Bob Dylan kam 1961 mit einer Gitarre und einer Mundharmonika nach New York. Der Rest ist Geschichte. In „Like A Complete Unknown“ spielt Timothée Chalamet den jungen Sänger. tipBerlin-Filmkritiker Gerald Jung hat das Biopic gesehen.
Das Gesamtkunstwerk Bob Dylan (inklusive Literaturnobelpreis 2016) ist mittlerweile ein zwar nicht komplett abgeschlossenes, aber doch schon recht intensiv beackertes Sammelgebiet. Dokumentarfilme wie D. A. Pennebakers „Dont Look Back“ (1967), Martin Scorceses späte Fleißarbeit „No Direction Home“ (2005) und gerade auch fiktionale Annäherungen an den Meister wie Todd Haynes‘ multiperspektivisches Porträt „I’m Not There“ (2007) oder der Coen’sche Geniestreich „Inside Llewyn Davis“ (2013) versuchen, dem Gesamtkunstwerk Dylan auf die eine oder andere Weise auf die Spur zu kommen.
„Like A Complete Unknown“: James Mangold hat die Erlaubnis von His Bobness himself
Fehlte noch ein traditionelles Biopic, wozu der in diesem Genre ausgewiesene Regisseur James Mangold – siehe sein Cash-Porträt „Walk the Line“ von 2005 – allem Anschein nach die Erlaubnis von His Bobness himself erhalten hat. Mit „Like A Complete Unknown” beschränkt er sich auf die fruchtbarste und legendärste Zeit Dylans, auf die frühen 60er Jahre bis zum Eklat beim Newport Festival 1965. Als völlig Unbekannter kommt der junge Bob 1961 als Anhalter nach New York City und lässt sich im Folk-seligen Greenwich Village nieder. Flugs besucht er sein Idol Woody Guthrie im Krankenhaus, wo er praktischerweise gleich auf Pete Seeger, die damalige Galionsfigur der US-Folk-Bewegung, trifft. Der wiederum öffnet dem jungen Interpreten als Mentor zügig Tür und Tor zur Szene.
Es geht einiges zu brav und glatt ab in Mangolds Film, schließlich musste ein überpralles Leben in gut zwei Stunden Laufzeit gepackt werden, Fakten und Ereignisse werden zusammengezogen und auf Linie gebracht. Nicht Dylan hat Joan Baez, seiner damaligen Liebschaft neben Suze Rotolo, die im Film Sylvie Russo heißt, seinen Song „Blowin‘ in the Wind“ generös überlassen, sondern die wesentlich bekanntere Baez hat den unsicheren Knaben mit gemeinsamen Auftritten einem größeren Publikum bekannt gemacht.
Songs für die Ewigkeit
Die größte Frage ist natürlich, wie sich everybody’s darling Timothée Chalamet als Bobby D. macht. Und er weiß in „Like A Complete Unknown“ durchaus zu überzeugen! Vom Dylan’schen Nuscheln und Näseln, kleinen gestischen Eigenarten und der idiosynkratischen Intonation beim Singen abgesehen, bietet Chalamet mit seinem Spiel die offene Projektionsfläche, die es bei so einer quecksilbrigen Figur braucht. So wenig wie er selbst scheint die Entourage seines Bob zu begreifen, wo sein Talent und der bahnbrechende Erfolg so plötzlich herkommen, wie traumwandlerisch er sich Menschen und Situationen bedient, um den Zeitgeist in Songs für die Ewigkeit zu gießen.
Dazu bedarf es vieler Wegbereiter, von denen im Film eine Auswahl mit beeindruckenden DarstellerInnen besetzt ist. Allen voran Edward Norton als Pete Seeger, der guten Seele des Folk, der beim Skandal in Newport das Stromkabel dann doch nicht mit der Axt durchtrennt. Monica Barbaro gibt in Bild und Ton eine verblüffend glaubwürdige Joan Baez, und Elle Fanning sorgt als verlassene Buhlschaft für den romantischen Touch. Letztendlich gelingt es Mangolds schwelgerisch ausgestattetem Film trotz der recht formelhaften Malen-nach-Zahlen-Inszenierung, einen mitreißenden Blick in eine auch popmusikalisch so wichtige Ära wie auf einen Großkünstler als jungen Mann zu werfen.
- Like A Complete Unknown (Originaltitel: A Complete Unknown) USA 2024; 140 Min.; R: James Mangold; D: Timothée Chalamet, Monica Barbaro, Edward Norton; Kinostart: 27.2
Die Deutschland-Premiere von „Like A Complete Unknown“ fand im Rahmen der Berlinale statt, über die wir hier laufend berichten. Was lohnt sich, was stimmt neugierig? Highlights der 75. Berlinale mit Filmtipps aus jeder Sektion. Die filmische Langzeitbeobachtung „Wie die Liebe geht“ begleitet vier Paare über sieben Jahre hinweg. Mehr weiblichen Orgasmus wagen: So ist „Babygirl“ mit Nicole Kidman. „Ich bin nicht die allergrößte Raverin“: „Dark“-Star Lisa Vicari über die (Quasi-)-Berghain-Serie „The Next Level“. Was läuft sonst gerade? Hier ist das aktuelle Kinoprogramm für Berlin. Mehr aus der Filmwelt lest ihr in unserer Kino-Rubrik.