Es war die Schauspielerin Vicky Krieps, die Marie Kreutzer einen Film über die österreichische Kaiserin Elisabeth vorschlug. Beim Recherchieren fanden sich dann genügend Ideen, um über den Kitsch der Sissi-Filme weit hinauszugehen. Das Ergebnis: „Corsage“. Marie Kreutzer erzählt im Interview mit tipBerlin-Filmkritiker Bert Rebhandl von ihrer Annäherung an eine komplizierte Figur.
Es gibt gar keine guten Sissi-Filme
tipBerlin Frau Kreutzer, woher kam der Wunsch, einen weiteren Film über die österreichische Kaiserin Elisabeth zu machen, die als Sissi zu einer Kultfigur wurde.
Marie Kreutzer Ich finde gar nicht, dass es so viele Filme zu ihr gibt, vor allem keine guten. Vicky Krieps hat mich schon vor ein paar Jahren gefragt, ob wir nicht einmal etwas über Elisabeth machen könnten. Ich hab das nicht so ernst genommen, irgendwann aber doch einmal geschaut, was ist denn in dem Material drin? Es sollte jedenfalls kein Kostümschinken werden.
tipBerlin Vicky Krieps spielt nun auch die Hauptrolle. Was macht sie besonders?
Marie Kreutzer Ich mag Schauspieler, die sehr offen und im Moment sind. Viele kommen mit einem Plan an den Set, dann muss ich das erst einmal abräumen. Ich versuche einen realen Moment zu schaffen, indem ich einzeln mit den Schauspieler:innen spreche. Mit Vicky geht das sehr gut.
„Ich schließe Lücken dort, wo wir nichts wissen“: Marie Kreutzer über „Corsage“
tipBerlin Sie nehmen sich viele historische Freiheiten. Oder schließen Sie nur Lücken, über die wir sonst nichts wüssten?
Marie Kreutzer Lücken schließen trifft es oft am besten. Vieles wissen wir ganz einfach nicht. Biografien sind immer eine Interpretation. Insofern war mir früh klar, dass ich diese Freiheit habe, und dann ist es ein großer Reiz, wenn man so viel weiß, darin einen Freiraum zu finden. Man weiß, dass Elisabeth sich ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr gezeigt hat. Was bedeutet das, wenn man von jemand über 20 Jahre das Gesicht nicht sieht? Hatte sie wirklich so schlechte Zähne? Nach dem, was ich weiß, war ihr Gebiss in Ordnung. Bei Elisabeth gibt es viel Raum für Spekulationen.
tipBerlin Wurde sie Ihnen eigentlich sympathisch?
Marie Kreutzer Mir ist es wichtig, Menschen in aller Widersprüchlichkeit zu zeigen. Aber ich bin überzeugt davon, dass wir bei weiblichen Hauptfiguren eine viel höhere Erwartung haben, dass sie sympathisch sein müssen. Oft höre ich, dass sie eine schlechte Mutter war, aber da muss ich sie echt in Schutz nehmen, sie war für die damaligen Zeit eine sehr nahbare Mutter. Ich hatte bei Elisabeth immer das Gefühl, es mit verschiedenen Frauen zu tun zu haben. Sie ist nicht berechenbar.
tipBerlin Anders als die kitschigen 50er-Jahre-Filme mit Romy Schneider können Sie auch auf die Sexualität dieser Epoche eingehen.
Marie Kreutzer Man liest immer viel von möglichen Affären. Eine Historikerin hat mir aber gesagt, sie hält es für unwahrscheinlich, dass es tatsächliche Liebschaften gab. Es gab damals keine Verhütungsmittel, und eine Frau musste immer mit der Konsequenz einer Schwangerschaft rechnen. Der Kaiser konnte tun, was er wollte, dem war das egal. Interessant ist aber: Was hat sie denn eigentlich gesucht? Anerkennung? Einen Blick? Aufmerksamkeit? Das bekam sie übertrieben viel, sie hat sich aber nie gemeint gefühlt.
tipBerlin Wie kamen Sie zum Kino?
