Der italienische Kultregisseur Luca Guadagnino hat den autobiografischen Roman „Queer“ von Beatnik-Ikone William S. Burroughs verfilmt. tipBerlin-Kritikerin Paula Schöber überzeugt „Queer“ nicht nur wegen des großartigen Soundtracks, sondern vor allem auch dank seines herausragenden Hauptdarstellers: Daniel Craig muss man in dieser Rolle gesehen haben.
Mit seiner Darstellung eines kathartischen Ayahuasca-Trips in „Queer“ hat Luca Guadagnino ein Stück Filmgeschichte geschrieben
Wenn Daniel Craig im zerknitterten Leinenanzug, mit Fedora und dickrandiger Brille durch die Straßen des Nachkriegs-Mexiko-Stadt schleicht, vergisst man glatt, dass der Brite einmal der James Bond der 2010er Jahre war, mit windabweisender Schnute, Maßanzug und schnellem Gefährt. Als Alter Ego von William S. Burroughs jagt Craig in Luca Guadagninos neuem Film nun nicht mehr Staatsfeinden und leicht bekleideten Frauen hinterher, sondern jungen Männern und dem nächsten Schuss Heroin.
Mit „Queer“ hat Guadagnino den gleichnamigen autobiografischen Roman der Beatnik-Punk-Ikone William S. Burroughs verfilmt. Der Schriftsteller war in den 1950ern vor Strafverfolgung aus den USA nach Mexiko geflohen, wo der Heroinsüchtige auch einen einfacheren Zugang zu Opiaten hatte. Daniel Craig spielt den Protagonisten William Lee, der im mexikanischen Exil rumhängt und sich mit schwulen Landesgenossen in Queer-Bars die schwülen, in Whiskey und Schweiß getränkten Tage und Nächte um die Ohren haut. Irgendwann läuft ihm ein junger, schlaksiger Ex-Marine vor die Brillengläser und Lee ist hoffnungslos verliebt, rennt diesem von Drew Starkey verkörperten Eugene Allerton fast schon verzweifelt hinterher.
So wie Lee und Eugene lange ziellos in Mexiko herumdümpeln, so dümpelt auch „Queer“ in der ersten Hälfte etwas vor sich hin. Als die beiden nach Südamerika aufbrechen, nimmt der Film aber an Fahrt auf. Lee ist auf der Suche nach der mysteriösen yage-Pflanze, auch als Ayahuasca bekannt. Er hat von den telepathischen Wirkungen der Droge gehört und hofft verzweifelt, im ecuadorianischen Dschungel herauszufinden, ob Eugene ihn liebt oder nur auf ein queeres Abenteuer auf ist. Mit seiner Darstellung eines kathartischen Ayahuasca-Trips hat Guadagnino ein Stück Filmgeschichte geschrieben. Was für ein Rausch das ist, ästhetisch und eklig zugleich.
Ästhetisch ist in diesem Film alles, so wie eigentlich immer, wenn der italienische Regisseur am Werk ist. Das surrealistische Szenenbild und der Soundtrack machen „Queer“ zu einem audiovisuellen Genuss, mit Musik von Nirvana, Prince und New Order. Der absolute Star dieses Films ist aber zweifelsohne Daniel Craig, der daherkommt wie ein queerer Indiana Jones auf Drogen. Vom Bond-Pokerface ist nichts mehr übrig, die Verletzlichkeit und hoffnungslose Verliebtheit sind diesem Mann überdeutlich ins Gesicht geschrieben.
„Queer“ ist ein bisschen die erwachsene, düstere Version von Guadagninos „Call Me by Your Name“. An sein eigenes Meisterwerk kommt er hier nicht ganz heran, aber Daniel Craig muss man in dieser Rolle gesehen haben.
- Queer USA/Italien 2024; 135 Min.; R: Luca Guadagnino; D: Daniel Craig, Drew Starkey, Leslie Manville; Kinostart: 2.1.
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