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Interview

Philipp Stölzl über Stefan Zweigs „Schachnovelle“: Ein bisschen Kafka

Philipp Stölzl hat Stefan Zweigs „Schachnovelle“ neu verfilmt. Im Gespräch mit tipBerlin-Filmkritiker Lars Penning äußert er sich über verschiedene Interpretationsansätze der berühmten Vorlage – und die Notwendigkeit, literarische Strukturen für das Kino zu verändern.

Philipp Stölzl bei der Premiere der "Schachnovelle"-Verfilmung im Berliner Kino International. Foto: Imago/Photopress Müller
Philipp Stölzl bei der Premiere der „Schachnovelle“-Verfilmung im Berliner Kino International. Foto: Imago/Photopress Müller

Philipp Stölzl über einen „nüchtern geschilderten Abtraum“

tipBerlin Herr Stölzl, Stefan Zweigs ‚Schachnovelle‘ ist über die Jahrzehnte immer wieder neu interpretiert worden: Man hat den Text als Warnung vor der Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus gelesen, ihn als psychologische Studie zweier ausschließlich vom Schach beherrschter Menschen betrachtet oder in einem biografischen Ansatz die geistige Isolation der Figur Dr. B. mit der Situation von Stefan Zweig kurz vor seinem Freitod im brasilianischen Exil verglichen. Welche dieser Interpretationsansätze haben für Ihren Film eine Rolle gespielt?

Philipp Stölzl Eigentlich sind alle auf irgendeine Weise in den Film eingeflossen. Das Tolle an der ‚Schachnovelle‘ ist ja, dass es sich um eine ziemlich rätselhafte Geschichte handelt. Sie erzählt nicht einfach Eins zu Eins von Furcht und Elend im Dritten Reich. Mich erinnert das ein bisschen an Kafka: ein nüchtern geschilderter beklemmender Albtraum. Für mich ist der Schlüssel zum Verständnis der ‚Schachnovelle‘, dass Stefan Zweig zu dem Zeitpunkt, als er sie schrieb nicht wusste, wie das alles ausgehen würde. Es war ja noch nicht klar, ob nicht ein Zeitalter der Finsternis und Gemeinheit über uns hereinbrechen würde.

Oliver Masucci geht an die Grenzen der psychischen Belastbarkeit in „Schachnovelle“ von Philipp Stölzl. Bild: Studiocanal

tipBerlin Der Untergang der alten Welt wird in Ihrem Film noch deutlich breiter ausgemalt als in der Novelle…

Philipp Stölzl Stefan Zweig hat sehr an dem Untergang der alten Welt gelitten, und das spielt in dieser sehr düsteren Novelle schon eine Rolle. Es gibt die politisch-gesellschaftliche Situation rund um den ‚Anschluss‘ Österreichs, dann die Geschichte eines Menschen, der in den psychischen Abgrund getrieben wird, und schließlich eine metaphorische Ebene mit der Frage, was das Schachspiel in Bezug auf Zweig und die Nazis bedeutet. Dass der Schachweltmeister ein Bild für die Nazis ist, ein analphabetischer Barbar, der seine Gegner auf dem Schlachtfeld des Schachbretts ganz kühl massakriert, ist ja eine gängige Interpretation, der auch der Film folgt. 

tipBerlin Ihr Drehbuchautor Eldar Grigorian ist bislang nur wenig bekannt. Wie sind Sie mit ihm zusammengekommen?

Philipp Stölzl Eldar ist ein jüdisch-stämmiger Russe, der in jungen Jahren mit seinen Eltern eingewandert ist, und der vor allem über die Mitgliedschaft in Schachvereinen in die deutsche Gesellschaft hineingefunden hat. Er hat dann später Film an der HFF in München studiert und mit zwei Produzenten aus München und Berlin schon lange an dem Stoff gearbeitet. Den Produzenten Tobias Walker kannte ich aus einem privaten Zusammenhang, und wir haben zunächst einfach aus Spaß am Gespräch über gute Literatur immer mal wieder über die ‚Schachnovelle‘ geredet.

Den Grundkniff des Drehbuchs, die Schiffpassage als einen Traum des Ausbruchs aus der Haft zu interpretieren, fand ich total überzeugend. Die Verzahnung dieser beiden Ebenen macht aus dem Ganzen erst Kino. Die Entscheidung, ganz nah mit der Hauptfigur durch den Film zu gehen, mit ihr einen unverlässlichen Erzähler zu haben, gibt der Geschichte einen Sog.

