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Filmstarts der Woche: Von „Thor: Love and Thunder“ bis zum Sissi-Film „Corsage“

Diese Woche expandiert wieder einmal das Marvel-Universum: „Thor: Love and Thunder“ arbeitet, unter anderem mit Natalie Portman, an den nordischen Facetten des Riesenmythos. Dem steht ein gewichtiger Arthouse-Start gegenüber: „Corsage“ von Marie Kreutzer, ein neuer Film über die oft als Sissi verkitschte österreichische Kaisern Elisabeth. Und sonst? Ein neuer Woody Allen, allerlei Animation, und die desaströse Komödie „Liebesdings“ mit Elyas M’Barek. Die Filmstarts der Woche im tipBerlin-Überblick.

Thor: Love and Thunder

„Thor: Love and Thunder“ von Taika Waititi. Foto: Disney

SUPERHELDEN Taika Waititi hat viel um die Ohren: Vor zwei Jahren bekam er für seine Hitler-Komödie „Jojo Rabbit“ den Oscar, momentan schneidet er einen Film über Fußballer aus Samoa (!), schreibt an einem neuen „Star Wars“-Film, ist im Fernsehen als Pirat Blackbeard zu sehen, im neuen Pixar-Film „Lightyear“ spricht er eine Rolle, und zwischendurch war er Co-Autor und Regisseur des neuen Marvel-Films „Thor: Love & Thunder.“ Das umtriebige, nie zur Ruhe kommende Wesen seines Machers zeigt sich auch hier, denn der vierte Film über den nordischen Gott Thor ist ein ADHS-Film erster Güte.

Teils typischer Marvel-Film mit dem zwar vom Oscar-Preisträger Christian Bale gespielten, aber durch und durch schematischen Antagonisten God Butcher, der, genau, Götter tötet, teils melodramatische Romanze, in der Thor (muskelbepackt: Chris Hemsworth) nach Liebe sucht, teils emanzipatorisch wertvolles Abenteuer, in dem Thors Ex Jane Foster (Natalie Portman) ebenfalls zu Thor wird und den Hammer schwingt. Circa alle fünf Minuten scheint „Thor: Love & Thunder“ den Erzählton zu wechseln, wirkt mal kindlich albern, dann betont schlüpfrig und voller sexueller Anspielungen, bleibt im Kern aber ein typischer Marvel-Film. Allerdings einer, der nicht am großen Ganzen des Marvel Cinematic Universe weitererzählt, sondern isoliert im Raum steht. Als technologisch hochwertiges Stückwerk mag man „Thor: Love & Thunder“ verstehen, aber auch als einen Film, der den umtriebigen, kaum zu bändigenden Geist seines Machers auf durchaus bemerkenswerte Weise widerspiegelt. Michael Meyns

USA 2022; 119 Min.; R: Taika Waititi; D: Chris Hemsworth, Natalie Portman, Christian Bale; Kinostart: 8.7.

Corsage

„Corsage“ von Marie Kreutzer. Foto: Alamode

DRAMA Die österreichische Kaiserin Elisabeth war mit einem Mythos verheiratet: Franz Josef regierte viele Jahrzehnte bis zum Ende des Habsburgischen Imperiums. Über die Ehe sind viele Geschichten in Umlauf, über allem schweben bis heute die Sissi-Filme, die regelmäßig im Fernsehen alte Backfischmotive aufwärmen. „Corsage“ von Marie Kreutzer nähert sich dieser Figur mit einem zugleich intimen und distanzierenden Blick. Elisabeth wird in einem komplexen Netzwerk sichtbar, das die Monarchien im 19. Jahrhundert über Europa gelegt hatten. Für sie ist es auch ein Netzwerk an Privilegien, viele Orte stehen ihr offen, ihre Passion für das Reisen (oder für das nirgends sein) trifft auf offen Einladungen.

