Nach der ikonischen Performance von Russel Crowe als „Gladiator“ vor knapp einem Vierteljahrhundert schien eine Fortsetzung des Ridley Scott-Klassikers unwahrscheinlich. In „Gladiator 2“ schickt der Regisseur jetzt den Iren Paul Mescal in die römische Arena und auf die Leinwand. Für tipBerlin-Kritiker Michael Meyns bietet der Hollywood-Schinken keine Überraschungen, sieht dafür aber fantastisch aus.
Ridley Scotts „Gladiator 2“ ist eine Allegorie über die Bedrohung der Demokratie
„Es gab einen Traum von Rom“ lautet das Marcus Aurelius zugeschriebene Mantra, das neben der persönlichen Rache die Handlung von „Gladiator“ und nun auch seiner späten Fortsetzung prägt. Diesen Traum von einer noblen, von hehren Motiven geleiteten Gesellschaft als Leitstern für andere Völker und Kulturen träumten auch die amerikanischen Gründungsväter, als sie 1787 die amerikanische Verfassung unterzeichneten. Washington D.C. wurde zu einer Hauptstadt, die architektonisch und ideell dem Vorbild Roms nacheiferte.
Doch nun wankt das amerikanische Imperium, und der Blick geht immer wieder zur Geschichte von Rom, jenem antiken Weltreich, das nach Jahrhunderten der Machtentfaltung so grandios scheiterte. Francis Ford Coppolas „Megalopolis“ spielte nicht umsonst in einem futuristischen New York, das New Rome hieß, und auch Ridley Scotts „Gladiator 2“ entwickelt sich nach schleppendem Beginn zunehmend zu einer deutlichen, wenn auch widersprüchlichen Allegorie über die Bedrohung der Demokratie, über den Griff zur Macht durch fragwürdige Gestalten und zur Reflexion über die Frage, ob der Traum vom Rom tatsächlich eine Möglichkeit oder doch nur eine Fantasie ist.
Bis sich die Fortsetzung allerdings vom Original löst, bemüht sich der inzwischen 86-jährige Ridley Scott fast schon streberhaft um möglichst viele inhaltliche und visuelle Anspielungen an jenen Film, der 2000 sein größter Erfolg wurde und seinem Hauptdarsteller Russell Crowe den Oscar bescherte. Crowes Figur, der zum Gladiator gewordene General der römischen Armee, war im Finale im Duell gestorben, was eine klassische Fortsetzung aus offensichtlichen Gründen schwierig machte. Ohne Crowe jedoch keine Fortsetzung, das war die durchaus nachvollziehbare Logik. So ikonisch war die Performance des Australiers, dass man wirklich niemandem zumuten wollte, in seine Fußstapfen zu treten.
Dies tut nun der Ire Paul Mescal, dessen Figur Hanno auf so offensichtliche Weise mit Maximus verbunden ist, dass man es eigentlich nicht spoilern kann. So wie Maximus verliert auch Hanno einen geliebten Menschen, sinnt nach Rache und kommt als Gladiator nach Rom. Weitestgehend überraschungsfrei läuft das ab, sieht wie immer bei Ridley Scott fantastisch aus, von den Kostümen über die Sets bis zu grandiosen Flugaufnahmen über das im Computer entstandene antike Rom.
Mehr und mehr wird jedoch eine Figur zum Mittelpunkt der Handlung, die den Traum von Rom verlacht und verachtet: Der von Denzel Washington gespielte Macrinus, Herr über einen Stall von Gladiatoren, wenn man so will ein Entertainer, heute wäre er wohl TV-Star, der sich bald in die politische Klasse Roms einschleicht und an die Macht strebt. Chaos hat er im Sinn, ganz im Gegensatz zu einer rivalisierenden Fraktion, die die beiden unbeliebten, degenerierten Kaiser durch den Einmarsch einer Legion absetzen will. Auch nicht unbedingt ganz demokratisch, aber vielleicht heiligt der Zweck ja die Mittel?
„Gladiator 2“ sendet widersprüchliche Zeichen
Wie so oft bei Hollywood-Großproduktionen, die in erster Linie unterhalten wollen, unterschwellig aber allegorisch lesbar sind, sendet auch „Gladiator 2“ widersprüchliche Zeichen: Ein an den 6. Januar 2021 erinnernder Sturm auf das Kapitol etwa, wird hier gegen die offensichtlich dekadenten Kaiser angestrebt, aber will man die Aggression des Mobs wirklich positiv verstehen? Dann wieder eine Szene im Senat: Der angehende Diktator fordert per Akklamation die Macht über die Prätorianergarde – und bekommt sie auf offiziell demokratische, aber durch und durch fragwürdige Weise.
Am Ende mag man sich fragen, ob man im Jahre 2024 noch ernsthaft an den Traum von Rom und damit den Traum von Amerika glauben kann, so wie Ridley Scott es hier bildgewaltig tut. Aus freien Stücken haben die Amerikaner vor ein paar Tagen einen Mann gewählt, der mit Autokraten kungelt, Diktator spielen will und die mächtigste Armee der Welt kontrolliert. Ein wenig optimistischer Hollywood-Eskapismus ist da vielleicht nicht das Schlechteste.
- USA 2024, 148 Min., R: Ridley Scott, D: Paul Mescal, Denzel Washington, Connie Nielsen, Start: 14.11.
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