Marie Kreutzer Ich hab schon als Kind immer geschrieben, anfangs in einer sehr interessanten Rechtschreibung, mit sieben oder acht habe ich eine Schreibmaschine bekommen und dann ständig geklappert. Meine Schwester hat Geige gespielt, das war schlimmer. Nach der Schule bin ich auf dieses Drehbuchstudium gestoßen an der Filmakademie in Wien, habe dort eine furchtbare Aufnahmeprüfung gemacht – man muss dazu sagen: ich kam aus einer Alternativschule. Nachdem die ersten Kurzfilme an der Akademie ganz gut liefen, dachte ich mir, na gut, dann versuche ich das mal mit einem Film. Das war dann „Die Vaterlosen“. Ich kann es selber nicht so ganz glauben, dass ich seither immer weiterarbeiten konnte.
„Ich bin totale Anhängerin der Quote“: Marie Kreutzer über Gender-Fairness in der Filmbranche
tipBerlin Sie haben sich in wenigen Jahren ganz gut etablieren können.
Marie Kreutzer Manchmal taucht bei meinen Projekten diese Frage auf: ist das jetzt Arthouse oder ist das Mainstream? Die Dynamik in solchen Förderkommissionen ist nie einschätzbar. Ich lege einfach Wert auf ein gutes Drehbuch, das hat dann nichts mehr mit Geschmack zu tun. Wenn ich mir auf etwas was einbilde, dann auf meine Drehbücher. Beim Schreiben bin ich tatsächlich inzwischen von mir überzeugt. Ich hab mal zu meinem Vater gesagt: ich würde gern schreiben, aber es gibt so wenige, die davon leben können. Er hat völlig selbstverständlich gesagt: Musst halt zu den wenigen gehören.
tipBerlin Frauen wird es immer noch viel schwerer gemacht, zu den Wenigen zu gehören. Sollte man Quoten vorgeben?
Marie Kreutzer Ich bin totale Anhängerin der Quote, nicht, weil diese Methode so wahnsinnig elegant wäre, aber wir haben noch kein anderes Instrument gefunden. Das Bewusstsein allein hat nichts geändert an den Zahlen. 80 zu 20 kann man nicht schönreden, also muss man etwas machen. Vielleicht brauchen wir sie in ein paar Jahren ja nicht mehr.
tipBerlin Gibt es schon Pläne für die nächsten Filme?
Marie Kreutzer Normalerweise arbeiten wir alle parallel an Projekten, denn Planung ist in unserem Beruf so unberechenbar. Dieses Mal hat Corona alles ein bisschen durcheinander gebracht, sodass ich gerade einen schönen Moment habe: es ist alles offen. Es wird aber das Richtige zu mir kommen. Im Moment denke ich über zwei Projekte nach, die sind extrem unterschiedlich, das eine wäre eine Komödie, da geht es um diese gesellschaftliche Blase, in der man sich pausenlos gegenseitig erklärt, wie man noch besser leben könnte. Eine Komödie über den Stress, der bessere Mensch zu sein. Das andere ist ganz düster, da geht um Kindesmissbrauch, das ist so hart das wird sich niemand anschauen wollen. Ich würd ihn trotzdem gern machen. Ich muss jetzt einfach wieder ins Schreiben finden.
Marie Kreutzer, geboren 1977, wuchs in der Steiermark in Österreich auf. In ihrem ersten Spielfilm „Die Vaterlosen“ (2011) gibt es autobiografische Anklängen. 2019 nahm sie mit „Der Boden unter den Füßen“ erstmals an der Berlinale teil. „Corsage“ hatte seine Weltpremiere dieses Jahr in Cannes.
Österreich/Deutschland u.a. 2022; 112 Min.; R: Marie Kreutzer; D: Vicky Krieps, Florian Teichtmeister, Katharina Lorenz; Kinostart: 7.7.
Was ist noch neu im Kino? Die Filmstarts vom 7. Juli 2022 findet ihr hier. Den Überblick über die Freiluftkinos in Berlin haben wir hier. Was dort läuft? Hier ist das Freiluftkinoprogramm für Berlin. Was ist sonst zu sehen? Das aktuelle Berliner Kinoprogramm. Eine Empfehlung der tipBerlin-Redaktion: „Massive Talent“ mit Nicolas Cage ist sehr witzig. Alles zu Kino und Stream sammeln wir immer unter dieser Rubrik.