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„Hausen“: So gut ist die Sky-Serie übers Grusel-Hochhaus

In der Horror-­Serie „Hausen“ geht es um einen Hochhausblock, in dem eine auffällige Etage die 88. ist. Dort hat sich ein kleiner Familienfaschismus etabliert. Die Sky-Serie sollte eigentlich ganz groß im Kino präsentiert werden. Doch dann kam Corona dazwischen.

Horror im Hochhaus: Die deutsche Produktion „Hausen“. Foto: Sky Deutschland/ Lago Film GmbH/ Reiner Bajo
Horror im Hochhaus: Die deutsche Produktion „Hausen“. Foto: Sky Deutschland/ Lago Film GmbH/ Reiner Bajo

In Flugzeugen kommt es vor, dass auf die 12. Reihe gleich die 14. folgt. Eine 13. gibt es nicht, aus Aberglauben. Es soll auch Gebäude geben, in denen es keine 13. Etage gibt. Die 13 ist aber keineswegs die einzige Zahl, die Unbehagen hervorruft.

In der Horror-­Serie „Hausen“ geht es um einen Hochhausblock, in dem eine auffällige Etage die 88. ist. Dort hat sich ein kleiner Familienfaschismus etabliert. Ein pedantisch geführter Ort der Sauberkeit inmitten einer desolaten Umgebung. Vor dem Essen wird gebetet ­(allerdings nicht nach orthodox christlicher Frömmigkeit), die Kinder sitzen brav aufgereiht, der Vater, ein Spießer in Weste, führt den Vorsitz.

In den anderen Wohnungen sieht es weniger ordentlich aus. Wo keine Junkies vor sich hindämmern, sitzen Leute in der Dunkelheit bei dubiosen Dauerwerbesendungen, oder eine eine alte Frau hustet sich gerade so zur Spüle, um dort einen blutigen Auswurf zu hinterlassen.

Wo Menschen hausen, leben sie unter dem Niveau deutscher Behaglichkeit

Der Titel der Serie von Thomas Stuber ist Programm: Wo Menschen hausen, leben sie unter dem Niveau deutscher Behaglichkeit. Das Verb „hausen“ reimt sich auf Verwahrlosung, und nicht auf eine saubere Lebensführung. Wenn Menschen also in „Hausen“ hausen, wie in dieser Serie, dann kann man sich schon vorstellen, dass in so einer Umgebung vielleicht auch noch etwas anderes hausen könnte, etwas, das tiefer geht als der Schmutz, der sich zunehmend in die Wände frisst.

„Hausen“ lässt charakteristisch im Unklaren, welche der Bedeutungsaspekte des Titels wir beim Wort nehmen sollen, denn es ist ohnehin klar: Es geht einfach darum, den unheimlichen Klang dieses merkwürdigen Wortes bis ins letzte Extrem auszuloten.

Familienfaschismus und schöne heile Welt im postkommunistischen Anti-Utopia. „Hausen“ auf Sky. Foto: Sky Deutschland/ Lago Film GmbH/ Reiner Bajo

Die Geschichte beginnt damit, dass ein ­neuer Hausmeister (das Wort klingt auch gleich ganz anders) mit seinem Sohn in den Block kommt. Jaschek Grundmann (Charly Hübner) und der 16 Jahre alte Juri (Tristan Göbel) sind eine Schicksalsgemeinschaft, wie sich bald zeigt. Sie haben Schlimmes hinter sich, und möchten nun neu anfangen. Dass sie sich dazu eine Welt ausgesucht haben, in der nie die Sonne scheint, ist zwar nicht unbedingt verheißungsvoll.

­Jemand muss in den Heizungskeller, an den Ursprung der Rohre

Aber Jaschek und Juri wirken auch nicht so, als hätten sie viele Alternativen. Es gibt auch gleich eine ­Menge zu tun, denn im „Block“, wie das Haus die ganze Zeit genannt wird, funktioniert die Heizung nicht. Und das bedeutet eben: ­Jemand muss in den Heizungskeller, an den Ursprung der Rohre. Man verrät nicht zuviel, wenn man andeutet, dass auf Jaschek ein paar Herkules-Aufgaben warten.

Und sein Sohn lernt die neue Welt währenddessen auf seine Weise kennen. Der schmächtige Juri gerät bald an die örtliche Drogengang, findet dort aber in dem Anführer Ninja einen Freund, der sogar mehr sein möchte als nur ein Freund. Unter den ­Kunden der Dealer ist ein junger Vater ­namens Scherbe, der mit seiner Freundin Cleo und einem Baby lebt, das er auf einem üblen Trip irgendwo im Haus verliert.

Das Motiv eines verschwundenen Kindes verdoppelt sich dann, denn schon vor vielen Jahren hat einmal eine Frau in diesem Haus einen Sohn verloren. Da er nie wieder aufgetaucht ist, liegt eine Möglichkeit nahe: Er ist vielleicht noch irgendwo im Block. Doch in welcher Gestalt? In welcher Form? In welchem Zustand?

