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Filmstarts der Woche: Von „The Woman King“ bis „Rimini“ von Ulrich Seidl

Das amerikanische Blockbusterkino verändert sich sukzessive: Ein Film wie „The Woman King“ wäre vor wenigen Jahren noch weniger groß gehandelt worden, nun ist die Geschichte eines afrikanischen Königreichs mit einer Frauenkampftruppe ein zentrales Stück. In der dichten Startwoche vom 6. Oktober 2022 ragt außerdem noch Ulrich Seidls „Rimini“ heraus, der Österreicher holt aus dem Badeort in Italien die maximale Tristesse heraus. Die Filmstarts der Woche im tipBerlin-Überblick.

Furioses Kampfgetümmel: „The Woman King“

Viola Davis in „The Woman King“ von Viola Prince-Bythewood. Foto: Sony

LEGENDE Amazonen und Walküren sind sagenumwobene Kriegerinnen aus der Mythologie, aber die Agojie im einstigen westafrikanischen Königreich Dahomey (heute Teil von Benin) versetzten die Nachbarvölker ganz real in Angst und Schrecken. Unter der von 1818-1858 währenden Herrschaft des Monarchen Gezo waren bis zu 5.000 Agojie in einem rein weiblichen Regiment organisiert. In Friedenszeiten dienten die Soldatinnen als Palastwache. Im Krieg und bei Raubzügen fielen die nahkampfstarken Agojie wie blutrünstige Berserkerinnen über ihre Gegner her, oft aufgeputscht durch Alkohol und Voodoo-Rituale.

In perfekter Hollywoodmanier schildert das mit agilen Akteurinnen (respekteinflößend die Oscarpreisträgerin Viola Davis als Kommandantin) in Südafrika gedrehte Abenteuer-Epos die Martial-Arts-Ausbildung, die Kämpfe und den Aufstieg einer rebellischen Rekrutin in den Reihen der Kriegerinnen – bis zur finalen Entscheidungsschlacht und der überraschenden Enthüllung ihrer Herkunft.

Die fesselnde Geschichte mit ausgewogener Balance zwischen bewegenden emotionalen Szenen und furios choreografiertem Kampfgetümmel mit artistischen Stunts (und ohne unnötige CGI) bietet allerdings ein idealisiertes Bild von einem tatsächlich terroristischen Militärstaat, dessen Reichtum auf grausamer Sklavenjagd basierte. Alljährlich wurden hunderte Menschen bei religiösen Zeremonien geopfert. Der Krieg mit Frankreich führte 1894 zum Ende der Unabhängigkeit. Gegen die Bajonette der Fremdenlegionäre hatte das Dahomey-Heer auch mit den tollkühn attackierenden Agojie keine Chance. Ralph Umard

USA/CDN 2022; 126 Min.; R: Gina Prince-Bythewood; D: Viola Davis, Thuso Mbedu, Lashana Lynch; Kinostart: 6.10.

Lebensgewurschtel: „Rimini“ von Ulrich Seidl

„Rimini“ von Ulrich Seidl. Foto: Neue Visionen

DRAMA Österreichs Starregisseur Ulrich Seidl geht stets dahin, wo es wehtut. Für seinen neuen Film, der schon im Wettbewerb 2022 der Berlinale zu sehen war, hat es ihn in die italienische Adria-Metropole Rimini verschlagen. Aber nicht bei Sommer, Palmen und Sonnenschein, sondern im Winter. Und da gibt es wohl wenige noch trübseligere Orte. Doch Richie Bravo (großartig schmierig: Michael Thomas), der hält wacker durch. Der Typ mit der Vokuhila-Frisur war einst ein gefeierter Schlagersänger. Doch der in die Jahre gekommene Entertainer kann sich finanziell nur über Wasser halten, indem er vor deutschsprachigen Bustouristen seine Halbplaybackshow zelebriert. Eine Veranstaltung, bei der sich alle Beteiligten in einer viel glorreicheren Vergangenheit tummeln. Nebenbei betätigt sich Bravo auch noch als Gigolo für reife Damen.

Bewegung kommt in des Sängers Leben, als seine erwachsene Tochter Tessa (Tessa Göttlicher) mit ihrem Lover vor ihm steht. Die verlangt die jahrelang nicht bezahlten Unterhaltskosten. Richie Bravo verspricht ihr, das Geld aufzutreiben.

