Der Kult-Schocker der diesjährigen Berlinale kommt endlich ins Kino: Die Body Horror-Groteske „Love Lies Bleeding“ von Rose Glass erzählt eine lesbische Lovestory irgendwo im US-amerikanischen Nirgendwo der 1980er, die schnell zur rauschenden Gewaltachterbahn eskaliert. tipBerlin-Kritikerin Marit Blossey findet, Kultstatus hat das blutige Kinoerlebnis schon jetzt.
„Love Lies Bleeding“: Lesben zwischen Hanteln und Klimmzugstangen
Was sind Menschen bereit zu tun für Liebe und Anerkennung? Die richtige Frage vor der Abfahrt in die düstere, martialische Welt von „Love Lies Bleeding“ lautet eigentlich: Was sind Lesben bereit zu tun für Liebe und Anerkennung? Der neue Film der britischen Regisseurin Rose Glass, bekannt für ihr Debüt „Saint Maude“, lief bereits auf der Berlinale, und die Pressetour zum US-Release dürfte auch dem letzten, der es nicht mitbekommen hatte, veranschaulicht haben, dass Kristen Stewart die devote, klinisch heterosexuelle Bella Swan aus der „Twilight“-Saga längst hinter sich gelassen hat.
Lesben und Republikaner verloren – aus unterschiedlichen Gründen – den Verstand, als Stewart in Jockstrap und Lederweste auf dem Cover des amerikanischen „Rolling Stone“ posierte, die Hand tief in der Hose.
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Aber von vorne: Wir schreiben das Jahr 1989. In einer trostlosen Kleinstadt in der Wüste von New Mexico lernen wir Lou (Stewart) kennen, eine Fitnessstudio-Managerin, die eines Abends zwischen Hanteln und Klimmzugstangen auf die knallharte Jackie (Katy O’Brian) trifft. Jackie ist auf der Flucht, vor ihrer Familie, vor sich selbst – und bereitet sich mit größter Entschlossenheit auf einen Bodybuilding-Wettkampf in Las Vegas vor. In absolut klischee-getreuer Lesben-Manier zieht Jackie sofort bei Lou zuhause ein, und die beiden verlieren sich in einer leidenschaftlichen, verschwitzten, obsessiven Affäre. Was folgt, sind zunächst Sexszenen, die besagtes Zeitschriften-Cover fast prüde wirken lassen; dann jedoch wartet schon bald der Abgrund, und zwar wortwörtlich.
Es stellt sich nämlich heraus, dass der Besitzer der dubiosen Shooting Range, auf der Jackie für einen Gelegenheitsjob angeheuert hat, skrupelloser Strippenzieher hinter verstörenden kriminellen Machenschaften in der Wüstenstadt ist – und außerdem Lous Vater. Auch beim Rest der Familie herrschen Probleme, und als Lous Schwager ihrer Schwester gegenüber zum wiederholten Mal gewalttätig wird, spitzt sich die Situation zu. So wird Lou, die sich eigentlich vom Business ihres Vaters fernhalten wollte, doch mit hineingezogen. Blutiger Mord meets Daddy Issues!
„Love Lies Bleeding“ bewegt sich zwischen Body Horror und Exzess
Die subtilen Details in Stewarts Performance, wie das nervöse Durchfahren ihrer Haare, machen Lou zu einem vielschichtigen Charakter mit glaubwürdiger Tiefe. Das sorgt für ein notwendiges Gleichgewicht, während der Film immer weiter Richtung Absurdität und Exzess gleitet. Seine Tonalität wechselt dabei nuanciert zwischen leidenschaftlichen Momenten und tiefgreifenden Konflikten und ist immer wieder zum Schreien komisch. Besonders in der zweiten Hälfte verwandeln sich Bodybuilding-Ästhetik und Steroid-induzierte Allmachtsfantasien in Body Horror und Groteske. Körperlichkeit dient Glass dabei immer wieder als Metapher für die emotionale Entwicklung ihrer Protagonistinnen.
Nicht nur mit Kristen Stewart und Katy O’Brian in ihrer destruktiven Liebesbeziehung ist der Film fantastisch besetzt, auch Schwester Beth (Jena Malone), deren gewalttätiger Ehemann JJ (Dave Franco) und Ed Harris als Meth-Head-Vater überzeugen auf ganzer Linie. Was bleibt am Ende übrig? Die Erkenntnis, dass Missbrauch, Gewalt, zerstörerische Liebe ein Kreislauf sind, Stichwort: transgenerationales Trauma. Dieser Film ist sicher nichts für jeden, doch bei denjenigen, die sich auf ein intensives, bisweilen abstoßendes und blutiges Kinoerlebnis einlassen, dürfte „Love Lies Bleeding“ Kultstatus erreichen.
- Love Lies Bleeding USA/UK 2024; 104 Min.; R: Rose Glass; D: Kristen Stewart, Katy O’Brian, Ed Harris; Kinostart 18.7.
- Den Trailer für „Love Lies Bleeding“ seht ihr hier
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