Bei den 55. Hofer Filmtagen, die vom 26. bis 31. Oktober 2021 in der fränkischen Stadt Hof stattfanden, wurden vielversprechende Nachwuchstalente präsentiert und bewegende Dokumentarfilme gezeigt. Thematisch bewegte sich das Ganze zwischen „Birth, School, Work, Death“, wie im Punk-Klassiker der Godfathers. Unser Autor hat die Hofer Filmtage besucht.
Die Hofer Filmtage haben sich verändert
Welch ein Schock! Die Würstchenbude ist verschwunden! Ach nein, da steht sie, 20 Meter von jenem Punkt direkt vor dem Kino Central entfernt, an dem jahrzehntelang die unerreichten Hofer Bratwürste kredenzt wurden. Doch das ist nicht das Einzige, was sich seit dem Tod von Heinz Badewitz, dem Gründer der Hofer Filmtage, 2016 verändert hat.
Sein Nachfolger Thorsten Schaumann setzt in seiner Auswahl besonders bei den Spielfilmen auf Nachwuchstalente, große Namen findet man bei der Regie oder der Besetzung eher seltener, vorbei die Zeiten, als namhafte hiesige Filmemacher ihren neuen Film für eine Premiere in Hof aufsparten. So galt es also für den Besucher selbst, die relevanten Filme zu erkunden, und da versprach besonders der Dokumentarfilmsektor einiges – dank spannender Themen, Personen und Orte.
55. Hofer Filmtage: Kapitalismuskritik zwischen Detroit und Bochum
Ein roter Faden schlängelte sich durch die Festivalbeiträge: Etliche Dokumentarfilme beschäftigen sich mit der Arbeitswelt und den darin aktiven Menschen. Ulrike Franke und Michael Loeken stammen aus dem Ruhrgebiet und ziehen in „We Are All Detroit – Vom Bleiben und Verschwinden“ einen spannenden Vergleich zwischen Detroit und Bochum. Beiden Städten gemein ist der Niedergang der Autoindustrie, in den USA allerdings weitaus radikaler als im Pott. Ihr Film ist ein Plädoyer gegen den ungebremsten Kapitalismus und für sorgsame Erneuerung, bei der die Menschen vor Ort nicht vergessen werden dürfen.
Auch Stammgast Alexander Riedel ist wieder dabei
Der Augsburger Alexander Riedel ist in Hof mit seinen Filmen Stammgast und hat bereits 2007 bei seinem sehenswerten Film „Draußen bleiben“ ganz offen zugegeben, dass er bei seinen dokumentarischen Beobachtungen immer wieder auch inszenatorisch eingreift, um auf seine Art der Wahrheit näher zu kommen. Das scheint nun auch bei „Nach der Arbeit“ so zu sein.
Riedel porträtiert fünf spannende Menschen, die den Übergang vom Arbeits- ins Rentnerleben exerzieren müssen oder wollen – vom Fischer, der seinen Kindern den Betrieb vermachen will, über den Stahlarbeiter, der sich weiterhin gewerkschaftlich engagiert, bis zum türkischstämmigen Münchner Busfahrer, der seine Rentendasein in der alten Heimat verbringen will. Ein kurzweiliger Porträtfilm, der seinen Protagonisten sehr nahe kommt und einen über die eigene Zukunft nachdenken lässt.
55. Hofer Filmtage: Der Niedergang des Einzelhandels
Aus der niedersächsischen Provinz stammt die Filmemacherin Antje Hubert. Sie untersucht in ihrer Langzeitdokumentation „Alles, was man braucht“ den Niedergang und die Umstrukturierung von kleinen Lebensmittelläden in der norddeutschen Pampa, und das in Ost- und Westdeutschland. Und sie trifft auf engagierte Menschen, die sich vor allem wegen der vielen Discounter durch einen mühsamen Arbeitsalltag kämpfen, aber oft auf viel Solidarität in der Bevölkerung stoßen. Und auch hier schwingt mit, was passiert, wenn man dem Kapitalismus freien Lauf lässt.
„Isolation“: Die Pandemie aus fünf Perspektiven
Im ersten Lockdown haben sich die fünf Filmemacher:innen Michele Placido, Julia von Heinz (sie erhielt dieses Jahr den Preis der Stadt Hof), Michael Winterbottom, Jaco Van Dormael und Olivier Guerpillon zusammengetan und berichten in dem Kompilationsfilm „Isolation“ auf recht unterschiedliche Weise von den Auswirkungen der Pandemie.
Während Julia von Heinz („Und morgen die ganze Welt“) den plötzlichen Tod ihres Vaters verarbeitet, streift Michele Placido durch die ausgestorben wirkenden Straßen von Rom. Michael Winterbottom thematisiert eine Isolation im doppelten Sinne, in dem er eine alleinerziehende Migrantin porträtiert, der es in Großbritannien verboten ist, zu arbeiten.
Und während Olivier Guerpillon sich mit der Pandemie in seiner Wahlheimat Schweden beschäftigt, zeigt Jaco von Dormael das einsame Sterben von älteren Menschen in den Intensivstationen. Ein zu Herzen gehendes Projekt, das einmal mehr den Ernst der pandemischen Lage dokumentiert.
55. Hofer Filmtage: Vielfältiges Programm
Und während andere Filme sich mit den streunenden Hunden Athens jenen Menschen nähern, die sich um sie kümmern („Oi Agnostoi Athinaioi – Die anderen Athener“ von Angeliki Antoniou ), den Arbeitsalltag einer Wetterstation am nördlichen Polarmeer zeigen („Die Wettermacher“ von Stanislaw Mucha) oder mexikanische Wrestlerinnen porträtieren („Luchadoras“ von Paola Calvo und Patrick Jasim), lernen wir auch noch den (inszenierten) Arbeitsalltag einer ganz besonderen Frau kennen:
In der Mockumentary „Sargnagel – Der Film“ sind wir Zeuge, wie ein Film über die radikal feministische Autorin Stefanie Sargnagel gedreht werden soll. Das ist natürlich alles Fake, gibt aber einen amüsanten Blick in die Lebenswelt der österreichischen Starautorin und spart auch nicht an Schmäh und Grind. Und diverse Künstlergrößen Wiens wie der Sänger Voodoo Jürgens geben sich neben Sargnagel selbst auch noch die Ehre.
Hier informieren wir euch immer über die Filmstarts der Woche. Wir sprachen über komplexe Frauenfiguren und ihre Rolle in „Es ist nur eine Phase, Hase“: Unser Interview mit Christiane Paul. Tolle Dokus gab es bei den Hofer Filmtagen 2024 zu sehen – ein Rückblick. Zwei Berliner und ihr Kampf gegen Google: Darum geht’s in der Netflix-Serie „The Billion Dollar Code“. Immer aktuelle Texte findet ihr in unserer Film-Rubrik.