Robert Schwentkes neuer Film „Seneca“, der auf der Berlinale Premiere feierte, beleuchtet das Leben des römischen Philosophen, der als Neros Ziehvater zur tragischen Figur wurde. Eine perfekte Rolle für John Malkovich. Wir haben mit dem Hauptdarsteller gesprochen.
John Malkovich über „Seneca“: „Ich genieße es zu arbeiten“
„Warum sollte es für immer Filme geben? Es gibt sie gerade einmal ein Jahrhundert, wir reden hier nicht vom Theater.“ Besonders optimistisch ob der Zukunft des Kinos hört sich John Malkovich nicht an, dabei haben wir uns zu einem Zoom-Gespräch verabredet, um über den neuen Film des Schauspielers zu sprechen: Als Berlinale Special wurde „Seneca“ gezeigt, die zweite Zusammenarbeit des für seine ambivalenten, oft auch diabolischen Figuren bekannten Amerikaners mit dem deutschen Regisseur Robert Schwentke.
Als Desillusionierung oder gar Langeweile mit dem Medium Film darf man Malkovichs Aussagen jedoch nicht verstehen, im Gegenteil. Viel mehr spiegeln sie den schauspielerischen Ansatz Malkovichs wieder, der wenig Unterschied zwischen Bühne und Kino, zwischen High- und Low-Art macht, zwischen actionlastigem Blockbusterkino und einem kleinen europäischen Arthousefilm wie „Seneca“. Was zählt, ist vor allem die Arbeit selbst, auf der Bühne oder vor der Kamera zu stehen: „Ich genieße es, zu arbeiten. Wie man sich in eine Rolle einbringt, ändert sich nicht, egal ob man Cyrus The Virus oder Seneca spielt. Insofern denke ich selten über das Ergebnis der Arbeit nach, sondern über das, was vor mir liegt, über den nächsten Drehtag.“
John Malkovich ist bekannt für seine Kontraste
Als Mitte der 80er-Jahre Malkovichs Filmkarriere begann, machte sich der 1953 in der Kleinstadt Christopher im amerikanischen Bundesstaat Illinois geborene Schauspieler schnell einen Namen als unnahbarer, schwer zu lesender Mime. Als Oxymoron wurde er einmal bezeichnet, dessen Figuren gleichzeitig sexy und abstoßend, gelangweilt und fanatisch, einschmeichelnd und bösartig wirkten.
Der verführerische Vicomte de Valmont in Stephen Frears „Gefährliche Liebschaften“ war so eine Rolle, auch mit Steven Spielberg, Woody Allen und Roland Joffé drehte Malkovich, bald aber auch verstärkt in Europa, mit den Größen des internationalen Arthouse Kinos: „Ich hatte das Glück mit Regisseuren wie Volker Schlöndorff, Bernardo Bertolucci, Liliana Cavani oder Michelangelo Antonioni zu arbeiten, die Filme drehen, die herausfordernd sind, schwierig, intim, die mit viel Intelligenz gedreht werden.“
Jahrelang wechselte Malkovich zwischen europäischen und Hollywood-Produktionen hin und her, wurde in den 90er Jahren gern als Bösewicht besetzt, am markantesten vielleicht in Wolfgang Petersens „In the Line of Fire“ als Gegenüber von Clint Eastwood und nicht zuletzt in dem Nicolas Cage-Action-Klassiker „Con Air.“ Auf den ersten Blick mag diese Rollenauswahl willkürlich wirken, leicht könnte man hier denken, Malkovich nimmt Rollen in großen Filmen ausschließlich der guten Bezahlung wegen an, um sich kleinere Projekte gönnen zu können. Diesem Eindruck widerspricht er: „Ich habe mich nie besonders von Genres eingeschränkt gefühlt“, sagt Malkovich. „Bezeichnungen wie große oder kleine Filme, europäisches oder Hollywood-Kino haben mich nie sonderlich interessiert.“
Kultiviertheit und Belesenheit
Schöne Worte, die man Malkovich gerne glaubt, aber doch nicht ganz abnimmt. Seine künstlerische Heimat ist schließlich das Theater, von 1975 bis 2020 war er Mitglied der legendären Theatergruppe Steppenwolf, als Regisseur inszenierte er beim Fringe Festival in Edinburgh, auch an Bühnen in Paris und New York, führte bei zwei Spielfilmen Regie und hat eine Modefirma gegründet.
Dass der stets langsam, bedacht und mit größter Ruhe antwortende Malkovich Kultiviertheit und Belesenheit zu schätzen weiß, zeigt sich deutlich, als das Gespräch auf seinen Regisseur bei „Seneca“ kommt, den Deutschen Filmemacher Robert Schwentke.
