Berlinale 2023

„Roter Himmel“: Wälder brennen, bis es Asche regnet

„Roter Himmel“ ist Christian Petzolds Sommermärchen. Wer den Regisseur von Werken wie „Undine“ kennt, weiß jedoch, dass auch sein sechster Berlinale-Film kein reines Feel-Good-Movie bleiben wird. Eine Fahrt ans Meer, ein Ferienhaus am Darß, alles scheint harmonisch, aber irgendetwas stimmt hier nicht. tip-Kritikerin Olga Baruk hat den Film „Roter Himmel“ gesehen, der bei der Berlinale 2023 den Großen Preis der Jury erhalten hat. Ihre Kritik.

„Roter Himmel“: Thomas Schubert, Paula Beer („Undine“), Langston Uibel und Enno Trebs spielen in Christian Petzolds Film mit. Foto: Christian Schulz / Schramm Film

Aus dem Fiebertraum: Christian Petzolds „Roter Himmel“

„Roter Himmel“ beginnt und endet mit einem hypnotischen, sinnlichen, doppelbödigen, aus der Zeit gefallenen Song. „In my mind / Love’s gonna make us, gonna make us blind“, singen die Wallners aus Wien. Ein Lied zum Träumen, zum Sich-Lieben, die wenigen Gesangszeilen täuschen die Zukunft aber nur vor, gemeint ist etwas Vergangenes, Verflüchtigtes. In den Filmen von Christian Petzold bleiben sie immer erhalten und spürbar – diese kleinen Faszinationen für Songs, Bücher, Bilder oder sonst etwas, was ihm im Prozess des Denkens und Schreibens unterkommt.

Diesmal habe sich sein Film buchstäblich an einem Corona-bedingten Fiebertraum entzündet, so der Regisseur in einem Interview. „Roter Himmel“ spielt also im Sommer auf dem Darß. Es ist heiß und die Wälder brennen, bis es Asche regnet. Wir sind in einer Gegenwart, die Petzold mit einem eleganten Twist kurz vor dem Ende zur Erinnerung macht. Es wird sinnlich und doppelbödig, dann plötzlich sehr tragisch, zum Schluss wieder heiter.

„Roter Himmel“ von Christian Petzold beginnt wie eine leichte Sommergeschichte. Foto: Marco Krüger / Schramm Film

„In my mind / We’ll be living in a place we like“. Zwei Freunde, Leon (Thomas Schubert) und Felix (Langston Uibel, Coverstar der diesjährigen Berlinale-Ausgabe des tipBerlin) fahren ans Meer. Aber irgendetwas stimmt nicht. Aus der Motorhaube steigt Rauch, Wildschweine quieken und später in dem Haus, das leer auf sie warten müsste, schleudert die Waschmaschine. Eigentlich sind sie an diesen abgeschiedenen Ort zum Arbeiten gekommen, Leon an seinem zweiten Roman, Felix an der Bewerbungsmappe für die Kunsthochschule.

Nur hat sich hier bereits eine junge Frau einquartiert. Es dauert ein wenig, bis aus Spuren – eine Packung Honey Pops und Sexgeräusche – eine körperliche Erscheinung im roten Sommerkleid wird. Und selbst dann darf Nadja (Paula Beer) weiter ein Geheimnis bleiben in dem Film, der sich auch sonst lieber langsam als schnell entblättert. Was sehr schön ist. Nur nicht für Leon! Denn wo die Ruhe herrschen sollte, ist alles eine zähe Versuchung.

Berlinale-Film „Roter Himmel“: Graue Sneaker am Strand

Felix, Nadja und der Rettungsschwimmer Devid (Enno Trebs) genießen das Beisammensein. Leon aber bleibt abseits. Am Strand zieht er nicht einmal die grauen Sneaker aus. Und als der Verleger (Matthias Brandt) vorbeischaut, da holt er sein schwärzestes Hemd aus dem Schrank. Herrlich miesepetrig wehrt er sich gegen die Gefühle, die ihn auch bei Hitze kalt erwischen. Um Künstler zu werden, muss der kriselnde Schriftsteller in der Schule der Empfindsamkeit noch einiges nachholen.

Christian Petzold inszeniert ein Spannungsfeld aus Blicken, die bestimmen, was gefilmt und wie geschnitten wird. Was man sieht, wenn man hinschaut, ist hier die Frage, und was einem vielleicht dabei entgeht. Die Inszenierung ist beherrscht und präzise, und es gibt viel Luft, Wärme, Humor, gar eine zurückgelehnte Chaiselonguehaftigkeit. Denn in welchem Film rezitiert man ein Gedicht (von Heinrich Heine) gleich zwei Mal? Und wenn die Figuren etwas sagen, was wir bereits begriffen haben, dann ist das nicht weiter schlimm. Weil Wiederholung manchmal das Schönste ist. Siehe zum Beispiel „In my mind“ von den Wallners. Olga Baruk

  • Roter Himmel D 2023; 103 Min.; R: Christian Petzold; D: Paula Beer, Thomas Schubert, Langston Uibel, Enno Trebs, Matthias Brandt; Kinostart: 20.4.

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