Eines darf man Ulrich Seidl nicht unterstellen: Er stellt seine Protagonisten niemals bloß, sondern beobachtet in gewohnt ruhigen Einstellungen das zum Teil verzweifelte Lebensgewurschtel seiner Figuren und geht dabei hier sogar sanfter vor als etwa in seiner „Paradies“-Trilogie. Bravo und seine Mitmenschen wachsen einem trotz ihrer vielen Fehler doch irgendwie ans Herz. So ist halt jeder auf der stetigen Suche nach ein bisschen Glück. Martin Schwarz

A/F/D 2022; 114 Min.; R: Ulrich Seidl; D: Michael Thomas, Tessa Göttlicher, Hans-Michael Rehberg, Inge Maux; Kinostart: 6.10.

In einem Land, das es nicht mehr gibt

„In einem Land, das es nicht mehr gibt“ von Aelrun Goette. Foto: Tobis

GESCHICHTSDRAMA Die Schülerin Suzie wird Ende der 1980er-Jahre in der DDR als Fotomodell entdeckt und erlebt in diesem Milieu die Piefigkeit des Sozialismus, aber auch Momente echter Freiheit. Nach eigenen Erinnerungen erzählt Aelrun Goette mit einer interessanten Perspektive vom damals anderen Deutschland. Bert Rebhandl

D 2022; 120 Min.; R: Aelrun Goette; D: Marlene Burow, David Schütter, Sabin Tambrea; Kinostart: 6.10.

Wilde Freiheit, DDR-Glamour und queeres Ost-Berlin: Hier haben wir ein Interview mit der Regisseurin Aelrun Goette.

Vesper Chronicles

„Vesper Chronicles“ von Kristina Buozyte aund Bruno Samper. Foto: Plaion

SCIENCE FICTION Schlammbedeckte Landstriche, sehr einfach gekleidete Menschen – nein, wir befinden uns nicht im Mittelalter, dagegen spricht die Drohne im Bild und auch die Schrifteinblendung zu Beginn, die eine Dystopie verkündet, ein „neues dunkles Zeitalter“. Fehlgeschlagene Gentechnologie hat dazu geführt, dass gezüchtete Viren Pflanzen, Tiere und große Teile der Menschheit vernichteten. Während eine neue Oligarchie sich in abgeschlossene Städte, genannt „Zitadellen“, zurückgezogen hat, kämpfen alle anderen um ihr Überleben. Um sich zu ernähren, sind sie auf Saatgut angewiesen, das sie von den Zitadellen beziehen. Das ist jedoch so manipuliert, dass es nur eine einzige Ernte produziert. So müssen die Menschen draußen dafür immer wieder mit ihrem Blut zahlen, mit dem sich die Zitadellenbewohner regenerieren.

Die Hoffnung heißt Vesper, ein Mädchen von vielleicht 14 Jahren, das damit experimentiert, durch eigene Züchtungen neue Nahrungsmittelquellen zu erschließen. Begleitet wird sie bei ihren Streifzügen durch die Wälder von einer Drohne, die es ihr ermöglicht, mit ihrem Vater zu kommunizieren, der gelähmt zuhause in seinem Bett liegt.

 „Vesper Chronicles“ gefällt durch sein minimalistisches Setting, die metallisch glänzenden Kugeltürme einer Zitadelle sind alles, was man von dem Leben der Anderen zu sehen bekommt, ganz am Schluss. Der Film konzentriert sich auf die Verhaltensweisen seiner vier Figuren, neben Vesper und ihrem Vater sind das ihr Onkel Jonas und die aus einer Zitadelle geflüchtete Camellia. Nach und nach enthüllen sie ihre Geheimnisse, immer wieder wird die Frage gestellt, wem man trauen kann. Frank Arnold

Litauen, Frankreich, Belgien 2022; 122 Min.; R: Kristina Buozyte, Bruno Samper; D: Raffiella Chapman, Eddie Marsan, Rosy McEwen, Richard Brake; Kinostart: 6.10.

