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Neu im Kino

Filmstarts der Woche: Von Fatih Akins „Rheingold“ bis zur Komödie „Bros“

Was läuft am 27. Oktober 2022 neu im Kino an? Da wäre die Komödie „Bros“, die versucht, schwule Klischee zu überwinden. Mal sehen, wie das Publikum dabei mitmacht. Fatih Akin erzählt in „Rheingold“ eine packende Migrationsgeschichte in allen ihren Widersprüchlichkeiten und scheut dabei vor der Assoziation mit Wagners Oper nicht zurück. Diese und weitere Filmstarts der Woche vom 27. Oktober 2022 im tipBerlin-Überblick.

Bros

„Bros“ von Nicholas Stoller. Foto: Universal

KOMÖDIE Bobby und Aaron, zwei schwule Cis-Männer in New York, versuchen sich an einer romantischen Komödie fast so wie in einer klassischen romantischen Komödie. Billy Eichner hat sich dafür mit dem Experten Nicholas Stoller („Nie wieder Sex mit der Ex“) und dem Produzenten Judd Apatow („Jungfrau, 40, männlich, sucht“) zusammengetan. Das Ergebnis ist eine Komödie, die zugleich viel über die schwule Kultur in New York erzählt, wie auch versucht, diese für ein Mainstream-Publikum aufzubereiten, teils ironisch, teils kalkuliert, ein Versuch, Differenzen auf ein höheres Ganzes hin zu überwinden. Bert Rebhandl

USA 2022; 115 Min.; R: Nicholas Stoller; D: Billy Eichner, Luke Macfarlane, Miss Lawrence; Kinostart: 27.10.

Fatih Akins neuer Film „Rheingold“

„Rheingold“ von Faith Akin. Foto: Warner Bros.

DRAMA Als Fatih Akin 2004 mit „Gegen die Wand“ den Goldenen Bären der Berlinale gewann, mit Birol Ünel und Sibil Kekilli in den Hauptrollen, war das eine kleine Revolution. Vorher gehörte Filmregisseur nicht gerade zu den naheliegenden Berufen für einen, dessen Familie aus der Türkei nach Hamburg migriert war. Danach schon. Und mit Akin gab es auf einmal auch eine ganze Reihe großartiger Schauspieler und Schauspielerinnen mit Namen, die nicht biodeutsch klangen.

Bei ihnen ist mittlerweile die nächste Generation am Start, so auch Emilio Sakraya, 1996 in Berlin geboren und während der diesjährigen Berlinale als European Shooting Star ausgezeichnet. Nun spielt er in Fatih Akins neuem Film den Protagonisten. „Rheingold“ basiert auf der Autobiografie des Rappers und Musikproduzenten Xatar, dessen Lebensgeschichte gleich für mehrere Street-Credibilitys taugen würde. Als Sohn kurdischer Eltern im Iran geboren, flieht die Familie in den 1980er-Jahren nach Deutschland. Er wächst in ärmlichen Verhältnissen in einer Bonner Sozialsiedlung  auf. Dabei war sein Vater Eghbal Hajabi im Iran ein berühmter Komponist, der die traditionelle Musik der Region mit der europäischen Klassik verband. Klar, dass der Sohn Klavierunterricht bekommt, auch wenn die Mutter dann noch eine weitere Putzstelle annehmen muss, um die Stunden zu bezahlen.

Rückblenden und Zeitsprünge: Fatih Akin erzählt Xatars Lebensgeschichte

Giwar Hajabi, wie Xatar im ersten Leben hieß, wird erst Kleinkrimineller, dann Großdealer. Und studiert nebenher in Amsterdam Musikmanagement. Als er bei einem Auffahrunfall eine Ladung flüssiges Kokain verliert, muss er dringend Geld auftreiben. Er und seine Komplizen überfallen, als Polizisten getarnt, einen Transporter mit 120 Kilogramm Zahngold. Xatar flieht und geht erst im Irak und danach für fünf Jahre in Deutschland in den Knast, wo er mit einem eingeschmuggelten Diktiergerät seine ersten Songs aufnimmt – und berühmt wird. Das Gold aber ist, wie der Nibelungenschatz in der Oper „Rheingold“, bis heute verschwunden.

