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„The Substance“: Die Geburt der Medusa

Demi Moore war einmal ein Inbegriff von Erotik im amerikanischen Kino. Nun zeigt sie in Coralie Fargeats Körperhorror-Schocker „The Substance“, wie Schönheitsidale zu schrecklichen Exzessen führen können. tipBerlin-Kritiker Bert Rebhandl hat den Film gesehen.

Demi Moore in „The Substance“: Sie spielt eine Fitness-Ikone, die zugunsten einer jüngeren Frau entsorgt werden soll. Foto: Mubi/Universal Studios

Demi Moore spielt in „The Substance“ eine Fitness-Ikone, die sich neu erfinden muss

Die amerikanische Schauspielerin Demi Moore wird im November 62 Jahre alt. Lange Zeit galt es als unhöflich, über das Alter von Frauen zu sprechen. Aber das Internet weiß sowieso alles, und bei ihrem neuen Film „The Substance“ geht es nun einmal in allererster Linie genau darum – um das Älterwerden, und wie ein Star darauf reagiert. Demi Moore wurde 1990 mit „Ghost – Nachricht von Sam“ an der Seite von Patrick Swayze berühmt, in den Jahren darauf hatte sie einige Rollen, mit denen sie populäre amerikanische Vorstellungen von Erotik neu definierte („Striptease“, „G.I. Jane“). Wer ein wenig die Regenbogenpresse verfolgt, oder ein paar Artikel über sie abruft, kann mitkriegen, dass sie in all den Jahren seither auch ab und zu Probleme hatte, zum Beispiel mit Medikamentenabhängigkeit.

Doch nun sieht man sie in „The Substance“ in nahezu makelloser Erscheinung als Frau knapp jenseits der 60. Sie spielt Elisabeth Sparkle, einst ein großer Hollywood-Star, nun eine Fitness-Ikone. Täglich strampelt sie sich in der Morgenshow eines großen Fernsehsenders ab. Bis sie plötzlich entsorgt wird. Ein jüngere Frau wird gesucht. Das Casting steht ausdrücklich unter der Überschrift: „Wer wird die neue Elisabeth Sparkle?“

Die französische Regisseurin Coralie Fargeat antwortet auf diese Frage mit einer bitterbösen Pointe. Sie erfindet ein mysteriöses Unternehmen, das an seine Klientel eine biotechnologische Behandlung verkauft. Elisabeth Sparkle lässt sich auch auf einen Deal mit „The Substance“ ein. Zuerst steckt ihr jemand einen Stick mit einem Promo-Reel zu, und als sie die beigefügte Telefonnummer anruft, wird sie an einen verrufenen Ort gelotst, wo sie in einem Schließfach ihre „Substanz“ vorfindet.

Sie kann sich nun neu erfinden. Jeweils sieben Tage lang kann sie mit einem jüngeren Selbst die Rolle tauschen. Dann muss sie sich zurückverwandeln.

Eine schockierende Neugeburt

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Diese erste Metamorphose ist einer der Höhepunkte von Coralie Fargeats Film: eine schockierende Neugeburt, für die ein älterer Körper aufbrechen muss, damit ein jüngerer ausschlüpfen kann. Am Ende liegt Demi Moore nackt und wie zerstört auf dem Boden, während Margaret Qualley in der ganzen unheimlichen Pracht ihrer Jugend über ihr aufragt.

Die Geburt einer Venus wird am Ende eine Medusa zeugen. Foto: Mubi/Universal Studios

Sie ist ebenfalls nackt, und Fargeat lässt die Kamera mit der Gier des objektivierenden Blicks über sie streifen, den eine männlich dominierte Unterhaltungsindustrie immer noch zum Maßstab macht. Elisabeth Sparkle ist nun Sue, die neue Attraktion im Fernsehen. Zwischen den beiden Frauen besteht eine Verbindung, von der niemand etwas wissen darf – eben jene gefährliche Prozedur, die Fargeat genüsslich in allen unerquicklichen Einzelheiten durchgeht. Das ist natürlich auch eine Parodie auf kosmetische Eingriffe, wird hier aber ins Mythologische gesteigert. Die Geburt einer Venus wird am Ende eine Medusa zeugen, also ein Wesen, dessen Hässlichkeit niemand ertragen kann.

Körperhorror bis zum Exzess

„The Substance“ hatte vor einigen Monaten in Cannes seine Weltpremiere. Schon bei der ersten Vorführung für die Presse verließen manche vorzeitig den Saal. Kein Wunder, schließlich gibt es Körperhorror bis zum Exzess zu sehen.

Dies alles jedoch in einer perfekt durchgeführten Choreographie, die auf dem Prinzip einer scheiternden Koexistenz beruht. Unübersehbar stehen die beiden Frauen-Gestalten auch für psychische Instanzen, die verführerische Sue ist das Ich-Ideal, das der Senderchef und die Casting-Agenten in Elisabeth aufrichten. Fargeat zieht diese Männer ins Grotesk-Lächerliche, lässt aber keinen Zweifel an ihrer weiteren Wirkmächtigkeit. Dennis Quaid hat eine herrliche Nebenrolle als der unappetitlichste aller Schreibtischgötter (eine finstere Version des trotteligen Mattel-Executives in „Barbie“), und Fargeat weidet sich geradezu an ihm, wenn er beim Wasserlassen oder beim Hummeressen eigentlich nur Ekel hervorruft. Aber er hat nun einmal das Sagen.

Man könnte vielleicht einwenden, dass die populäre Kultur eigentlich schon ein bisschen weiter ist als die profund negative Vision, die Fargeat präsentiert. Schönheitsideale sind im Wandel, andererseits präsentiert sich Demi Moore hier selbst mutig als Beispiel für den Optimierungsdrang, mit dem gerade Stars sich gegen das Altern zu immunisieren trachten. Denn „The Substance“ geht ja von ihrem vergleichsweise immer noch perfekten Körper aus und lässt ihn gründlich an den eigenen Ansprüchen zuschanden gehen.

Es ist gerade die forcierte Einseitigkeit von Fargeats Vision, ihr Beharren auf einem radikal vergifteten Mann-Frau-Blick-Regime, das den Film so wuchtig werden lässt. Alles das, was sich inzwischen als queer und fluid und nichtbinär oder ganz einfach als Widerstand gegen die Warenform in der Körperwahrnehmung entwickelt hat, bleibt in „The Substance“ im blinden Fleck eines Alptraums, der die besten Vorstellungen von Monstrosität einholt und übertrifft.

  • The Substance GB/USA/F 2024; 140 Min.; R: Coralie Fargeat; D: Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid; Kinostart: 19.9.

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