Vicky Krieps spielt die erwachsene Kaiserin als eine Provokateurin, auch ihrer selbst. Beinahe schon könnte man von einer experimentellen Lebenshaltung sprechen, wobei Marie Kreutzer das immer wieder mit einem großen Geschick für Zeichenhandlungen aus der Vergangenheit in die Gegenwart holt: War der Mittelfinger schon damals eine Geste der Respektlosigkeit, war es überhaupt denkbar, dass eine Monarchin sich so von einer Tischgesellschaft verabschiedet? „Corsage“ verweist auf die Einschnürung, zu der Frauen damals genötigt waren, eine Kleidungsform, die ohne Personal sinnlos gewesen wäre. Zwei Tätowierungen unter der Beengung deuten schließlich auf eine Offenheit, die Elisabeth wohl nur im Tod (und in einem frechen Filmende) finden konnte. Bert Rebhandl

Österreich/Deutschland u.a. 2022; 112 Min.; R: Marie Kreutzer; D: Vicky Krieps, Florian Teichtmeister, Katharina Lorenz; Kinostart: 7.7.

Das Pfauenparadies

„Das Pfauenparadies“ von Laura Bispuri. Foto: Realfiction

DRAMA Wenn im Kinofilm eine Familie zusammentrifft, um einen Geburtstag zu feiern, weiß man gleich, dass es da wohl nicht mit einem Stück Torte und einem Prösterchen auf die Jubilarin getan sein wird. Familienfeier, das ist im Kino ein Synonym für Desaster. Oder weniger wertend ausgedrückt: ein Synonym für Drama. Weil sich da unterschiedliche Menschen begegnen, die sich gleichwohl gut kennen und einander verbunden sind durch Emotionen und Konventionen. Leute, die für das Leben, das sie miteinander haben, Kompromisse eingegangen sind, und die sich dabei auch Fassaden aufgebaut haben, hinter die sie sich nicht gern gucken lassen. Doch irgendwann drängen sie dann eben doch ans Licht, jene Träume, Wünsche und alternativen Lebensplanungen, die beiseitegelegt und aus Rücksicht auf die anderen nicht weiter verfolgt wurden.

In Laura Bispuris „Das Pfauenparadies” hat Nena (Dominique Sanda) an einem sonnigen, aber windigen Wintertag zu ihrer Geburtstagsfeier in die Wohnung am Meer geladen. Bereits anwesend sind ihr Mann Umberto, die Haushälterin Lucia und deren Tochter Grazia. Dazu kommen Nenas Sohn Vito mit seiner Freundin Adelina und der gemeinsamen kleinen Tochter Alma, sowie ihre Tochter Caterina, die ungeplant noch ihren Ex-Mann Manfredi im Schlepptau hat und dessen –  definitiv nicht eingeladene, aber irgendwann doch in der Wohnung befindliche – Geliebte Joana. Schließlich trifft auch noch Isabella ein, eine Großcousine.

„Das Pfauenparadies” ist ein kleines Drama: ein Schauplatz, Gesprächssituationen in verschiedenen Konstellationen, besonders weltbewegende Dinge werden auch nicht beredet. Und doch gefällt dieser eher sanft insistierende Film mit seinem Blick für Details, seiner Empathie für die Figuren und der Zeit, die er sich dafür nimmt.

Der Auslöser, um sich zu öffnen, ist für die Protagonist:innen übrigens das Schicksal des Pfaus, den Alma als Haustier hält: Er versucht irgendwann, sich von der Balkonbrüstung in die Lüfte zu schwingen, um einer Taube hinterher zu fliegen und plumpst dabei recht kläglich auf die Straße: auch eine Art alternativer Lebensentwurf, wenngleich nicht unbedingt der klügste. Lars Penning

D 2021; 89 Min.; R: Laura Bispuri; D: Dominique Sanda, Alba Rohrwacher, Maya Sansa; Kinostart: 7.7.

