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Film der Woche

„Sonne und Beton“ von David Wnendt nach dem Roman von Felix Lobrecht

Das Buch „Sonne und Beton“ des extrem beliebten Berliner Stand-Up-Comedians und Podcast-Moderators Felix Lobrecht wurde 2017 ein Bestseller. Ist die Geschichte um die Neuköllner Clique realistisch, poetisch oder eher drastisch? Alles zugleich! Regisseur David Wnendt, der schon Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ adaptiert hat, verfilmte nun Lobrechts Roman. Mit einem genialen jungen Schauspieler namens Levy Rico Arcos in der Hauptrolle – und klugen Ergänzungen.

Chillen auf dem Sofa – "Sonne und Beton" von David Wnendt. Foto: Constantin
Chillen auf dem Sofa – „Sonne und Beton“ von David Wnendt. Foto: Constantin

Die Gropiusstadt als Ghetto – „Sonne und Beton“ von Felix Lobrecht

Lukas hat seinen Ausweis nicht dabei. In die Schule darf er nur, wenn er an der Security vorbeikommt. Die will aber wissen, wer er ist. Ausnahmen werden nicht gemacht, auch nicht naheliegende: „Aber du kennst mich doch!“ Also muss Lukas wieder einmal schwänzen. Er trifft sich mit seinem Freund Gino, der bringt Julius mit und der macht einen Vorschlag, etwas zum Kiffen zu besorgen. Julius ist es auch, der die Abkürzung durch den Park nimmt, an den arabischen Dealern vorbei, mit denen es schnell einmal zu einem Wortgefecht kommt. Oder gar zu ein bisschen Haue.

Lukas ist 14. Er ist der Held in „Sonne und Beton“, dem Roman von Felix Lobrecht den David Wnendt nun verfilmt hat. Die Gropiusstadt als Ghetto, in dem man nur durchkommt, wenn man sich wehren kann. Und wenn man die richtigen Sprüche drauf hat, „isch schwöre“. Ein Ort mit Attraktionen („Wisst ihr, was bei dem Wetter Bitches Gropius rumlaufen, Alter!“), aber auch ein Ort mit wenig Perspektive: „Hoffentlich sitze ich in zehn Jahren nicht auch auf irgendeinem gammligen Spielplatz hier zwischen den Hochhäusern und saufe.“

Neukölln ist für die populäre Kultur höchst attraktiv

Ein Ort mit einer eigenen Geographie („U-Bahnhof Zwicke“, „Wutzkyallee vor Videothek“, „Lipschitz im Park“, „Rudower Fließ“. Die Gropiusstadt ist tiefes Neukölln im Südosten, von hier bis an den Hermannplatz erstreckt sich ein Bezirk, der nicht nur in den Debatten der Stadt immer wieder als Brennpunkt genannt wird, sondern der auch für die populäre Kultur höchst attraktiv ist. Denn Stadt ist eben, wo etwas los, und los ist etwas meist dort, wo sehr unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen. Ein Filmtitel von dem jungen Martin Scorsese gibt dafür nach wie vor die Richtung für diese Attraktion vor: „Mean Streets“, so viel wie „gemeine“ oder „gefährliche“ oder auch „geile Straße“. „Hexenkessel“, so lautete schließlich die deutsche Übersetzung.

"Sonne und Beton" von David Wnendt. Foto: Constantin
„Sonne und Beton“ von David Wnendt. Foto: Constantin

Die Gropiusstadt oder die Sonnenallee sind kein Hexenkessel, aber man findet dort doch den einen oder anderen Hustler, also Leute, die sich auf eine Weise durchschlagen, die nicht immer ganz astrein ist. Kleine Tricks, vielleicht auch das eine oder andere Delikt. Und natürlich das Großthema Drogen. „Amphe? Koka? Gras? Ich geb euch beste Kurs“, hört man bei Felix Lobrecht. In der Serie „4 Blocks“, die wahrscheinlich am meisten zu dem sehr speziellen Ruf beigetragen hat, den Neukölln bei Medienmachern genießt, wird der Drogenhandel als Riesengeschäft gezeigt, in dem die kleinen Dealer nur Nebenfiguren sind, während der Hauptpreis an den Straßenrändern steht: Immobilien. Wer Häuser besitzt, ist in Deutschland angekommen, auch wenn das Geld, mit dem bezahlt wurde, schwärzer als der Teufel war.

„4 Blocks“ hat mit dem Ghetto-Glamour von Neukölln gewuchert, und hat dabei Traditionen aus verwandten Bereichen (die Familiensaga aus den Mafiaepen, die Dramen aus der französischen Banlieue in Filmen wie „La Haine – Der Hass“ oder der zuletzt immer wieder erwähnte, reichlich spekulative Straßenkampf-Thriller „Athena“) aufgegriffen. Neukölln bekommt auf diese Weise eine eigene Magie, ein großer Abenteuerspielplatz, in dem sich das Leben noch nicht so beruhigt hat wie in Steglitz oder bald auch in Friedrichshain.

Berlin ist „eine große, raue Stadt, die einem was abverlangt“

Berlins Rang als Weltstadt hängt ja auch ein bisschen daran, dass es hier nicht zu gemütlich wird. Berlin ist „eine große, raue Stadt, die einem was abverlangt“, so formuliert es David Wnendt, der „Sonne und Beton“ verfilmt hat, in satten Farben, und mit ein paar großartigen Darstellern. Levy Ricky Arcos in der Rolle des Lukas ist groß. Vor allem aber gelingt es, die Balance zwischen Sozialdrama und Stilschule ganz gut zu wahren.

David Wnendt und Felix Lobrecht. Foto: Imago/N. Kubelka/Future Image
David Wnendt und Felix Lobrecht. Foto: Imago/N. Kubelka/Future Image

Denn natürlich haben solche Filme immer das Zeug dazu, zuerst einmal Nachahmung zu inspirieren. Nicht, dass nun alle gleich die Computer ihrer Schule ausräumen würden und bei den schäbigsten Hehlern des Viertels verhökern würden, oder sich dabei von einem Abdul abziehen lassen, wie es in einer der besten Szenen von „Sonne und Beton“ zu sehen ist – sie spielt übrigens in einem China-Restaurant. Nachahmung bezieht sich eher auf die Weisen, in denen ein Film etwas cool aussehen lässt, das beginnt beim Haarschnitt, geht weiter zum Vokabular, wallah, und betrifft schließlich allgemein eine bestimmte Haltung gegenüber den Leben. Und da zählt es natürlich, dass Lukas zwar alles mitkriegt, was man so braucht, um in Neukölln straßentauglich zu sein. Er hat dabei aber immer schon die Sensibilität ins Gesicht geschrieben, die ihn dazu befähigt, irgendwann eine andere Perspektive einzunehmen, eine von außen, wie sie auch das Kino nur finden kann.

David Wnendt findet auch dramaturgisch ein paar gute Lösungen, um Gropius nicht nur als Schicksalswelt und als Kreislauf der Hoffnungslosigkeit erscheinen zu lassen. Er verleugnet nicht, dass die Probleme oft mit den Eltern beginnen, zeigt aber auch, dass Familien integrative Kraft haben können. Mit einem Wort: „Sonne und Beton“ lässt Neukölln zu einem Ort werden, an den Normalität möglich ist, sogar Chill, aber trotzdem die Energie nicht verloren geht.


Sonne und Beton

D 2023; 120 Min.; R: David Wnendt; D: Levy Rico Arcos, Vincent Wiemer, Rafael Luis Klein-Heßling; Kinostart: 2.3.


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