Alles über Martin Suter. Außer die Wahrheit

„Alles über Martin Suter. Außer die Wahrheit“ von André Schäfer. Foto: DCM

PORTRÄT Schriftsteller erfinden Figuren und Geschichten. Kann man da erwarten, dass sie immer die Wahrheit sagen, wenn es um ihre eigene Person geht? Im Fall des Schweizer Schriftstellers Martin Suter könnte man noch hinzufügen, dass es nicht wenige Verfilmungen seiner Werke gibt: Kinofilme wie „Lila, Lila“ und „Die dunkle Seite des Mondes“, sowie bislang drei Fernsehfilme nach seinen „Allmen“-Romanen. Darüber hinaus hat Suter neben Romanen, Theaterstücken und Hörspielen auch Drehbücher verfasst, gleich dreimal für seinen Landsmann Daniel Schmid.

Gerade dazu hätte man als Kinogänger gerne mehr erfahren. Das allerdings spart der Film von André Schäfer, der zuvor schon Schriftsteller (John Irving, John Le Carré), Filmschaffende (Hanna Schygulla, Billy Wilder), aber auch fiktive Figuren (Perry Rhodan) porträtiert hat, und der Reales und Fiktives in „Herr von Bohlen privat“ grandios mixte, aus. Er setzt (zu) oft auf vorgelesene Passagen aus Suters Romanen, illustriert mit nachgestellten Spielszenen, was nicht unbedingt zu Suters Anspruch passt, „eine Geschichte mit einem Geheimnis zu erzählen“.

Dafür gefällt der Film, wenn Suter bekennt, zwei Romane nicht veröffentlicht zu haben, weil er zu Beginn das Ende nicht wusste und deshalb scheiterte, oder wenn sein Schriftstellerkollege Benjamin von Stuckrad-Barre bewundernd anerkennt, Suter sei es gelungen, über halluzinogene Erfahrungen überzeugend zu schreiben, ohne es vorher selber ausprobiert zu haben. Nicht zu vergessen, wenn Suter von seiner Vergangenheit als Werbetexter erzählt (ältere Kinogänger werden sich noch an die durchschlagende Kampagne „Ich trinke Jägermeister, weil…“ erinnern). Insofern dann doch ein gelungenes Spiel mit der Fiktion. Frank Arnold

CH/D 2022; 90 Min.; R: André Schäfer; Kinostart: 6.10.

Igor Levit. No Fear

„Igor Levit. No Fear“ von Regina Schilling. Foto: Piffl

PORTRÄT Igor Levit ist als Pianist ein internationaler Star der klassischen Musik, doch insbesondere in Berlin kennt man den noch in der Sowjetunion geborenen, aber 1995 mit seinen Eltern als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland gekommenen Musiker auch als vehementen und manchmal auch polemischen Streiter wider Antisemitismus, für die Rechte von Flüchtlingen und gegen die Zerstörung der Natur.

In dem dokumentarischen Porträt „Igor Levit. No Fear“ von Regina Schilling wird dieser Aspekt seines Wirkens nicht vergessen (als Levit in einer Fernsehdiskussion einmal sein Entsetzen über antisemitische Vorfälle in Deutschland äußert, reagiert der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble einigermaßen unsensibel), aber er steht nicht im Mittelpunkt.

Da geht es vielmehr um Levits künstlerisches Schaffen, das lange von seinen Einspielungen der Klaviersonaten Beethovens bestimmt war und nun neue Impulse benötigt. Man sieht Levit bei Schallplattenaufnahmen und bei der Arbeit mit Dirigenten und Orchestern, und man bekommt in diesen Szenen etwas mit von der geistigen und körperlichen Anstrengung, die dahinter steckt, von der technischen Schwierigkeit ebenso wie vom Ringen um den künstlerischen Ausdruck. Und da gibt es dann auch schon mal Selbstzweifel, manchmal auch überraschende: Levit erzählt, wie er einmal in einer Dokumentation über die Rolling Stones auf den Bluesmusiker Muddy Waters gestoßen sei, der ihn total fasziniere und für ihn zur Frage führte, ob ihm das Klavier als künstlerische Ausdrucksform eigentlich noch genüge. Die Offenheit, die Levit vermittelt, macht ihn sympathisch – und man bekommt in diesem Porträt durchaus das Gefühl, ihm nahe zu kommen. Lars Penning

D 2022; 118 Min.; R. Regina Schilling; Kinostart: 6.10.

Verzweifelte Alleingänge: „Me, We“ von David Clay Diaz

„Me, We“ von David Clay Diaz. Foto: Camino

DRAMA Das Engagement für Geflüchtete hat durch den Ukrainekrieg zweifellos zugenommen, aber grundsätzliche Fragen bleiben. Bedeutet das Beste zu wollen auch zugleich, immer die richtigen Entscheidungen zu treffen? Ist das, was für den einen richtig ist, auch für sein Gegenüber das Richtige?