Mit „Tattoo“ und „Eierdiebe“ hatte Schwentke Anfang der Nuller-Jahre zwei vielbeachtete Filme gedreht, nach denen er schnell von Hollywood abgeworben wurde. Als Regisseur von mal mehr, mal weniger substanziellen Mainstream-Filmen wie „Flightplan – Ohne jede Spur“, „Die Frau des Zeitreisenden“ oder „Insurgent“ machte sich Schwentke in Hollywood einen Namen als zuverlässiger Handwerker und arbeitete 2010 bei der Action-Komödie „R.E.D. – Älter. Härter. Besser“ zum ersten Mal mit Malkovich zusammen, der voll des Lobes über den Regisseur ist: „Ich habe Robert immer gemocht, er hat viel Humor, kennt das Kino, ist sehr belesen, gerade nach Hollywood-Standards, denn dort zählen weniger Literatur oder Kunst, sondern nur das Kino. Was nicht grundsätzlich verkehrt ist, aber eben ganz was anderes, als wenn man mit Bernardo Bertolucci oder Raúl Ruiz zu tun hat.“
John Malkovich über „Seneca“: „Intellektuelle agieren heutzutage stark totalitär“
Warum nun aber Seneca, warum Anfang des 21. Jahrhundert ein Film über einen römischen Philosophen, der nicht zuletzt dafür bekannt ist, dass er dem, vorsichtig ausgedrückt, problematischen Kaiser Nero als Lehrer diente und ihm in dieser Funktion zum Erfolg verhalf? Schwentke selbst beschreibt seinen Film folgendermaßen: „,Seneca‘ ist eine Parabel über die Gefahr maßloser Macht und totalitärer Systeme. Und das Psychogramm eines Kollaborateurs und Opportunisten, der dem Tyrannen Nero zu Legitimität verhilft, im Austausch gegen unermesslichen Reichtum.“ Malkovich ergänzt: „Es geht um die kapriziöse Anwendung von Macht durch Regierungen oder so genannte Regierungen, aber auch Intellektuelle.“
Auf diese ist Malkovich nicht gut zu sprechen: „Intellektuelle agieren heutzutage stark totalitär, sie wollen die Redefreiheit einschränken, kontrollieren, was als Information gilt, was als Desinformation. Wenn ich Teil der Medien wäre, würde ich mir große Sorgen machen, aber weite Teile der Medien scheinen da einfach mitzumachen. Totalitarismus ist nie verschwunden. Insofern kann man ,Seneca‘ als Allegorie verstehen. Nicht, dass das heutzutage irgendwen interessieren würde.“
Womit wir wieder bei Malkovich dem Skeptiker wären, der Zweifel an der Zukunft des Kinos hat: „Früher musste man ins Kino gehen, um einen Film zu sehen, dann kam das Fernsehen, Filmfestivals, VHS, DVD, jetzt das Streaming, was zumindest theoretisch bedeutet, dass alles ständig verfügbar ist. Dann kam auch noch Corona und die damit verbundene Hysterie, was die Totenglocke für das Kino gewesen sein könnte, abgesehen von Marvel.“ Trotz allem arbeitet John Malkovich ohne Pause, über 100 Filme umfasst seine Filmographie inzwischen.
John Malkovich im Interview: „Das Filmbusiness ist momentan sehr seltsam.“
Ein besonders ungewöhnliches Projekt entstand 2016 in Zusammenarbeit mit Robert Rodriguez: „100 Years“ wird als experimenteller Science-Fiction-Kurzfilm beschrieben, doch genau wird das niemand, der momentan lebt, erfahren: Denn der Film wurde im Süden Frankreichs in eine Zeitkapsel eingeschlossen, die sich erst im November 2115 öffnen wird, eine Referenz an den Cognac-Hersteller, der das Projekt sponsert und dessen Produkte angeblich 100 Jahre in Fässern reifen.
Was ihn an diesem Projekt reizte, erklärt Malkovich mit ironischem Understatement: „Ich drehe ohnehin zwei, drei Filme pro Jahr, die niemand sieht, da dachte ich: warum nicht ein Film, den 100 Jahre lang niemand sehen kann.“ Die Rede ist hier von Filmen mit reißerischen Titeln wie „Rouge Hostage“ „The Survivalist“ oder „Savage Salvation“, Filme, auf deren Postern Malkovich und ein, zwei andere bekannte Stars zu sehen sind, dazu Explosionen und Maschinengewehre: „Die meisten Filme, die ich drehe, sehe ich ohnehin nicht, ehrlicherweise weiß ich oft gar nicht, wo sie zu sehen wären. Das Filmbusiness ist momentan sehr seltsam.“
Völlig egal ist das Ergebnis seiner Arbeit John Malkovich dann aber doch nicht. Als der tipBerlin-Autor zum Ende des Gesprächs viel Erfolg wünscht und hinzusetzt, er hoffe, dass der Film „Seneca“ ein Publikum finden möge, antwortet Malkovich: „Ich auch.“
- Seneca – On the Creation of Earthquakes D/ Marokko 2022; 110 Min.; R: Robert Schwentke; D: John Malkovich, Tom Xander, Geraldine Chaplin, Louis Hofmann, Lilith Stangenberg
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