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Tom Tykwers neuer Film „Das Licht“: Tanz auf dem Scherbenhaufen

Tom Tykwer ist der Filmemacher der Berliner Republik. Nun hat er mit „Das Licht“ einen Film gemacht, der zugleich Lebensbilanz und Diagnose einer großen Zivilisationskrise sein will. Kann das gut gehen?

Der Cast von Tom Tykwers Film „Das Licht“: Nicolette Krebitz, Elyas Eldridge, Julius Gause, Elke Biesendorfer, Lars Eidinger (v.l.). Foto: Frederic Batier / X Verleih

Ein hypnagoges Licht – was ist das? Kurz vor dem Einschlafen, so heißt es, können Menschen, mit geschlossenen Augen, etwas sehen, das sie wie einen Lichtschein erleben. Vielleicht sind es Erinnerungen an den Tag zuvor. Vielleicht auch etwas eher Abstraktes. Auf jeden Fall kommt es zu einer Verbindung zweier Bewegungen. Denn einerseits sinkt das Bewusstsein in die Dunkelheit des Schlafs. Andererseits wird gerade in diesem Moment noch einmal etwas Helles erlebt, eine kleine Erleuchtung. Man kann diesen Effekt auch mit einem Gerät bewerkstelligen, denn es gibt Hersteller, die dafür eigene Lampen gebaut haben. Eine solche Lampe steht am Anfang von Tom Tykwers neuem Film „Das Licht“. Die Kamera nähert sich einer Wohnung in einem der Hochhäuser an der Leipziger Straße, sie kommt aus dem Abendhimmel, hinter den Fenstern ist es dunkel. Nur an einer Stelle ist eine Lichtquelle zu erkennen. Es versteht sich von selbst, dass das fliegende Auge von Tom Tykwer sich dorthin gezogen fühlt.

Ein Gespräch mit Tom Tykwer auf der Berlinale

Mitte Februar wurde mit „Das Licht“ die 75. Berlinale eröffnet. In diesem Zusammenhang gab es auch Gelegenheit, mit dem Regisseur zu sprechen. Die Lampe bezeichnet er als „ein technisches Teil, das eine spirituelle Funktion erfüllt“. Damit ist in Grundzügen auch sein Film beschrieben – ein digitales Dokument, das in Kinos projiziert wird und dort Erfahrungen zwischen Licht und Dunkel lässt. „Das Licht“ ist ein Film über eine vierköpfige Familie in Berlin, von einem Filmemacher, der in einer vierköpfigen Familie in Berlin der Vater ist. Dürfen wir also eine große Konfession erwarten? „Ich wollte, dass der Film sich emanzipiert von irgendwelchen biografischen Notizen, die mit eingeflochten sind. Ich hoffe, dass er eine Intensität aus der Erfahrungsdichte aller Beteiligten generiert. Er soll mehr sein als eine Membran von subjektiven Erfahrungen. Wenn ich den Film jetzt sehe, hat er eine subjektive Energie, die auf mehrere Schultern verteilt ist.“

Fünf Paar Schultern sind es konkret, die Tykwers Vision in „Das Licht“ tragen: Nicolette Krebitz ist Milena Engels, eine Frau, die in Ministerien Geld für eine NGO in Kenia auftreiben will; Lars Eidinger ist Tim Engels, ihr Mann, der sich als Star in einer Werbeagentur wie ein Aussteiger gibt, dabei ist er doch maximal integriert. Dazu kommen Elke Biesendörfer und Julius Gause als die Kinder, die Tochter taucht gern in die ekstatischen Gemeinschaftsgefühle der Clubkultur ab und engagiert sich als Klimaaktivistin, der Sohn ist ein Gamer, der selten sein verdunkeltes Zimmer verlässt. Die vierköpfige Familie wird durch eine fünfte Figur aufgemischt: Tala Al-Deen in ihrer ersten großen Hauptrolle spielt Farrah, eine Frau aus Syrien, die als Haushälterin bei der Familie Engels zur Lichtbringerin wird.

Sexuelle Energie lässt die Bourgeoisie kollabieren

Für diese Konstellation gibt es ein berühmtes filmhistorisches Vorbild: „Teorema – Geometrie der Liebe“ von Pier Paolo Pasolini. Eine Familie aus dem italienischen Großbürgertum wird von einem rätselhaften, attraktiven Gast zerlegt. Sexuelle Energie lässt die Bourgeoisie kollabieren. „In meinem Film geht es in die umgekehrte Richtung“, sagt Tykwer. „Ich lasse eine Familie über die fremde Person wieder zusammenfinden. Denn ich finde, dass das die Bewegung ist, die gebraucht wird.“

Wir sind durch zwei Jahrzehnte getaumelt, ohne zu merken, wie sich das System von unseren Einflüssen abgekoppelt hat. Die globale Ökonomie hat eine neue Runde gedreht, befeuert durch die Digitalisierung. Wir können schwer anerkennen, dass wir dadurch völlig überfordert sind. In einer behaupteten Lässigkeit haben wir das niemals wirklich durchdrungen. Und plötzlich verstehen wir, dass dieses interessante, widersprüchliche Konstrukt von unseren Kindern als Scherbenhaufen gesehen wird