Aspekte des Schrecklichen

Horror ist ein Genre, das mal mehr ins Atmosphärische tendiert, mal stärker nach einer Grundlegung in konkreten Wirklichkeiten sucht. Thomas Stuber, geboren 1981 in Leipzig, geht es mit seinem Schreibteam recht deutlich eher um die Aspekte des Schrecklichen, bei denen man besser nicht nach Ankerpunkten in der Welt des Publikums sucht.

Denn andernfalls könnte man vielleicht versucht sein, „Hausen“ mit realen Brennpunkten der Republik in Verbindung zu bringen. Es geht aber eben nicht um eine soziale Allegorie, sondern um den Luxus, sich in einer Gesellschaft solche Fantasien leisten zu können: eine vollkommen heruntergerockte Welt, die aber nur bei ausreichend schnellem WLan gut rüberkommt.

Es schmatzt, es schwitzt, es saugt, es ragt unheimlich in den Himmel

Man tut also gut daran, alle Assoziationen mit entfesselten Plattenbauten im Osten oder missglückten Wohnbauträumen im Westen zu vergessen, und „Hausen“ einfach als ein konsequentes Genrestück zu sehen: In dieser Serie geht es vor allem darum, dass ein Gebäude lebt. Es schmatzt, es schwitzt, es saugt, es ragt unheimlich in den Himmel, wieviele Etagen es letztendlich sind, weiß nur der Nebel, der niemals weicht.

Den ­besten Blick auf die ganze Anlage hat man bezeichnenderweise aus dem Fenster eines Krankenhauses, das man sich als ebenso riesig vorstellen muss. Und wer dabei an Lars von Triers Serie „Geister“ denken möchte, liegt sicher nicht ganz verkehrt.

Eine Serie mit acht Folgen und fast acht Stunden Erzählzeit braucht aber eine gute Geschichte. Und da erweisen sich die atmosphärischen Stärken von „Hausen“ durchaus als dramaturgische Schwächen. Denn Thomas Stuber will auf nicht weniger als auf einen regelrechten Katalog des Unheim­lichen hinaus. Das bedeutet dann aber eben auch, dass sich die Angst irgendwann abnutzt.

Man kann nicht beliebig oft die Hand in eine lebende Wand stecken, mit dem Kopf voran in ein Backrohr und von dort in eine unbekannte Welt kriechen, einen Schacht hinunterstürzen, oder sich mit einem kosmischen Flash die Pupille aufreißen, und dann in der nächsten Folge so tun, als wäre nichts gewesen.

Ein langsamer Erzählduktus ist ein Luxus

Ein langsamer Erzählduktus ist ein Luxus, den der Serienboom mit sich gebracht hat. Früher hätte man die Idee zu „Hausen“ vielleicht auf einen Spielfilm komprimiert (hätte auch gut funktioniert), nun wird sie aber auf acht Folgen ausgewalzt, die insgesamt eher den Eindruck jener zähen Masse machen, die in „Hausen“ eine zentrale Substanz darstellt.

Es leben unheimliche Bewohner im grauenvollen Hochhaus. Foto: Sky Deutschland/ Lago Film GmbH/ Reiner Bajo

Der Bezahlsender Sky hat „Hausen“ zu einem der großen Events dieses Herbsts hochstilisiert. Tatsächlich kann man die Hoffnungen, die sich damit nicht nur für dieses Unternehmen, sondern für die deutsche Filmbranche insgesamt verbinden, durchaus verstehen. Es handelt sich um ein hochprofessionelles Produkt mit guten Schauspielern (zum Beispiel Lilith Stangenberg und Alexander Scheer) und gelungenem Design.

Vor vier Jahren brachten Till Kleinert und Anna Stoeva das Projekt auf den langen Weg durch die Fördergremien, mit Thomas Stuber kam dann ein vielseitiger junger Regisseur dazu, der zuletzt im Berlinale-Wettbewerb 2018 mit „In den Gängen“ eher in Richtung Sozialrealismus zu gehen schien. Er hat sowohl mit Christian Alvart, dem Hohepriester des deutschen Genrekinos, wie mit Clemens Meyer zusammengearbeitet, einem der interessantesten ostdeutschen Schriftsteller.

Deutschland im halb postkommunistischen Anti-Utopia

Die Kalkulation von „Hausen“ ist nun aber recht einfach zu erkennen: Deutschland zeigt sich hier von einer Seite, die es in der realen Geschichte seit der Wende gerade hinter sich gelassen hat – es ist eben nicht das mysteriös in einem halb „slawischen“, halb postkommunistischen Anti-Utopia versunkene Land. Sondern es kann sich leisten, diese Gegenwelt zu beschwören, ohne dass man befürchten muss, damit tatsächliche (reale) Geister der vielen Vergangenheiten dieses Landes zum Leben zu erwecken.

Hausen seit 29.10. bei Sky Atlantic, acht Episoden à 50 Min. 


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