64 Felder Überlebenskunst: „Schachnovelle“ von Philipp Stölzl

tipBerlin Die von Birgit Minichmayr gespielte Frau des Dr. Bartok ist der Handlung ja hinzuerfunden worden. Steht auch sie für den Verlust von etwas Vertrautem?

Philipp Stölzl Wir hatten bei der Frau das Gefühl, dass man dem Dr. Bartok einen Grund geben muss für das Überleben. Wo will er hin, und wer wartet auf ihn? Das ist das klassische Peer-Gynt-Motiv: Am Ende einer langen Reise ist jemand, für den es sich lohnt zu überleben. Wir haben versucht, so viele emotionale Bögen zu spannen wie möglich. Zweig ist in dieser Hinsicht ja eher kühl – in der Novelle erfährt man in einem Satz, dass B. verheiratet ist.

„Das Kino ist eine Gesamtkunst“: Philipp Stölzl über die Arbeit an „Schachnovelle“

tipBerlin Wie arbeiten Sie mit Ihren Schauspielern? Haben Sie sehr genaue Vorstellungen, was die zu tun haben? Oder lassen Sie ihnen Freiräume?

Philipp Stölzl Das ist von Film zu Film unterschiedlich. Grundsätzlich liebe ich es, Filme am Zeichentisch vorzubereiten und verbringe gemeinsam mit Arne Jysch, der eigentlich von der Graphic Novel kommt, viel Zeit, um Storyboards zu erstellen und die Bilderzählung zu erfinden. Mit diesem genauen Plan im Gepäck bin ich dann sehr frei. Ich habe einen tollen Kameramann, Thomas Kienast, der kommt dann dazu und guckt die Storyboards an. Der findet manches gut und anderes nicht so und macht neue Vorschläge. Am Set freuen sich eigentlich immer alle, erst einmal einen guten Plan vorzufinden.

Dann beginnt man auch mit den Schauspielern Szenen zu erarbeiten – aus all diesen kreativen Kräften heraus, die da zusammenwirken. Das macht mir sehr viel Freude, und je stärker die Partner sind, umso mehr Spaß macht es mir. Für mich ist das Beste am Kino, dass es sich dabei um eine Gesamtkunst handelt, bei der sich alles zusammenfindet wie in einem Orchester. Das finde ich total schön.

tipBerlin Sie inszenieren neben Filmen ja auch viel Theater und Oper. Kann man davon zehren oder ist das etwas völlig anderes?

Philipp Stölzl Nein, daran kann man jeweils total zehren. Von der Theaterarbeit ist mir die Arbeit mit den Schauspielern einfach sehr vertraut. Auf einer Probebühne tauscht man Energien aus, und man kann in ein sehr lebendiges Miteinander mit den Schauspielern eintauchen. Und dieses energetische Arbeiten kennen Leute wie Oliver Masucci, Albrecht Schuch und Birgit Minichmayr auch. Vom Film nehme ich viel mit in Sachen Erzählbögen und Rhythmus. Denn Film ist ja überwiegend Entwicklungsarbeit.

Die Oper sehe ich eher wie einen Urlaub vom Filmemachen. Das ist ja eine Art Sekundärkunst: Komposition und Werk sind schon von jemand anderem gemacht worden, das wird seit hunderten Jahren gespielt und ist erwiesenermaßen ein großes Kunstwerk, dem man sich bei der Interpretation getrost anvertrauen kann.  Das braucht auch jede Leidenschaft, aber man trägt eben nicht die ganze Last des Gelingens wie bei einem Film.


Mehr Kino in Berlin

Er ist in der „Schachnovelle“ zu sehen, wir sprachen mit Oliver Masucci auch, als er in „Enfant Terrible“ Fassbinder spielte. Was außer Philipp Stölzls neuem Film anläuft, lest ihr in unserem Überblick über die Filmstarts am 23. September. Über ihre preisgekrönte Doku „Herr Bachmann und seine Klasse“ sprachen wir mit Regisseurin Maria Speth. Neue Texte lest ihr immer in unserer Rubrik für Kinos und Streams.

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