In Rückblenden und Zeitsprüngen erzählt Fatih Akin diese Lebensgeschichte, manchmal überdeutlich, manchmal auch ganz nah dran. Oder man fühlt sich in einen TV-Slapstick aus den 80ern versetzt, wenn echte Polizisten für die falschen Polizisten die Straße sperren. Irgendwo steht „Rheingold“ zwischen Sozialstudie und Coming-of-Age-Film, Heist und Kriminalkomödie. Das lässt den Film etwas auseinanderfallen, sorgt aber für viele gute Momente. Stefanie Dörre

D 2022; 138 Min.; R: Fatih Akin; D: Emilio Sakraya, Mona Pirzad, Ilyes Raoul; Kinostart 27.10.


Schweigend steht der Wald

„Schweigend steht der Wald“ von Saralisa Volm. Foto: Alpenrepublik

Anja Grimm ist Forstamtspraktikantin. Im Rahmen ihrer Ausbildung kartographiert sie ein Waldstück nahe Haingries in der Oberpfalz. Der Ort ist nicht unwichtig, ebenso wenig wie der Umstand, dass sich das Konzentrationslager Flossenbürg in der Nähe befunden hat. Auf einer nachträglich angelegten Wildwiese, einer Lichtung im Wald, die nicht verzeichnet ist, findet Anja Unstimmigkeiten im Bodenprofil: Die Erde wurde weitaus tiefer umgegraben als notwendig gewesen wäre, zudem ergibt die Analyse eine ortsunüblich hohe Menge an Kalk. Und plötzlich sieht sie sich einem bewaffneten Mann gegenüber, der sie von der Lichtung vertreiben will. Wir schreiben das Jahr 1999, und in den Amtsstuben der Dorfpolizei wird noch geraucht.

Saralisa Volm adaptiert mit ihrem Langfilmdebüt „Schweigend steht der Wald“ den gleichnamigen, 2013 erschienenen Roman von Wolfram Fleischhauer, der auch das Drehbuch schrieb. Behelfsmäßig ließe sich zunächst von einem Mystery-Thriller sprechen, der allerdings rasch zur Sache kommt und im wahrsten Sinne bodenständig Themen wie Vergangenheitsbewältigung respektive -verdrängung und -verleugnung adressiert. Denn nicht nur stößt Anja im Zuge ihrer Tiefenbohrungen auf die Spuren weit zurückliegender Verbrechen, sie holt auch ihre eigene Vergangenheit ans Tageslicht. Verschwand doch ihr Vater damals, als sie acht Jahre alt war, während einer Wanderung in derselben Gegend, und berichten doch seine hinterlassenen Aufzeichnungen von einem ungewöhnlichen Brennnesselvorkommen in eben jenem Wald.

Es zeichnet Volms Film aus, dass sie die Entscheidung über den Ausgang dieser im Genre des Unheimlichen verankerten Versuchsanordnung dem Publikum überantwortet; ein Wagnis, das auch den von ihr produzierten, schwer einzuordnenden, unbequemen, nichtsdestotrotz mutigen „Fikkefuchs“ (2017, mit Franz Rogowski und Jan Henrik Stahlberg als übergriffiges Vater-Sohn-Gespann) prägte, zu dem wiederum Fleischhauer das Drehbuch schrieb. Es ist die patriarchale Weitergabe des Unheils, die beide Filme verbindet; und wie „Fikkefuchs“ ist auch der mit Henriette Confurius, Robert Stadlober, August Zirner und Noah Saavedra kompetent besetzte „Schweigend steht der Wald“ eine bis ins kleinste atmosphärische wie motivische Detail sorgsam formulierte Frage: Womit wollen wir weiterleben? Alexandra Seitz

D 2022; 100 Min.; R: Saralisa Volm; D: Henriette Confurius, Robert Stadlober, August Zirner, Noah Saavedra; Kinostart: 27.10.

