„Parthenope“ ist der neueste Wurf von Regisseur Paolo Sorrentino. Der große Schwärmer und Nostalgiker des italienischen Kinos bewegt sich auch mit diesem Film zwischen Erhabenheit und Kitsch, er erzählt von der allzu attraktiven Titelheldin Parthenope. tipBerlin-Filmkritiker Gerald Jung findet, Sorrentinos neuer Film ist ein Traum, könnte aber etwas weniger „male gaze“ vertragen.
Alle Männer, die Parthenope begegnen, sind ihr verfallen
Paolo Sorrentinos wunderschöne Titelheldin (Celeste Dalla Porta in ihrer ersten Kinorolle), benannt nach einer betörenden Sirene und der Schutzheiligen Neapels, streift in den späten 1960er bis in die frühen 1980er durch sonnendurchflutete, sorglose Sommer. Bei ihrem Anblick vergessen nicht nur ganze Rudermannschaften im Golf von Neapel das Rudern, sondern alle Männer, die ihr begegnen, sind ihr verfallen: der vergeblich schmachtende Sandrino, ihr dandyhafter Bruder Raimondo, ein reicher Verehrer mit Hubschrauber, ein netter Gangster mit Motorrad, ein schmieriger Bischof und alle anderen auch, selbst der versoffene Dichter John Cheever (Gary Oldman), der mit „Ich möchte Ihnen nicht einen Augenblick Ihrer Jugend stehlen“ einen von vielen schönen (und manchmal auch banalen) Sätzen in diesem Film sagt.
Paolo Sorrentino, der große Schwärmer und Nostalgiker des italienischen Kinos, wandelt stets mit vollem Risiko zwischen Erhabenheit und Kitsch. In „Die große Schönheit“ ließ er einen römischen Bonvivant schwelgen und giften, in „Jugend“ zwei alternde Männer über das Leben schwadronieren, in „Die Hand Gottes“ passierten die Nöte und Sehnsüchte seiner eigenen Jugend in Neapel amüsiert-nostalgisch Revue.
Mit „Parthenope“ steht zum ersten Mal eine Frauenfigur im Mittelpunkt, auch sie eher eine Allegorie der Schönheit, der Jugend und deren Flüchtigkeit. Dabei scheint ihr Schöpfer zwischenzeitlich der von ihm (und seiner Kamerafrau Daria D’Antonio) so anbeterisch in Szene gesetzten Heldin selbst hemmungslos verfallen zu sein und setzt sie einem nicht mehr ganz unschuldigen „male gaze“ aus, der seiner Geschichte zwar per se innewohnt, gelegentlich aber nicht weniger verstörend erscheint.
Ob Parthenope selbst an ihrer Schönheit leidet, bleibt unausgesprochen. „Woran denkst du?“, wollen alle von Parthenope wissen, aber darauf gibt sie keine Antwort. Anscheinend will das auch der Film nicht ergründen, und wenn sie am Schluss als ältere Frau (Stefania Sandrelli in einer viel zu kleinen Nebenrolle) am Ende einer akademischen Laufbahn in der Provinz nach Neapel zurückkehrt, bleibt in der Schwebe, mit welchen Gefühlen sie auf ihr Leben zurückblickt. Letztendlich geht es auch in diesem vordergründig so federleichten Film Sorrentinos ums Ganze: um die verlorene Jugend, um die große Schönheit und deren Vergehen. Auch wenn der Meister sich diesmal inmitten seiner betörenden Bilder und dem erlesenen Soundtrack in allzu viel Bellezza bisweilen selbst verliert … ein Traum.
- Parthenope Italien 2024; 136 Min.; R: Paolo Sorrentino: D: Celeste Dalla Porta, Gary Oldman, Silvio Orlando; Kinostart: 10.4.
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