Der belgische Regisseur Leonardo Van Dijl erzählt in „Julie bleibt still“ auf besonders sensible Weise von den Schwierigkeiten, in Missbrauchsfällen die Wahrheit zu finden. Dabei geht es auch sehr viel um Tennis. tipBerlin-Kritiker Bert Rebhandl hat diesen Sport – wenn überhaupt – zuletzt in Luca Guadagninos „Challengers“ so brillant gefilmt gesehen.

Julie ist eine vielversprechende Tennisspielerin. Sie trainiert auf einer großen Anlage in Belgien mit zahlreichen weiteren Jugendlichen. Sie hat das Potenzial für „ganz oben“, sagt man über sie. Sie ist Teil einer Gruppe und steht doch für sich, denn die anderen merken, dass Julie besser ist. In den ersten Szenen des Films „Julie bleibt still“ wird die Routine durch Getuschel unterbrochen. Es ist etwas passiert. Jeremy, ein Trainer, der tagtäglich an der Seite der jungen Frauen war, ist nicht mehr da. Und dann eine schreckliche Nachricht: Alina, eines der Talente, hat sich das Leben genommen. Von nun an steht der Campus unter einer besonderen Spannung. Und Julie, die sich auch gerade auf eine wichtige sportliche Prüfung vorbereitet, gerät unter Druck. Denn sie war die Lieblingsschülerin dieses Jeremy, der nun offensichtlich unter Verdacht steht. Gab es Missbrauch? Oder zumindest ein toxisches Verhältnis in einer Ausbildung? Julie könnte darüber etwas wissen. Sie soll eine Aussage machen. Aber Julie schweigt.
„Julie bleibt still“ verhandelt den schwierigen Umgang mit einem Missbrauchsverdacht
So heißt der Film im Original: „Julie zwijgt“. Es ist keineswegs so, dass sie gar nichts sagt. Sie geht zur Schule, lernt Deutsch, sie redet mit ihrem neuen Trainer Backie. Sie schließt Freundschaften, so richtig aus sich heraus geht sie aber nicht. Denn sie trägt etwas mit sich herum, was sie belastet. Sie muss mit sich selbst ausmachen, ob sie offenbaren will, was sie mit Jeremy erlebt hat.
Leonardo Van Dijl erzählt in „Julie bleibt still“ auf eine besonders sensible Weise von den Schwierigkeiten, in Fällen von Missbrauch die Wahrheit zu finden. Man kann an dem Beispiel Julies sehr gut sehen, dass auch für ein mutmaßliches Opfer vieles in hohem Maß ambivalent ist. Van Dijl tritt seiner Protagonistin (exzellent besetzt mit und gespielt von Tessa Van den Broeck) nie zu nahe. Er findet eine Form, fast alles indirekt in den Blick zu nehmen, und erzählt nebenbei auch sehr viel über das Tennis – allenfalls zuletzt in „Challengers“ von Luca Guadagnino hat man diesen Sport, der Individuen fordern kann bis in die äußersten Extreme, so brillant gefilmt gesehen.
„Julie bleibt still“ ist ein psychologisches Drama, das Leonardo Van Diji mit einem Höchstmaß an filmischer Intelligenz erzählt. Er wählt bewusst eine Perspektive, die alles über eine einzige Figur erschließt. Das Schweigen von Julie aber ist beredt weit über diese konkrete Angelegenheit hinaus. Ein großes Thema der Gegenwart in einer klugen Fallstudie.
- Julie bleibt still (Julie zwijgt) Belgien/Schweden 2024; 109 Min.; R: Leonardo Van Dijl; D: Tessa Van den Broeck, Ruth Becquart, Koen De Bouw; Kinostart: 24.4.
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