry Styles) in scheinbar unbeschwertem Glück. Jack fährt so wie alle anderen Männer am Morgen zur Arbeit, tagsüber putzt Alice oder trinkt Cocktails mit den anderen Frauen, und gelegentlich versammelt sich die gesamte Gemeine bei Frank (Chris Pine). Der ist eine Art Guru, ein Sektenführer, der Erfinder von Victory, wie die Vorstadt, wie das Projekt heißt. Dass in Victory etwas nicht stimmt, merkt Alice – und mit ihr das Publikum – schnell. Alles wirkt etwas zu bunt, zu schön, zu kontrolliert, zu sexy, um real zu sein. Die Frage, auf die der Film nun zusteuert, ist natürlich: Was steckt hinter der Kulisse, wer hat sie sich zu welchem Zweck ausgedacht?

Die Antworten sind sehr zeitgemäß, haben mit dem Verhältnis von Männern und Frauen zu tun, mit Sexismus, dem Incel-Wesen und dem Wunsch, Kontrolle auszuüben. Nüchtern betrachtet ist das, was Wilde erzählt, gar nicht so spektakulär und überraschend, zumal es in den vergangenen Jahren dann eben doch etliche Filme gegeben hat, die von falschen Welten erzählt haben.

Was „Don’t Worry Darling“ aber sehenswert macht, ist sein Stil, seine Atmosphäre. Neben der makellosen Ausstattung ist es der Ton, die Musik, die ein zunehmendes Gefühl der Irritation etabliert, in dem Hauptdarstellerin Florence Pugh einmal mehr brillieren kann. Wie sie langsam den Schein der naiven Hausfrau ablegt und zur selbstbestimmten, starken Frau wird, ist mitreißend gespielt und lässt über manche Plotwendung hinwegsehen, die im Nachhinein nicht ganz überzeugend wirkt.

Ein inhaltlich mehr als solider, vor allem aber stilistisch überaus bemerkenswerter Film ist Olivia Wilde mit „Don’t Worry Darling“ dennoch in jedem Fall gelungen. Welche Antipathien ihr und ihrem Film dennoch entgegenschlagen, ist dann aber die fast interessantere, bezeichnendere Geschichte. Wäre ein Mann ähnlich in die Mangel genommen worden? Es ist bedauerlich, dass die inhaltlichen Aspekte und die filmischen Qualitäten von Olivia Wildes Film von allzu vielen Nebengeräuschen überschattet zu werden drohen. Ja, manches hat die Regisseurin selbst zu verantworten, vieles scheint aber auch mit der Kultur zu tun zu haben, in der wir immer noch leben. Michael Meyns

USA 2022; 123 Minuten; R: Olivia Wilde; D: Florence Pugh, Harry Styles, Chris Pine; Kinostart: 22.9.

Mittagsstunde

„Mittagsstunde“ von Lars Jessen. Foto: Majestic

DRAMA Zu Beginn folgen die Zeitsprünge Schlag auf Schlag. 1965 macht es sich eine junge Frau in einer ländlichen Gegend im Gras bequem und raucht eine Zigarette. 1976 glaubt dieselbe junge Frau, Marret, beim Anblick von Düsenjägern, die über ihr Dorf brettern, dass die Welt untergeht. 2012 dröhnt der Autoverkehr die Dorfstraße herunter, wo alle Geschäfte längst geschlossen sind. Sönke und Ella Feddersen, Marrets Eltern, gehen die Straße entlang; Ella ist dement, Marret lange weg. In wenigen Momenten hat „Mittagsstunde“, die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellerromans von Dörte Hansen, damit etabliert, wovon die Familienchronik der Feddersens im Kern handelt: Veränderung.

Es ist die Veränderung in der alten Bundesrepublik über die Jahrzehnte hinweg, heruntergebrochen auf einen Mikrokosmos, in dem man sich eigentlich gar nicht gern verändert: ein kleines (fiktives) Dorf namens Brinkebüll in Schleswig-Holstein. Wo Kleinbauern einst ein eher beschauliches Leben führten, wo man sich abends in der Dorfwirtschaft traf und wo die Leute auch heute noch Plattdeutsch schnacken.

Wo man aber eben auch all die Umgestaltungen erlebte, die es in anderen deutschen Regionen in ähnlicher Weise gab: Flurbereinigung (die Zusammenlegung kleiner landwirtschaftlicher Flächen; eine Vorbereitung zur industriellen Landwirtschaft größeren Ausmaßes), Ausbau der Infrastruktur (heißt: Asphaltieren der Dorfstraße, mit der Folge erster Verkehrsopfer), die Schließung der Dorfschule, das Verschwinden der kleinen Läden und die damit verbundene Erosion des Dorflebens. Das war der Preis der Moderne.