Werner Herzog – Radical Dreamer

„Werner Herzog – Radical Dreamer“ von Thomas von Steinaecker. Foto: Real Fiction

PORTRÄT Der Begriff Traum besitzt ja mindestens zwei Bedeutungen: Da gibt es den nächtlichen Traum im Schlaf, der seltsame Verbindungen knüpft zwischen Ängsten, Wünschen, Lernerfahrungen und Alltagsbegebenheiten. Und es gibt die Zukunftsvisionen, die künstlerischen oder gesellschaftlichen Träume, die Ziele, die man sich steckt, realistisch oder scheinbar unerreichbar. Werner Herzog macht gleich zu Beginn des Dokumentarfilms „Werner Herzog – Radical Dreamer“ klar, dass er nachts nicht träumt – Traumforscher würden ihn wohl dahingehend korrigieren, dass er sich nur nicht erinnert – und dies durchaus als Defizit empfindet.

Wenn ihn der Film also schon im Titel als radikalen Träumer adressiert, kann es nur um die andere Art von Träumen gehen: um die Bilder, die jemand in sich trägt, und – wie im Fall von Herzog – dann in Filmen sichtbar macht. „Es gibt Bilder, die nicht bloß die Handlung voranbringen, sie gehen über die Story hinaus. Das ist es, was man finden muss, wenn man Filme macht. Man muss die Fakten hinter sich lassen“, erläutert Herzog hier einmal. Und weil uns, die Kinogänger:innen, genau diese Bilder berühren, ist Werner Herzog zweifellos einer der ganz Großen seiner Zunft.

Regisseur Thomas von Steinaecker nährt sich dem Mann und seinem Werk, indem er die verschiedenen Aspekte von Herzogs Herangehensweise an filmische Arbeit gruppiert, dazu Herzog selbst, andere Filmemacher:innen sowie diverse Mitarbeiter:innen und Familienangehörige erzählen lässt, und dabei zugleich einen groben chronologischen Ablauf von Leben und Karriere mitlaufen lässt. Und die Karriere des mittlerweile 80-jähigen ist alles andere als beendet, wer weiß, was da noch kommt. Wim Wenders hat das Schlusswort: „Nur das Untypische ist typisch für Werner Herzog.“ Lars Penning

D/GB 2022; 102 Min.; R: Thomas von Steinaecker; Kinostart: 27. 10.

Piggy

„Piggy“ von Carlota Pereta. Foto: Morena Films

DRAMA Als Metzgerstochter hat man es nicht leicht; jedenfalls nicht, wenn die Erzeugnisse des familieneigenen Betriebes sich in Gestalt zahlreicher Pfunde am eigenen Körper widerspiegeln. Als „Fette Sau“ wird Sara denn auch von ihren Mitschülerinnen beschimpft und bei jeder sich bietenden Gelegenheit gedemütigt. Doch eines Nachmittags, als es die Meute der Hungerharken-Peinigerinnen mit dem molligen Mädchen ganz besonders schlimm treibt, ereilt diese die Strafe sozusagen auf dem Fuße – und Sara, die zufällig Zeugin wird, interpretiert in ihrem emotionalen Stresszustand aus Wut und Verzweiflung den vermeintlichen Rächer als rettenden Ritter, obwohl der wahrscheinlich sehr viel eher ein hochgefährlicher Serienmörder ist.

Mit „Piggy“ schreibt Carlota Pereda die Geschichte ihres gleichnamigen Kurzfilms aus dem Jahr 2018 fort, und wieder agiert, sich selbst nicht schonend, die üppige Laura Galán in der Titelrolle. Es ist vor allem ihre Darbietung, die diese auf den ersten Blick etwas gewagte Mischung gelingen lässt, die sich zusammensetzt aus psychologisch tiefer schürfendem Coming-of-Age-Drama, leise ironischen Seitenhieben auf ein ländliches Gemeinwesen in der spanischen Extremadura – berühmt für den dortigen Ibérico-Schinken – und unzimperlich-zupackendem Splatter-Horrorfilm, der stolz Vorbilder wie „Texas Chainsaw Massacre“ zitiert. Furchtlos führ Galán ihre Figur entlang jener Grenze, die Pereda in ihrem Drehbuch vermisst: Sie verläuft nicht zwischen Gut und Böse, sondern dort, wo die Grausamkeit der vermeintlich Unbescholtenen das Böse erst hervorzubringen droht – also dort, wo der Mensch sich auch dagegen entscheiden kann. Alexandra Seitz

Spanien 2022; 99 Min.; R: Carlota Pereda; D: Laura Galán, Richard Holmes, Carmen Machi; Kinostart: 27.10.

