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Filmkritik

„Minari“ von Lee Isaac Chung erzählt von einer koreanischen Familie in Amerika

Sechs Nominierungen für einen Oscar konnte „Minari“ von Lee Isaac Chung dieses Jahr verzeichnen. Am Ende gab es eine Trophäe für die beste Nebendarstellerin, die koreanische Starschauspielerin Yuh-Yung Youn. Nun kommt die Geschichte einer Familie, deren Vater im ländlichen Amerika Gemüse für die koreanisch-amerikanische Gemeinde anbauen will, auch bei uns in Kino.

„Minari“ von Lee Isaac Chung. Bild: Prokino

„Minari“ ist eine symbolträchtige Pflanze

DRAMA Der innerfamiliäre Konflikt ist bereits in die ersten Bilder eingeschrieben, wenn die koreanisch-amerikanische Familie Yi in den 1980er Jahren von Kalifornien in das ländliche Arkansas übersiedelt. Vater Jacob (Steven Yeun) ist voller Begeisterung und Vorfreude, er möchte eine Farm anlegen, die gute Erde bestellen und koreanisches Gemüse anbauen, das er an Emigranten aus der alten Heimat verkaufen will. Mutter Monica (Yeri Han) ist nicht bloß skeptisch, sondern richtiggehend entsetzt über dieses Nirgendwo jenseits der Zivilisation.

„Das wird immer schlimmer“, sagt sie, als sie des Inneren ihres Mobile Homes auf Rädern ansichtig wird, das da mitten in der Landschaft steht und ihr neues Zuhause sein soll. Der Film wird diesen Konflikt inszenatorisch nie auflösen, stets blicken Jacob und Monica bei ihren Gesprächen über die Zukunft in verschiedene Richtungen und scheinen voneinander weg zu streben. Trotzdem ist „Minari“ (benannt nach einem asiatischen Würzkraut, ähnlich der Petersilie) ein Film über den Zusammenhalt.

Landwirtschaft heißt Rückschläge überwinden

Die Geschichte folgt im Wesentlichen eher undramatisch dem Auf und Ab des Familien- und Farmlebens der Yis, gibt jedem der Charaktere dabei Raum zur eigenen Entfaltung: Während Jacob und Monica einem Tagesjob  – Geschlechterbestimmung bei Küken, weil die männlichen Küken aussortiert und „entsorgt“ werden – nachgehen müssen, versucht Jacob nach Feierabend, den Gemüseanbau in Schwung zu bekommen und hat dabei mit ersten Rückschlägen zu kämpfen (zu wenig Wasser für die Pflanzen, unzuverlässige Abnehmer).

Monica wünscht sich immer noch die Infrastruktur einer größeren Stadt, vor allem, weil sie Angst um den siebenjährigen herzkranken Sohn David (Alan S. Kim) hat und das nächste Krankenhaus eine Stunde entfernt ist.

Neues Land, neue Perspektiven: „Minari“. Bild: Prokino

Der überbehütete David lebt ein Stück weit in seiner eigenen Welt und hat ein Problem mit dem Bettnässen. Seine ältere Schwester Anne (Noel Cho) ist angesichts der Verantwortung, die sie immer wieder für David übernehmen muss, bereits etwas erwachsen für ihr Alter. Und dann gibt es da noch Monicas Mutter, die verwitwete Soon-ja (Yuh-Jung Youn), die aus Korea anreist, und mit der sich David nun das Zimmer teilen muss. Dabei erweist sich Soon-ja nicht unbedingt als die traditionelle Großmutter, die er erwartet hat: Kochen und Kekse backen kann sie nicht, dafür Karten spielen und ordentlich fluchen.

Vor allem aber fasst die pragmatische Soon-ja David nicht ständig mit Samthandschuhen an – was ihm nach und nach neue Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet und mehr Selbstbewusstsein gibt. Soon-ja ist auch diejenige, die Minari an einem Bachlauf aussät, jene titelgebende, quasi-symbolträchtige Pflanze, die wie Unkraut überall gedeiht und nicht unterzubekommen ist.

Jacob Yi glaubt fest an den Amerikanischen Traum

Der amerikanische Regisseur Lee Isaac Chung ist selbst als Sohn einer koreanischen Einwandererfamilie in Arkansas aufgewachsen, möchte „Minari“ jedoch nicht als autobiographisch verstanden wissen, sondern allenfalls als inspiriert von seiner Herkunft. Dass sein im vergangenen Jahr mit vielen Festivalpreisen prämierter Film und der zeitgleich bei uns im Kino laufende Oscar-Abräumer „Nomadland“ der chinesischen Regisseurin Chloé Zhao in den USA momentan als Heilsbringer des amerikanischen Kinos gefeiert werden, hat damit zu tun, dass beide Filme an spezifisch amerikanischen Ideen und Wertvorstellungen rühren: Sowohl „Minari“ als auch „Nomadland“ spielen im mittleren Westen, dem Kernland der USA, und ziehen mit ihren in Mobile Homes lebenden Charakteren Parallelen zu den Pionieren, die einst das Land besiedelten. Jacob Yi glaubt ganz fest an den Amerikanischen Traum: daran, etwas Besseres aus seinem Leben zu machen und für und mit seiner Familie Erfolg zu haben.

Wichtiger noch aber ist der Zusammenhalt, die Solidarität, die in beiden Filmen beschworen wird: In „Minari“ geht sie von der Keimzelle der Gesellschaft, der Familie, aus (aber auch alle anderen Menschen, mit denen die Familie Kontakt hat, sind freundlich und hilfreich), in „Nomadland“ ist es die Wahlfamilie, die sich die „Nomaden“ bei ihren Treffen selbst schaffen, und die sich gegenseitig mit Tipps und Tricks zum Leben und Überleben hilft. In einer seit Jahrzehnten immer weiter auseinanderdriftenden Gesellschaft, in der viele Menschen nur mit zwei oder drei Jobs über die Runden kommen und in der ein narzisstischer, egozentrischer Präsident Trump nur die Spitze eines sehr großen Eisberges darstellt, trifft diese Idee offenbar auf fruchtbaren Boden.

Dass das in „Minari“ gezeigte konservative Familienbild (Vater schafft, Mutter hält die Familie zusammen – allerdings spielt die Geschichte auch vor vierzig Jahren) und die prekäre Arbeitswelt in „Nomadland“ dabei nicht unbedingt tolle Versprechen für die Zukunft sind, rückt dabei in den Hintergrund. Schöne Filme sind sie trotzdem beide, mit einem sehr liebevollen Umgang mit ihren Figuren.  Lars Penning

USA 2020, 115 Min., R: Lee Isaac Chung, D: Steven Yeun, Yeri Han, Yuh-Jung Youn, Alan S. Kim, Start: 15.7.


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Die Übersicht über die Filmstarts vom 15.7. haben wir hier; weiterhin im Kino: die Filmstarts vom 8. 7.; Das Drehbuch schrieb Daniel Kehlmann, mit Schauspieler und Regisseur Daniel Brühl haben wir über seinen Film „Nebenan“ gesprochen. Wo ihr die Filme sehen könnt? Am besten in einem der Freiluftkinos in Berlin. Immer aktuelle Texte findet ihr in unserer Rubrik „Filme“.

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