Für seinen ersten englischsprachigen Film „The Room Next Door“ bekam Pedro Almodóvar in Venedig den Goldenen Löwen. Im Mittelpunkt des Suizid-Dramas stehen Almodóvar-typisch zwei Frauen, gespielt von zwei Schauspielerinnen, die der Regisseur offensichtlich verehrt: Tilda Swinton und Julianne Moore. tipBerlin-Kritiker Bert Rebhandl hat den souveränen Venedig-Gewinner gesehen.
„The Room Next Door“: Jeder stirbt für sich allein – oder doch nicht?
Viele Menschen finden die Vorstellung, allein zu sterben, unerträglich. Im Tod ist man ohnehin prinzipiell einsam, da ist es doch besser, wenn jemand dabei ist. So hält es auch die erfolgreiche Autorin Martha. Sie hat Krebs, eine vollständige Genesung ist nicht zu erwarten, im Gegenteil beschäftigt sie sich schon mit dem Moment ihres Endes. Sie will diesen Moment selbst bestimmen. Deswegen hat sie sich im Darknet eine Tablette besorgt, die in der Apotheke um die Ecke nicht verkäuflich wäre. Nun geht es noch darum, wer zu dem Zeitpunkt in ihrer Nähe sein soll, zu dem sie diese Tablette nimmt. Es trifft sich gut, dass Martha bei einer Signierstunde für ihr neues Buch auf eine frühere Freundin trifft. Ingrid ist genau die Richtige für die ein wenig heikle Mission, auf der sie sich bald befindet: Sie soll die Frau in The Room Next Door sein, in dem Zimmer neben dem Sterbezimmer, das Martha für sich aussucht.
Tilda Swinton ist schmaler und androgyner denn je
Der spanische Regisseur Pedro Almodóvar hat lange nach einem Stoff für seinen ersten englischsprachigen Film gesucht. Und auch nach der richtigen Konstellation an Stars. Mit Cate Blanchett waren Projekte schon weit gediehen, doch nun hat er mit Tilda Swinton und Julianne Moore eine andere Geschichte gemacht. The Room Next Door geht von einem Roman von Sigrid Nunez aus, der auf Deutsch Was fehlt dir? heißt (im Original: What Are You Going Through?). Swinton und Moore, das sind auch zwei komplementäre Ideen von Körperlichkeit und von Weiblichkeit. Tilda Swinton ist in der Rolle der kranken Martha schmaler und androgyner denn je, eine Inkarnation asketischer, auch trotziger Autonomie, wie es zu einer früheren Kriegsreporterin passt, die gerade ein Buch On Sudden Deaths veröffentlicht hat. Julianne Moore hingegen kann als Ingrid an die melodramatischen Register anschließen, die sie vor allem in ihren Filmen mit Todd Haynes entwickelt hat.
The Room Next Door ist ein Kammerspiel, zuerst in New York, später in einem Haus in der Natur (gedreht wurden diese Szenen übrigens in Spanien in dem Architekturdenkmal Casa Szoke). Alles in dieser Welt ist perfekt, alles hat Aspekte eines Designs, das mit seiner modernistischen Klarheit schon nicht mehr ganz zu den Unwägbarkeiten des Lebens zu passen scheint. Die beiden Frauen wissen, worum es geht, aber es stellt sich bald so etwas wie ein Alltag ein, sie sprechen über alte Zeiten, und der Tod rückt mehr und mehr in den Hintergrund. Er verschafft sich aber auch wieder Geltung, denn Martha stellt Regeln auf, es gilt, genau darauf zu achten, ob die Tür zu ihrem Schlafzimmer offen steht oder geschlossen ist. So geht dieses Leben unter Vorbehalt seinen Gang. Eine zusätzliche Dimension bekommt das Sein zum Tode, als Damian (John Turturro) auftaucht, ein gemeinsamer Freund von früher, der ein sehr erfolgreiches Leben als Untergangsprophet führt: Er hält Vorträge über die Selbstzerstörung der Menschheit, er spricht alle die Wahrheiten aus, die man im Grunde kennt, mit denen aber niemand so richtig umzugehen weiß.
Diese Figur des Damian lässt „The Room Next Door“ beinahe kippen mit ihrem Pathos. Ohnehin geht Pedro Almodóvar ein großes Risiko ein, denn wenn bei diesem heiklen Thema alles unentwegt deutlich ausgesprochen wird, was eigentlich mit einem Tabu belegt ist, kommt man nicht ohne weiteres zu sokratischer Freimütigkeit. Existenzieller Kitsch ist genauso eine Möglichkeit. Doch Almodóvar hat sich im Lauf seiner langen Karriere eine Souveränität erarbeitet, die ihn auch in diesem deutlichen Spätwerk nicht verlässt: Der Regisseur der Frauen geht mit zwei Darstellerinnen, die er offensichtlich verehrt, auf das Ganze eines schmerzlich erfüllten Lebens. Die Formen der Gemeinschaftlichkeit, die bei ihm so wichtig waren, sind auf eine komplizierte Zweier-Solidarität konzentriert. Und am Ende schafft Almodóvar es sogar, das Rad des Lebens zugleich zum Stillstand zu bringen, und ihm neuen Schwung zu verleihen.
- The Room Next Door Spanien 2024; 110 Min.; R: Pedro Almodóvar; D: Tilda Swinton, Julianne Moore, John Turturro; Kinostart: 24.10.
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