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Skandal? Till Lindemann spielt in einem Film bei „Achtung Berlin“ den Erlkönig

Am 6. April hat beim Filmfestival Achtung Berlin der Film „Rote Sterne überm Feld“ Premiere. In einer kleinen Nebenrolle zu sehen: Skandalsänger Till Lindemann. Auf Instagram gibt es Einspruch gegen diesen Auftritt. Ist das schon Cancel Culture?

Die rote Fahne weht – und der Film „Rote Sterne überm Feld“ nimmt die gesamte deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts in den Blick. Foto: Carlos Vasquez/Amerikafilm

„Rote Sterne überm Feld“ von Laura Laabs: Till Lindemann als Sagenfigur

Unter den Mooren vom Mecklenburg liegt die deutsche Geschichte – das ist eine der Ideen des Spielfilms „Rote Sterne überm Feld“ von Laura Laabs. Eine junge Aktivistin hisst über dem Reichstag rote Fahnen, die Medien fragen: Ist das Kunst? Oder Terrorismus? Tina (Hannah Ehrlichmann) geht auf Nummer sicher und zieht sich nach Bad Kleinen zurück, wo ihr Vater lebt. Sie taucht unter, und während sie mit ihrer eigenen Vergangenheit in der Provinz konfrontiert wird, taucht auch eine Menge auf. Zum Beispiel eine Moorleiche.

Laura Laabs nimmt die gesamte deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts in den Blick, mit einem ehrgeizigen Film, der Komödie und Epos verbindet, mit den Formen spielt und Mythen durcheinanderwirbelt. Einer der dieser Mythen sorgt nun gerade für Streit. Denn in „Rote Sterne überm Feld“ tritt auch der Erlkönig auf. Die Sagenfigur, die in dem berühmten Gedicht von Goethe mit dem Tod eines Kindes in Verbindung gebracht wird.

Rammstein-Frontmann Till Lindemann bei einem Konzert 2019. Foto: Imago/Depositphotos

Bei Laura Laabs gibt es eine Szene, in der der Erlkönig einem jungen Mann in den Tagen des Zweiten Weltkriegs einen Stahlhelm überreicht – als würde er ihn taufen für die schrecklichen Schlachten, die Hitler über die Welt brachte. Der Erlkönig hat in „Rote Sterne überm Feld“ nur ein paar kurze Szenen, er blitzt eher immer wieder auf, als dass er eine eigene Geschichte hätte. Proteste auf Instagram richten sich nicht gegen die Figur des Erlkönigs, sondern gegen den Mann, der ihn spielt: Der Sänger Till Lindemann, bekannt wegen seiner Soloprojekte und wegen seiner Rolle als Frontmann von Rammstein.

Der Instagram-Account „keinrammstein_berlin“ hat sich mit einem Statement zu dem Film gemeldet, das „patriarchale Gewalt in der Filmbranche“ anklagt. „Wir wollen keine Zensur“, heißt es weiter. Adressat ist das Festival Achtung Berlin. Am heutigen Sonntag (17 Uhr, Babylon Mitte) hat „Rote Sterne überm Feld“ beim Festival seine Berlin-Premiere.

Der Instagram-Post hatte am Sonntagvormittag rund 1300 Likes, das Medienecho allerdingst ist beachtlich. Das mag auch damit zu tun haben, dass die Anmerkung von „keinrammstein_berlin“ von einigen als Beispiel für „cancel culture“ genommen wurde. Die anonyme „Politische Organisation“ sieht offensichtlich gegen Lindemann weiterhin justiziable Vorwürfe und bezeichnet ihn  als „mutmaßlichen Täter“.

„Achtung Berlin“: Das Festival zeigt den Film mit einer anschließenden Diskussion

Im Fall von „Rote Sterne überm Feld“ plädiert sie aber nicht dafür, den Film aus dem Programm zu nehmen. Bei Achtung Berlin wird er nun mit einer anschließenden Diskussion gezeigt, wie sie beim Festival ohnehin üblich ist. „keinrammstein_berlin“ fragt in einem weiteren Statement, ob es sich „um einen sicheren Diskussionsrahmen handelt“. Die Gruppe schreibt: „Wir werden anonym vor Ort sein, um selbst beurteilen zu können, ob unser Fragenkatalog aufgegriffen wird.“

Laura Laabs hat Lindemann offensichtlich sehr bewusst gewählt (gedreht wurde vor den vielen Vorwürfen gegen Lindemann, die 2023 öffentlich wurden). Sie spielt ja mit der Ästhetik und dem mythischen Raunen, das so typisch ist für „Rammstein“-Videos. Ihr Film ist offensichtlich inspiriert von linken Theorien, sie ironisiert aber auch einen bestimmten theoretisierenden Gestus. Insgesamt ist „Rote Sterne überm Feld“ einer der interessantesten neueren Versuche, im deutschen Kino vom „Osten“ zu erzählen. (Wir werden beim tipBerlin, sobald ein Filmstart feststeht, noch ausführlich darauf eingehen.) Der Film würde auch ohne den Erzählstrang vom Erlkönig funktionieren, wäre aber dadurch ärmer.

Geht von Lindemanns Kurzauftritt in „Rote Sterne überm Feld“ tatsächlich eine „retraumatisierende Wirkung“ aus?

Von den Fragen, die „keinrammstein_berlin“ stellt, ist die wohl entscheidende die: Geht von Lindemanns Kurzauftritt tatsächlich eine „retraumatisierende Wirkung“ aus? (Woraus sich auch die Frage ergibt: Was ist das ursprüngliche Trauma? Lindemanns Erfolg? Lindemanns Umgang mit Groupies? Lindemanns selbstinszenierte Hässlichkeit, die bei Laura Laabs offensichtlich eine Rolle spielt?) Und wie könnte man Retraumatisierung verhindern? Ein bloßer Verzicht auf einen Kinobesuch reicht da offensichtlich ja nicht aus. Damit wird implizit klar, was der Account ohnehin zu seinem Programm macht: Lindemann soll gecancelt werden. Darüber gibt es aber in der Öffentlichkeit unterschiedliche Meinungen. Und diese sind auszuhalten, bei aller Unterstützung für Menschen, die sich von Lindemann traumatisiert oder re-traumatisiert fühlen könnten. Der sichere Diskussionsrahmen muss die Gesellschaft insgesamt sein.

  • Rote Sterne überm Feld Premiere: So, 6.4., 17 Uhr, Babylon Mitte

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