In Brinkebüll hat sich lediglich die Dorfwirtschaft in die Jetztzeit gerettet, betrieben immer noch vom 90-jährigen Sönke Feddersen (Peter Franke), der der Gnadenhochzeit (70 Jahre Ehe) entgegenfiebert, und dessen Enkel, der Uni-Dozent Ingwer (klasse: Charly Hübner), nun aus Kiel anreist, um ihm und seiner dementen Frau Ella (Hildegard Schmahl) pflegend zur Seite zu stehen. Ingwer ist selbst in Brinkebüll aufgewachsen – auch seine höhere Schulbildung gehörte zu den Veränderungen, die einst im Dorf Einzug hielten.

Nun mischen sich seine Kindheitserinnerungen unter die anderen Rückblenden, die unter anderem davon erzählen, wie die hübsche, aber geistig etwas zurückgebliebene Marret (Gro Swantje Kohlhof), die in einer eigenen Welt voller Musik und Naturerfahrungen lebt, von einem durchreisenden Vermessungsingenieur geschwängert wird und ihr Sohn Ingwer dann von den Großeltern aufgezogen wurde. Ingwer nennt die beiden immer noch Vader und Mudder. Und es gibt auch noch weitere Familiengeheimnisse, die eigentlich keine sind, weil sie sowieso fast jede:r kennt, und über die man pragmatisch einfach jahrzehntelang hinweggesehen hat.

Der in Kiel geborene und zeitweilig auf dem platten Land aufgewachsene Regisseur Lars Jessen ist hier zweifellos der richtige Mann am richtigen Ort: Ursprünglich vom Dokumentarfilm kommend, ist der überwiegende Teil seiner Kinospielfilme dem Leben in Schleswig-Holstein gewidmet. Schon öfter ging es dabei um das Aufwachsen in den 70er- und 80er-Jahren: Jessen weiß um die Details aus eigener Erfahrung, alles wirkt stimmig. 

„Mittagsstunde“ hat dabei nichts nostalgisch Verklärendes: Die alten Zeiten waren nicht besser, sie waren einfach nur anders. Zugleich gibt es schon ein Bewusstsein für den Verlust, den die Veränderung eben auch immer bedeutet. Doch der Film driftet nicht ins Sentimentale, er moderiert all dies mit norddeutscher Trockenheit, die auch eine Art Humor beinhaltet, die man möglicherweise in anderen Landstrichen nicht einmal richtig wahrnimmt.  Lars Penning

D 2022; 93 Min.; R: Lars Jessen; D: Charly Hübner, Peter Franke, Gro Swantje Kohlhof; Kinostart: 22.9.

Peter von Kant

„Peter von Kant“ von Francois Ozon. Foto: MFA+

DRAMA Ohne Rainer Werner Fassbinder wäre François Ozon nicht denkbar. Stilistisch, aber vor allem inhaltlich hat sich Ozon immer wieder auf Fassbinder bezogen, mit „Tropfen auf heiße Steine“ sogar ein Theaterstück des Vorbilds verfilmt. Nun also „Peter von Kant“, eine Variation von, eine Hommage an „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, Fassbinders frühes Meisterwerk, ein ausschließlich mit Frauen besetztes Kammerspiel um Macht, Hörigkeit und lesbische Liebe.

Ozon dreht nun die Geschlechterverhältnisse um: Denis Ménochet ist Peter von Kant, dank Lederweste, prominentem Bauch und exzessivem Kokskonsum unmissverständlich als Version von Fassbinder selbst zu erkennen. Gerade hat er Amir (Khalil Ben Gharbia) entdeckt, einen Rumtreiber aus dem Maghreb, der bald in seinem Bett liegt, aber von Peters Liebesschwüren erdrückt wird. Eifersüchtiger Beobachter des Techtelmechtels ist Peters stummer Diener Karl (Stefan Krepon), der im perfekt auf 70er-Jahre designten Apartment den Champagner serviert. Ein Ohr für Peters Leid hat dagegen Sidonie, seine beste Freundin, gespielt von der großen französischen Filmdiva Isabelle Adjani in einem Besetzungscoup, der auch Fassbinder gefallen haben dürfte.

Wie sich Ozon nun durch Fassbinders Œuvre zitiert, wirkt gleichermaßen eitel wie kenntnisreich und lässt „Peter von Kant“ wie eine cineastische Fingerübung erscheinen, die um so besser funktioniert, je mehr Zitate und Anspielungen man erkennt. Als eigenständiges Werk dagegen bleibt Ozons Fassbinder-Version etwas unterentwickelt und erreicht deshalb nur selten die Kraft, die Ozons beste Filme auszeichnet. Michael Meyns

F 2022; 114 Min.; R: François Ozon; D: Denis Ménochet, Isabelle Adjani, Khalil Ben Gharbia; Kinostart: 22.9.

