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Berlinale 2024

„Langue Étrangère“ von Claire Burger: Starkes Generationenporträt

Mit „Langue Étrangère“ nimmt sich Claire Burger Deutschland, Frankreich und das Verhältnis der Kulturen vor. Es geht um zwei junge Austauschschülerinnen zwischen Strasbourg und Leipzig, um Politik, Sorgen, Rassismus und Liebe. Ein starkes Generationenporträt, findet tipBerlin-Kritikerin Paula Schöber, die den Film auf der Berlinale 2024 gesehen hat. Unter dem Titel „Tandem – In welcher Sprache träumst du?“ läuft der Film in Deutschland in den Kinos an.

„Langue Étrangère“: Lilith Grasmug und Josefa Heinsius kommen sich näher. Foto: Les Films de Pierre
„Langue Étrangère“: Lilith Grasmug und Josefa Heinsius kommen sich näher. Foto: Les Films de Pierre

Eigentlich ist „Langue Étrangère“ („Tanden – In welcher Sprache träumst du?“) ein Liebesfilm

„Warum könnt ihr Franzosen kein Englisch?”, „Warum sind alle Deutschen blond?”, so lauten die ungeschminkten Fragen, die sich französische und deutsche Schüler bei einem Austausch nur halb-ironisch an den Kopf werfen. Es ist eine von wenigen Szenen in Claire Burgers Film „Langue Étrangère“, die die Klischees zwischen Deutschen und Franzosen beleuchtet, die auch nach etlichen Jahrzehnten deutsch-französischer Freundschaft noch immer einen Schatten über die gesellschaftliche Beziehung beider Länder werfen. Eigentlich ist „Langue Étrangère“ (deutscher Titel zum Kinostart: „Tanden – In welcher Sprache träumst du?“) nämlich viel mehr ein Liebes- denn ein politischer Film.

„Langue Étrangère“, das bedeutet Fremdsprache, und in der müssen die 17-jährige Lena aus Leipzig und ihre gleichaltrige Austauschpartnerin Fanny aus Strasbourg miteinander kommunizieren. Fanny (Lilith Grasmug) besucht Lena (Josefa Heinsius in ihrem Filmdebüt) für ein paar Wochen in Leipzig. Zuerst kann Lena mit ihrer direkten Art mit der schüchternen Fanny wenig anfangen. Doch schnell wird beiden klar, dass sie auch ohne sich gegenseitig zu ignorieren genug Probleme haben.

Nina Hoss spielt in „Langue Étrangère“ Lenas Mutter

Lenas Mutter, voller Esprit gespielt von Nina Hoss, kommt mit ihrem jüngsten Verlassenwerden nicht klar und greift deshalb zum Alkohol. Außerdem muss Lena sich mit einem rechten Großvater herumplagen. Eigentlich hat sie aber viel größere Sorgen: das Klima, die erstarkenden Rechten in Sachsen, das Patriarchat. Mit überbordendem Aktivismus will die 17-Jährige das angehen, was ihr, wie so vielen jungen Menschen, die im 21. Jahrhundert erwachsen werden, schlicht Angst macht.

Fanny dagegen treiben konkretere Sorgen um: Ob sie jemals einen Freund abkriegen wird? Aber auch: Nicht nur wegen ihres Vornamens ist sie der Häme ihrer Mitschüler ausgesetzt; weil ihr Vater einen arabischen Familienhintergrund hat, hat sie auch mit Rassismus zu kämpfen: „Im Elsass heißt du besser Brussieux als Nader“, gibt sie auf Lenas Nachfrage hin lakonisch zu bedenken.

Magic Mushrooms, Sex und Aktivismus

So kommen sich Lena und Fanny immer näher, genießen die Nähe der anderen und ihre Jugend. Fanny kann sich in Leipzig endlich entfalten, freier sein als zuhause bei ihren kontrollierenden Eltern. Lena nimmt sie mit zu ihren aktivistischen Freunden, zusammen trinken sie und nehmen Magic Mushrooms, probieren sich ganz ungezwungen und zärtlich in ihrer jungen Sexualität aus.

Liebe, Freundschaft, Erwachsenwerden und die Sorgen und Unsicherheiten, die damit verbunden sind, macht Claire Burger zu den Themen von „Langue Étrangère“. Die Regisseurin, die für ihr Spielfilmdebüt „Party Girl“ 2014 in Cannes die Goldene Kamera gewann, ist selbst in Forbach an der französisch-deutschen Grenze aufgewachsen. Statt jedoch von den alten und doch immer noch vorherrschenden Klischees zu erzählen, will sie diese überwinden und den Blick auf andere Probleme richten, „etwas Echtes vermitteln über die Kultur der beiden Länder”.

Mit diesem Ansatz packt Claire Burger so viele Problematiken, gesellschaftliche wie persönliche, in diesen Film, dass er Gefahr laufen könnte, konstruiert und künstlich zu wirken. Doch das tut “Langue Étrangère” an keiner Stelle. Burger gelingt es stattdessen, die persönliche und politische Ebene höchst authentisch miteinander zu verweben. Herausgekommen ist dabei ein starkes Porträt einer Generation, die sich mit etlichen Problemen konfrontiert sieht, jedoch auch nicht davor zurückschreckt, diese voller Tatendrang anzugehen.

Zwar irritiert der etwas unreflektierte Blick auf linksextreme Gewalt (Lena und Fanny werden zunehmend Anhänger des militanten Schwarzen Blocks), doch lässt sich diese Subjektivität durch die absolute Authentizität der Figuren verzeihen. Außerdem wiegt das in “Langue Étrangère” enthaltene klare Statement gegen den erstarkenden Rechtsextremismus nicht nur in Ostdeutschland in diesen Tagen viel schwerer.


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