Rifkin’s Festival

„Rifkin’s Festival“ von Woody Allen. Foto: Filmwelt

KOMÖDIE Natürlich gibt es Leute, die konnten Woody Allen und seine Filme noch nie leiden. Das beständige Kreisen um den eigenen Bauchnabel, Scherze über Sex und Psychiater: unfilmisch. Aber es gab auch mal eine Zeit, da besaß das alles durchaus einen gewissen Witz, und irgendwann in den frühen 80ern, in Filmen wie „Stardust Memories“ und „Zelig“ sogar filmische Inszenierungsstrategien jenseits von hysterischem Dauergeplapper. Doch das ist lange her. Woody Allen ist 86 Jahre alt und immer noch erstaunlich produktiv, aber längst in einem etwas zweifelhaften Alterswerk angekommen, in dem alte Ideen nur noch ziemlich lau wieder aufgewärmt werden.

Das Vorbild von „Rifkin’s Festival” ist „Stardust Memories“, Allens von Fellinis „8 1/2” inspiriertem Film um einen von Fans auf einem Festival bedrängten Regisseur in der Schaffenskrise. Hier nun ist der Protagonist Mort Rifkin (Wallace Shawn), ein ehemaliger Filmdozent und an sich zweifelnder Romanautor, der seine als PR-Agentin arbeitende Frau auf das Filmfestival von San Sebastián begleitet. Während sie eine Affäre mit einem prätentiösen Regisseur beginnt, lernt er eine Ärztin kennen, mit der er sich ein neues Leben vorstellen könnte. 

Seine Ängste und Wünsche finden dabei Ausdruck in Träumen, die dem europäischen Kunstkino der 50er- und 60er-Jahre nachempfunden ist, das Allen so liebt: die Nouvelle Vague, Bergman, Buñuel. Richtig viel hilft das zwar nicht in diesem müden Non-Stop-Gequatsche, aber immerhin gibt der Tod aus Bergmans „Das siebente Siegel” in Gestalt von Christoph Waltz diesmal gute Tipps für ein langes Leben: „Vermeiden Sie gesättigte Fettsäuren und gehen Sie immer schön zur Darmspiegelung”. Lars Penning

E/I 2022, 88 Min.; R: Woody Allen; D: Wallace Shawn, Gina Gershon, Elena Anaya; Kinostart: 7.7.

Vier Wände für Zwei

„Vier Wände für Zwei“ von Bernabé Rico. Foto: 24 Bilder

Gegensätze ziehen sich bekanntermaßen an, zumindest im Kino oder auf der Theaterbühne. Von dort stammt die Vorlage zu Bernabé Ricos Tragikomödie „Vier Wände für Zwei“, ein Stück namens „100 qm²“, das besonders im spanischsprachigen Raum große Erfolge feierte, aber auch in Deutschland aufgeführt wurde. Hauptschauplatz ist eine Wohnung in Sevilla, die die erfolgreiche Anwältin Sara (Juana Acosta) gerade für einen Schnäppchenpreis gekauft hat. Der Haken: Die Wohnung ist noch bewohnt und kann erst bezogen werden, wenn die bisherige Besitzerin, die 74-jährige Lola (Kiti Mánver), das Zeitliche gesegnet hat. Warum Sara sich auf dieses Geschäft eingelassen hat, wird schnell klar: Ihre Ehe mit Daniel (Daniel Grao) liegt in den letzten Zügen, eine Affäre ihres Mannes kann Sara nicht verzeihen, mit dem Wohnungskauf will sie für die Trennung vorbereitet sein.