Verabredungen mit einem Dichter – Michael Krüger

„Verabredungen mit einem Dichter – Michael Krüger“ von Frank Wierke. Foto: Realfiction

PORTRÄT Michael Krüger ist eine Legende des deutschen Verlagswesens. Als Chef des Hanser Verlags brachte er künstlerische und kommerzielle Erfolge unter einen Hut, traf viele bedeutende Menschen und führte das rastlose Leben, das der Literaturbetrieb oft so verführerisch nahelegt. Daneben schrieb er eigene Werke, vor allem seine Gedichte haben Bestand. In den Jahren seines allmählichen Rückzugs entstanden die Aufnahmen, die Frank Wierke nun zu dem Porträtfilm „Verabredungen mit einem Dichter“ montiert hat. In München in seinem Büro, dann in seinem Garten, später in seinem Holzhaus an einem bayerischen See sehen wir Krüger ausführlich dabei zu, wie er über das Leben im allgemeinen und sein eigenes im besonderen nachdenkt und spricht.

Er interessiert sich aber auch sehr für Bäume, erzählt nebenbei die Geschichte seiner Familie (er wuchs in Berlin auf, der Großvater war Landwirt in Sachsen-Anhalt, das Literarische Colloquium am Wannsee war für ihn „wie eine Universität“), und macht sich natürlich Gedanken über das Schreiben, im Besonderen über die Poesie. Das könnte alles sehr leicht zu einer eitlen Übung geraten, hält dazu aber zum Glück eine passable Distanz: Krüger zeigt sich als ein guter Begleiter vor allem in die Mysterien und Zumutungen des Älterwerdens, er nimmt die Krankheiten, die ihm zu schaffen machen, auch als intellektuelle Herausforderungen. Dass der Terminkalender bis kurz vor Corona trotz Ruhestand immer noch randvoll war, ist wohl eine Berufskrankheit, von der einen nur lange Spaziergänge erlösen können. Am besten in Kamerabegleitung. Für die Ewigkeit. Bert Rebhandl

D 2022; 91 Min.; R: Frank Wierke; Kinostart: 22.9.

Unsere Herzen – Ein Klang

„Unsere Herzen – Ein Klang“ von Torsten Striegnitz und Simone Dobmeier. Foto: Neue Visionen

DOKU Singen in Chören, das machen Millionen von Menschen weltweit. Es ist also beileibe keine elitäre Beschäftigung, der sich Torsten Striegnitz und Simone Dobmeier in ihrem Dokumentarfilm „Unsere Herzen – Ein Klang“ widmen. Der Film folgt drei Protagonist:innen, die das Chorsingen und -leiten professionell betreiben: Der Brite Simon Halsey ist einer der renommiertesten Chordirigenten weltweit, Judith Kamphues arbeitet als Sängerin und Gesangspädagogin (und wird von Halsey einmal als „Königin des Einsingens“ bezeichnet), und die aus Südkorea stammende Hyunju Kwon gilt als äußerst vielversprechende Nachwuchs-Chordirigentin, die am Ende der Dreharbeiten 2021 gerade einen internationalen Dirigierwettbewerb in Italien gewinnt.

Obwohl sich der Film für die gut gewählten Protagonist:innen und ihre vielfältigen Aktivitäten entsprechend viel Zeit nimmt, ist der Ansatz doch viel breiter gewählt. Striegnitz und Dobmeier geht es letztlich weniger um ein Musiker:innen-Porträt als vielmehr um die Frage, warum Menschen so gern im Chor singen. Hier wird mit Kindern, Laien und Profis gesungen, man erhält Einblicke in Proben, Unterrichtsituationen und ein Online-Mitsingkonzert. Profis wie Halsey und Kamphues wissen dabei um die notwendige Mischung aus Ernst und Humor, die für entspannte Stimmung sorgt; im Mittelpunkt steht stets die gemeinschaftliche Aktivität und natürlich auch die Interaktivität, der Austausch beim gemeinsamen Musizieren. Umso schlimmer traf alle Beteiligten die Corona-Pandemie, die genau das für eine Weile nicht mehr ermöglichte. Denn Singen per Zoom-Konferenz – das ist weder besonders melodisch noch menschlich befriedigend. Lars Penning

D 2022; 108 Min.; R: Torsten Striegnitz, Simone Dobmeier; Kinostart: 22.9.

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