See How They Run

„See How They Run“ von Tom George. Foto: Searchlight

KOMÖDIE Agatha Christies Theaterstück „Die Mausefalle“ wird seit 1952 ununterbrochen aufgeführt, doch trotz des Erfolgs gab es bis heute keine offizielle Verfilmung. Denn Christie bestimmte: Erst wenn das Stück abgesetzt ist, darf es verfilmt werden. Auf clevere Weise hat es Tom George mit „See How They Run“ nun dennoch geschafft, „Die Mausefalle“ zu verfilmen, zumindest ein bisschen.

Sein Film spielt Anfang 1953, als „Die Mausefalle“ ein riesiger Erfolg ist und der amerikanische Regisseur Leo Köpernick (Adrien Brody) nach London kommt, um eine Verfilmung vorzubereiten. Doch mit dem Drehbuch des exzentrischen Autors Mervyn Cocker-Norris (David Oyelowo) ist er ebenso wenig zufrieden wie mit Hauptdarsteller Richard Attenborough (Harris Dickinson), der eigene Regie-Ambitionen hegt. Wenig überraschend also, dass Köpernick bald erschlagen hinter der Bühne aufgefunden wird, was den Scotland Yard-Inspektor Stoppard (Sam Rockwell) und seine übereifrige Assistentin Stocker (Saoirse Ronan) auf den Plan ruft. Verdächtig ist, wie sich das für ein waschechtes Whodunit gehört, jeder und jede.

In seinen besten Momenten ist der Film eine clevere Mischung aus Whodunit, Agatha-Christie-Hommage und Blick hinter die Theaterkulissen. Weder die Pointen- noch die Stardichte kommt allerdings an einen vergleichbaren Film wie „Knives Out“ heran. Michael Meyns

USA 2022; 98 Min.; R: Tom George; D: Sam Rockwell, Saoirse Ronan, Adrien Brody; Kinostart: 27.10.

Rise Up

„Rise Up“ von Marco Heinig, Steffen Maurer, Luise Burchard, Luca Vogel

DOKU Was braucht es, um sich heute zu engagieren – nicht nur gegen die drohende Klimakatastrophe, sondern auch gegen die ungerechte Verteilung des Reichtums auf der Welt? In „Rise Up“ sprechen fünf Aktivist:innen über ihre Arbeit und über den Antrieb für ihr Engagement.

Marlene Sonntag engagiert sich für die kurdische Frauenbewegung; die 67-jährige Shahida Issel kämpfte in Südafrika gegen die Apartheid; die Chilenin Camila Cáceres erzählt von dem langen Weg der Abnabelung von ihrer Familie und deren Werten; Kali Akuno berichtet von seiner durch Rassismus und Polizeigewalt geprägten Kindheit im Los Angeles der 1980er-Jahre; die 76-jährige Judith Braband war in der DDR zuerst Mitarbeiterin der Stasi, bevor sie eine totale Wende vollzog.

Kein Zweifel, dies sind fünf beeindruckende Persönlichkeiten, denen man mit Interesse zuhört, wenn sie von ihren eigenen Lebens(um)wegen erzählen. Leider wird dabei auch vieles verkürzt, wo man gerne Ausführlicheres gehört hätte. Der Hinweis im Nachspann auf eine Website, auf der ihre Geschichten ausführlicher dargestellt sind, wirkt daher auch ein wenig wie ein Eingeständnis, filmisch an der Materialfülle gescheitert zu sein. Frank Arnold

D 2022, 88 Min., R: Marco Heinig, Steffen Maurer, Luise Burchard, Luca Vogel, Start: 27.10.

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Was lief in der Vorwoche an? Die Filmstarts vom 20. Oktober 2022 im Überblick. Er war eine Legende des (ost)deutschen Kinos: Zum Tod vom Wolfgang Kohlhaase. Sie hat einen Film über die Modeszene der späten DDR gemacht: Aelrun Goette über “In einem Land, das es nicht mehr gibt”. Alles zu Film und Kino und Streaming auf tipBerlin auf einen Blick. Was läuft wann? Hier ist das aktuelle Kinoprogramm für Berlin.

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