Doch es kommt anders, natürlich. Die beiden Frauen, die sich anfangs eher als Gegnerinnen gegenüberstanden, erweisen sich als Schwestern im Geiste. Aus unterschiedlichen Generationen stammen Sara und Lola zwar, doch die Probleme sind gleichgeblieben: untreue Männer, ein Wunsch nach Eigenständigkeit, der von der patriarchalischen Gesellschaft ungern gesehen wird, dazu gesundheitliche Probleme, die bald zu einer tiefen Verbindung führen. Leicht ließe sich „Vier Wände für Zwei“ als feministisches Manifest verstehen, das unabhängige Frauen zeigt, die auch ohne Männer ganz gut zurecht kommen. Doch Regisseur Bernabé Rico erzählt in seinem Debütfilm auf undogmatische Weise von einer ungewöhnlichen Freundschaft, bei der es am Ende um mehr geht als um das Wohnrecht in einer geräumigen Wohnung. Michael Meyns

Spanien 2020; 94 Min.; R: Bernabé Rico; D: Juana Acosta, Kiti Mánver, Carlos Areces; Kinostart: 7.7.

Alfons Zitterbacke – Endlich Klassenfahrt

„Alfons Zitterbacke – Endlich Klassenfahrt“ von Mark Schlicher. Foto: X-Verleih

Wie die Zeit vergeht: 2019 lernten wir Alfons Zitterbacke als zehnjährigen Jungen kennen, ein fantasiebegabtes Stehaufmännchen, schwankend zwischen (übertriebenem) Selbstbewusstsein und (resignativen) Selbstzweifeln, wenn mal wieder etwas nicht geklappt hatte. Was öfter vorkam, er bezeichnete sich selbst als Pechvogel. Drei Jahre später ist er ein junger Mann, ein Teenager, aber das Pech scheint ihn immer noch zu verfolgen. Denn als er bei der Klassenfahrt seinen Koffer öffnet, befinden sich darin die Sachen seiner Mutter. Doch es kommt noch schlimmer: Um die neue Mitschülerin Leonie zu beeindrucken, kandidiert Alfons bei der Wahl zum Klassensprecher. Dummerweise hat das auch sein Intimfeind Nico mitbekommen, der ihn daraufhin zu einer Wette verleitet.

Eine saudumme Wette, eine typische Macho-Wette mit der Frau als Objekt, das sollte 2022 eigentlich ein No Go sein. Was eine Chance gewesen wäre, problematisiert der Film allerdings nur in höchst bescheidenem Rahmen und setzt lieber auf Bewährtes aus dem vorhergegangenen Film: auf die Animosität des strengen Lehrers Flickendorf ebenso wie auf die Unterstützung, die Alfons durch seine Freunde Benni und Emilia erfährt. Am Ende wird Nico fast zu einer tragischen Figur, bevor ein dramatisches Finale mit einer Rettung in letzter Sekunde alles in Harmonie enden lässt.

Knüpfte der Vorgänger mit Alfons’ Wunsch, Astronaut zu werden, noch geschickt an die Erstverfilmung von 1966 an, in der DDR so populär wie die zugrundeliegenden Kinderbücher, so fehlt der Fortsetzung dieses Alleinstellungsmerkmal. Das macht den Film ein Stück weit austauschbar. Frank Arnold

D 2022; 92 Min.; R: Mark Schlichter; D: Louis Vorbach, Leni Deschner, Alexandra Maria Lara, Sam Riley; Kinostart: 7.7.

Karlchen

„Karlchen – Das große Geburstagsabenteuer“ von Michael Ekbladh. Foto: Leonine

Die elf Vorlese-Bilderbücher um den kleinen Hasen Karlchen, die Autorin Rotraut Susanne Berner in den Jahren 2001 bis 2014 schuf, richten sich an Vorschulkinder: einfache, aber sehr hübsche Zeichnungen, in denen Primärfarben dominieren, und episodisch aufgebaute Geschichten, die dem Erfahrungshorizont der Kinder entsprechen – und ihn behutsam erweitern.

Der erste „Karlchen”-Film übersetzt dieses Konzept jetzt deckungsgleich ins Kino: „Karlchen – Das große Geburtstagsabenteuer” wirkt im Wesentlichen, als ob ein Bilderbuch leaufen gelernt hätte. Die Figuren sind praktisch unverändert, der bedächtige Rhythmus der Geschichten – in denen sich jenseits des reinen Handlungsablaufs auch noch viel Platz für kleine Naturbeobachtungen findet – ist nicht künstlich hochgetunet, und über die Frage, was bei den Kids denn aktuell gerade besonders hip sei, hat hier garantiert auch niemand nachgedacht.