„Me, We“ erzählt in vier miteinander verschachtelten Handlungssträngen von Menschen, die sich engagieren. Die Studentin Marie bricht nach Lesbos auf, um auf dem Schiff einer NGO mitzuhelfen, Geflüchtete aus Seenot zu retten, die allein lebende Fernsehredakteurin Petra nimmt den minderjährigen Syrer Mohammed in ihrer Wohnung auf, Gerald leitet ein Heim für geflüchtete junge Männer, während Marcel in der österreichischen Provinz mit seinen Freunden die Schutzengel AG gründet, die jungen Frauen Geleitschutz vor vermeintlich übergriffigen Muslimen anbietet.

Was – gerade im letztgenannten Erzählstrang – leicht zu Karikaturen hätte führen können, vermeidet dieser Film, der seine Figuren und ihr durchaus ambivalentes Verhalten ernst nimmt. Selbst Marcel wirkt ernsthafter als seine Freunde, während Marie, Petra und Gerald sich im Verlauf ihres Engagements mit Herausforderungen konfrontiert sehen, die sie überfordern.

Sei es die erzwungene Untätigkeit bei Marie, die fehlgeleiteten Erziehungsversuche Petras oder die in Frage gestellten Maßnahmen Geralds: Alle drei reagieren darauf am Ende mit verzweifelten Alleingängen, die Konsequenzen für sie selber und auch für die ihnen Anvertrauten haben. Gerade, was Petra und Gerald in einem Moment der Anspannung und Ratlosigkeit spontan machen, ist nicht gutzuheißen – aber in jedem Fall ist für den Zuschauer nachvollziehbar, was sie dazu treibt. Frank Arnold

Ö 2020; 115 Min.; R: David Clay Diaz; D: Verena Altenberger, Lukas Miko, Barbara Romaner, Alexander Srtschin; Kinostart: 6.10.

Mona Lisa and the Blood Moon

„Mona Lisa and the Blood Moon“ von Ana Lily Amirpour. Foto: Weltkino

PSYCHOTHRILLER In einer Vollmondnacht erwacht Mona Lisa Lee aus dem katatonischen Stupor, in dem sie die letzten zehn Jahre verbracht hat, und stellt fest, dass sie da, wo sie ist, nicht sein will. Schon gleich gar nicht will sie noch länger die Zwangsjacke tragen, in die man sie gesteckt hat. Also bricht sie aus der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie aus, indem sie sich einer überraschenden Fähigkeit bedient, die in der Folge noch einigen weiteren Leuten, die ihren Weg kreuzen, zum Verhängnis werden wird.

2014 landete die iranischstämmige US-Regisseurin Ana Lily Amirpour mit der somnambulen, in Schwarzweiß gedrehten Vampir-Romanze „A Girl Walks Home Alone At Night“ einen Überraschungshit. 2016 folgte die in einem von Kannibalen bevölkerten Niemandsland angesiedelte, eher irritierende Familien-Dystopie „The Bad Batch“. Und auch in „Mona Lisa and the Blood Moon“, ihrem dritten, nach eigenem Drehbuch in Szene gesetzten Spielfilm, braut die Filmemacherin aus Genreversatzstücken einen Cocktail von schwer zu definierendem Geschmack; handelnd in einem neonfarben leuchtenden New Orleans, bevölkert von mild Verpeilten, schwer Berauschten und glatt Durchgeknallten, unter denen Mona Lisa erstmal gar nicht weiter auffällt.

Bis sie dann natürlich doch auffällt und mehrere Figuren sich aus nicht eben uneigennützigen Motiven an ihre Fersen heften und sodann einander in die Quere kommen. Die Frage, wer oder was Mona Lisa Lee eigentlich ist, gerät darüber glatt in Vergessenheit – und es ist, als würde der Film mit seinem Publikum verfahren, wie dessen Heldin mit ihren Verfolgern. Am Ende geht das Licht im Kinosaal wieder an und dann steht da die Frage: Was war das denn? Alexandra Seitz

USA 2021; 106 Min.; R: Ana Lily Amirpour, D: Jeon Jong-seo, Kate Hudson, Craig Robinson; Kinostart: 6.10.

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