Berlinale

„Mickey 17“: Bong Joon Hos neues erzählerisches Ungetüm

Wüste Einfälle, dramatische Wendungen, abstruse Ereignisse: Bong Joon Ho schickt in seinem neuen Film „Mickey 17“ Robert Pattinson auf einen fernen Eisplaneten – ein Film mit abgrundschwarzem Humor. Die Kritik von Alexandra Seitz.

Zweimal Robert Pattinson, übersichtlich durchnummeriert: In „Mickey 17“ wird die Humanprint-Maschine genutzt, um Leute nach dem Tod neu auszudrucken. Foto: 2025 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved
Zweimal Robert Pattinson, übersichtlich durchnummeriert: In „Mickey 17“ wird die Humanprint-Maschine genutzt, um Leute nach dem Tod neu auszudrucken. Foto: 2025 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved

Irgendwann in gar nicht so unvorstellbar ferner Zukunft. Auf der Flucht vor einem blutrünstigen Kredithai schließen sich der naive Mickey Barnes und sein schlitzohriger Kumpan Timo der Raumfahrtmission des gescheiterten Präsidentschaftskandidaten Kenneth Marshall an. Marshall will auf dem Planeten Niflheim fern im All eine eigene Kolonie gründen, wo er sodann unbehelligt von demokratischer Bedenkenträgerei endlich schalten und walten kann, wie er will.

Mit an Bord befindet sich eine auf Erden wegen ethischer Skrupel geächtete Humanprint-Maschine; wer sich bereit erklärt, als sogenannter Expendable (d.h. Entbehrlicher) zu arbeiten, wird von dem Ding, das aussieht wie eine CT-Röhre, nach seinem jeweiligen Ableben getreulich ein weiteres Mal ausgedruckt. Um beim nächsten Himmelfahrtskommando neuerlich verbraucht zu werden. Und wieder ausgedruckt. Und wieder verbraucht. Und so weiter. Und weil Mickey, als er sich Marshalls Mission anschließt, im Vertrag das Kleingedruckte nicht richtig liest, gibt er als 3D-Ausdruck Nummer 17 dem neuen Film von Bong Joon Ho seinen Titel.

„Mickey 17“: Bong Joon Ho packt das gröbere Besteck aus

Vor sechs Jahren hatte der südkoreanische Regisseur, Drehbuchautor und Produzent mit „Parasite“ einen Riesenerfolg – Goldene Palme und mehrere Oscars inklusive -, eine präzise beobachtete Gesellschaftssatire mit tragischer Schlagseite und Thriller-Einsprengseln, hervorragend gespielt und mit kalter Eleganz in Szene gesetzt.

Für „Mickey 17“, der auf einem Roman von Edward Ashton beruht, hat Bong nun das gröbere Besteck ausgepackt, so wie es etwa 2013 bei dem SF-Paranoia-Action-Kracher „Snowpiercer“ zum Einsatz kam, dem es auch an Groteskem nicht mangelte – man denke an Tilda Swintons Überbiss. Beiden Werken gemeinsam ist ihre Kritik an hierarchischen und ausbeuterischen Gesellschaftsstrukturen, an der Arroganz und am Zynismus der Mächtigen; was im Übrigen auch für „The Host“ (2006) und „Okja“ (2017) gilt, die beiden Monsterfilme im Œuvre Bongs.

Zwischendurch entgleist „Mickey 17“ mit Karacho

Und freilich gibt es auf dem Eisplaneten Niflheim gleichfalls Monster, respektive Ureinwohner, deren Aussehen an eine Kreuzung aus Kellerassel und Kakerlake erinnert und die in der Größe zwischen Pekinese und Büffel variieren. Da der Mensch allem Andersartigen grundsätzlich feindselig gegenübersteht, wird eine friedliche Koexistenz gar nicht erst in Betracht gezogen. Außerdem sieht Präsi Marshall in einem Krieg gegen die Wuselviecher die willkommene Gelegenheit, als Feldherr und (An)Führer zu glänzen. Das ist jedoch nur ein Bruchteil dieses erzählerischen Ungetüms, das wüsten Einfall an dramatische Wendung an abstruses Ereignis reiht, zwischendurch mit Karacho entgleist und am Ende doch triumphal die Ziellinie überquert.

Mark Ruffalo erweist sich in „Mickey 17“ als Szenendieb sondergleichen. Foto: 2025 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved
Mark Ruffalo erweist sich in „Mickey 17“ als Szenendieb sondergleichen. Foto: 2025 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved

Robert Pattinson in der Titelrolle hat gut zu tun, gibt es Mickey doch in gleich mehreren charakterlichen Varianten, die er dem Publikum allesamt ans Herz legt. Als Szenendieb sondergleichen erweist sich aber mal wieder Mark Ruffalo, der in seinem Marshall einen sattsam bekannten Politiker des Grauens aufs Korn nimmt. Flankiert wird er dabei von der mit nicht minderer Bösartigkeit aufspielenden Toni Collette in der Rolle der Gattin.

Neuerlich also hat Bong Joon Ho keinerlei Interesse daran, das Entsetzen – der Zuschauer:innen, sein eigenes – angesichts der Niedertracht der menschlichen Spezies zu mindern oder abzumildern oder gar leichter verdaulich zu machen. Der abgrundschwarze Humor in „Mickey 17“ mag das einzige Zugeständnis sein an das Bedürfnis nach Erlösung, das er auslöst.

  • Mickey 17 USA/Südkorea 2024, 137 Min., R/B: Bong Joon Ho, D: Robert Pattinson, Naomie Ackie, Steven Yeun, Toni Collette, Mark Ruffalo

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