Stattdessen können Fünfjährige den eigenen Alltag vielleicht wiederfinden in einer Situation, in der die kleine Baby-Schwester, mit der man noch nicht mal richtig spielen kann, die ganze Aufmerksamkeit bekommt, weil sie krank ist. Und wenn das auch noch am eigenen Geburtstag passiert, auf den man sich so gefreut hat, dann macht die das doch mit Absicht, oder? Karlchen ist jedenfalls reichlich sauer, beschließt, zu Oma auszuwandern, wo ihm garantiert mehr Empathie entgegengebracht werden wird – und verläuft sich mit seiner Freundin Monika und ihrem Hund Bello im Wald.

Dort gibt es auch mal eine kleine Bedrohung (der Fuchs) oder im Gewitter einen Schrecken, aber der Film federt diese Situationen sanft ab – und letztlich gibt es kein Problem, das man nicht gemeinsam lösen könnte. Lars Penning

D/NL/S 2021; 74 Min.; R: Michael Ekbladh; Kinostart: 7.7.

Willkommen in Siegheilkirchen

„Willkommen in Siegheilkirchen – Der Deix-Film“ von Marcus H. Rosenmüller. Foto: Pandora

KARIKATUR Der 2016 verstorbene Zeichner und Kunstmaler Manfred Deix war weit über sein Lebensthema Österreich hinaus berühmt für seine realistischen Darstellungen grotesker Figuren und Situationen. Dass das Falsche meist mit dem Hässlichen einhergeht, ist allerdings eine zweideutige Grundlage für Gesellschaftskritik. Deix fand entsprechend auch das Schöne im Schwabbeligen, und über die Jahrzehnte brachte er ein gigantisches Universum zustande. In Deutschland hat Marcus H. Rosenmüller sich als kritischer Heimatfilmer aus Bayern einen guten Namen gemacht.

Nun blickt er über den Inn nach Osten und widmet Manfred Deix einen biografischen Film: „Willkommen in Siegheilkirchen“ gönnt sich dabei die Pointe, dass die ästhetische Entsprechung zu den üppigen Dorfschönheiten und feisten Lokalherrschern am ehesten an den Disney-Kosmos rührt. Denn Rosenmüller erzählt die Werdejahre des jungen Deix als Animationsfilm, und das bringt es mit sich, dass manchmal eine Figur fast schon in die Welt der „Eiskönigin“ passen würde. Dazu kommt eine Parodie auf „E.T.“, mit der Rosenmüller sein Recht auf Provinzblockbuster geltend macht. Geschickt werden in dem Drehbuch von Martin Ambrosch die ersten, natürlich erotisch grundierten künstlerischen Versuche mit der politischen Zeitgeschichte in Österreich (Anspielungen auf rechten Terrorismus) verknüpft. „Willkommen in Siegheilkirchen“ ist ein eigenwilliger Irrläufer, der aber mit unvergesslichen Charakteren wie dem Wirt Poldi eine Menge Hausverstand im Kleingedruckten mitführt. Bert Rebhandl

D 2021; 86 Min.; R: Marcus H. Rosenmüller; Stimmen: Markus Freistätter, Gerti Drassl, Gregor Seberg; Kinostart: 7.7.

Liebesdings

„Liebesdings“ von Anika Decker. Foto: Constantin

KOMÖDIE Stars sind häufig strahlende Menschen, die um einen wunden Punkt gebaut sind. Im Falle des deutschen Filmstars Marvin Bosch ist dieser wunde Punkt Neukölln. Er kommt aus dem Bezirk, der im Grunde weder besonders gefährlich ist noch besonders desolat. Bisschen schäbig halt an der einen oder anderen Ecke, aber das lesen die Hipster doch als Charme. Im Rest von Deutschland hat sich aber hartnäckig die Annahme festgesetzt, in Neukölln hätte die Republik so etwas wie einen Außenposten von Chicago 1933 oder Kabul 1996. Und so kommt es auch, dass der Filmstar Marvin Bosch in Anika Deckers Komödie „Liebesdings“ eine Vorgeschichte verpasst bekommt, zu der man geradezu „In the Ghetto“ spielen müsste.

Man muss noch dazu sagen, dass Marvin Bosch von Elyas M’Barek gespielt wird, dem größten Star, den das richtige deutsche Kino derzeit hat. Der kommt aus München und versucht gar nicht groß, gegen sein Image als Saubermann und Traumschwiegersohn anzukämpfen. Anika Decker hingegen hat sich für Marvin Bosch eine Menge ausgedacht: eine desolate Kindheit (in Neukölln) und einen Tankstellenüberfall (in Neukölln), der ihm noch Jahrzehnte später das Gewissen belastet. „Liebesdings“ erzählt davon, dass Bosch vor der Premiere seines nächsten großen Hits einer Reporterin namens Bettina Bamberger (Aleandra Maria Lara) ein Interview gibt. Dabei stellt sich heraus, dass sie „belastendes“ Material gegen ihn hat ­– es hat mit einer Kindheit in Neukölln zu tun.

Marvin Bosch hat nach den negativen Schlagzeilen wenig Lust auf eine große Premiere, und bummelt unschlüssig durch die Stadt. Er stößt dort auf eine Off-Bühne namens Theater 3000, wie man sie in Berlin an jeder Ecke und sicher auch in Neukölln findet. Um der Komödie ein wenig Tempo zu verleihen, wird ihm zuerst einmal ein psychedelisches Getränk eingeflößt, unabsichtlich – von nun an haben die Theaterleute, die von seinem Ruhm keine Ahnung haben, ein Stück weit Verantwortung für ihn. Es sind queer-feministische Theaterleute, das 3000 hat sich allem Geschlechterprogressiven verschrieben, was an einer Stelle dazu führt, dass Elyas M’Barek mit einer Stoffklitoris auf dem Kopf an einer Bar steht und so etwas wie Konversation machen muss. Immerhin kann er auf die Dialoge von Anika Decker zurückgreifen.

Die Drehbuchautorin und nunmehrige Regisseurin wurde durch ihre Zusammenarbeit mit Til Schweiger bekannt („Keinohrhasen“ etc.), später überwarf sie sich mit dem großen Einzelgänger des deutschen kommerziellen Kinos, weil er ihren künstlerischen Input nicht ausreichend würdigte.

„Liebesdings“ ist nun, wie auch schon „Traumfrauen“ (2013), ganz und gar ihr eigenes Ding. Der Film ist ganz und gar im Einklang mit einem liberalen identitätspolitischen Programm, er trägt alle  möglichen bunten Fahnen vor sich her, und bietet auch Comedy-Stars eine Bühne, die nicht jede Pointe zweimal umdrehen. Als Komödie aber ist „Liebesdings“ ein Desaster, und als Film über Berlin auch.

Selten hat man Elyas M’Barek, der ja keineswegs ein Snob mit seinen Projekten ist, so ratlos seine Szenen herunterspielen sehen. Er soll hier zum Aushängeschild einer diversen Community werden, aber in dieser utopischen Gemeinschaft ist das Richtige immer schon so klar, dass witzige Kämpfe und Auseinandersetzungen ausbleiben. So wird man „Liebesdings“ eines Tages vielleicht am ehesten als Kuriosum sehen: als Beispiel dafür, wie das deutsche Mainstreamkino sich mit einem Aufruf zur allgemeinen Bravheit zwischen die 4 Blocks von Neukölln zu drängen versuchte. Bert Rebhandl

D 2022; 99 Min.; R: Anika Decker; D: Elyas M’Barek, Alexandra Maria Lara, Denis Moschitto; Kinostart: 7.7.

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