Tom Tykwer

Dass die Berlinale dieses Jahr ein wenig wirkte wie ein Vorlauf zu den Bundestagswahlen am letzten Tag des Festivals, das konnte er natürlich nicht ahnen. Aber dieser Umstand intensiviert noch den Anspruch, den Tom Tykwer mit „Das Licht“ stellt – an sich selbst und an ein Publikum, dem er gern einen Film präsentieren würde, „über den die Leute wirklich reden“. Wenige Wochen vor seinem 60. Geburtstag und mehr als ein Vierteljahrhundert nach „Lola rennt“ kann man „Das Licht“ wohl wirklich als den Versuch einer Summe oder einer Bilanz sehen. „Ich wollte dem Rechnung tragen, was in den 25 Jahren seit ,Lola rennt‘ alles noch hinzugekommen ist.“ Hinzugekommen ist vor allem, dass Tykwer sich nun sehr stark in einem Generationenverhältnis sieht. „Wir sind durch zwei Jahrzehnte getaumelt, ohne zu merken, wie sich das System von unseren Einflüssen abgekoppelt hat. Die globale Ökonomie hat eine neue Runde gedreht, befeuert durch die Digitalisierung. Wir können schwer anerkennen, dass wir dadurch völlig überfordert sind. In einer behaupteten Lässigkeit haben wir das niemals wirklich durchdrungen. Und plötzlich verstehen wir, dass dieses interessante, widersprüchliche Konstrukt von unseren Kindern als Scherbenhaufen gesehen wird.“

Tykwers Weg ist der eines klassischen Boomers. Kindheit und Jugend in Wuppertal, dann auf nach West-Berlin, die erste Produktionsfirma gleich nach der Wende trägt den euphorischen Namen Liebesfilm. Maßgeblich wird 1994 der „Creative Pool“ bei X-Filme mit Dani Levy, Wolfgang Becker und Stefan Arndt. „Lola rennt“ kommt 1998 ein bisschen wie aus dem Nichts und trifft doch den historischen Moment geradezu traumwandlerisch: Techno und die Magie der Zeit, alles in einer atemlosen Bewegung.

Ich bin nicht zum Kino gekommen, um mich in den Korsetten gelenkig zu machen. Ich bin zum Kino gekommen, um das Korsett zu überwinden

Tom Tykwer

Bis heute arbeitet Tykwer in der Beschleunigung, die dieser Big Bang in seiner Karriere mit sich gebracht hat. Wegen „Lola rennt“ konnte er mit Tom Hanks und den Wachowskis arbeiten und mit Cate Blanchett in „Heaven“ (2004). Neben Wim Wenders ist Tykwer derjenige im deutschen Kino, der sich am meisten um eine Adaption von Erfolgsmustern des amerikanischen Kinos bemüht hat. Sein Eröffnungsfilm auf der Berlinale 2009 ist dafür das deutlichste Beispiel: „The International“ (ein Thriller mit Clive Owen und Naomi Watts) war allerdings auch ein tendenziell anonymes und ortloses Produkt. „Ich bin nicht zum Kino gekommen, um mich in den Korsetten gelenkig zu machen. Ich bin zum Kino gekommen, um das Korsett zu überwinden“, sagt er heute über diesen Versuch eines aufwendigen Genrefilms mit vielen Schauplatzwechseln und Actionszenen.

Spielt Nicolette Krebitz spielt mit diesem Bild aus „Das Licht“ auf ihr berühmtes Plattencover für die Band New Order an? Foto: Frederic Batier /X Verleih AG

Tom Tykwer kann sich selbst zu einem Medium der Nation machen

„Das Licht“ sieht Tykwer nun als „die große Schwester von „Lola rennt“. Fast zehn Jahre war er mit der Serie „Babylon Berlin“ beschäftigt, die dieses Jahr mit der fünften Staffel zu Ende geht. Nun kann er quasi bei sich selbst anschließen, kann er sich selbst zu einem Medium der Nation machen. „Ich bin ja dem populären Kino verschrieben“, betont er. Das Kino als eine Kunst, sich mit dem Anderen zu konfrontieren, sieht er nun auch als eine Möglichkeit, eines der größten Probleme der Gegenwart zu überwinden: die Ressentiments, mit denen viele Menschen sich vor dem Unbekannten schützen. „Wir müssen lernen, diese Angst vor dem Fremden zu überwinden. Und wir werden das auch lernen. Durch Zuhören und aufeinander Zugehen werden wir Weisheit gewinnen. Eine größere Offenheit und angstfreieren Zugang zum Anderen.“

Die autoritäre Welle, die in vielen Gesellschaften zu verzeichnen ist, ist für Tykwer ein Übergangsphänomen. „Das ist der letzte Versuch, bevor diese Welle sich zurückzieht. Langfristig brauchen wir offensichtlich diese Rückschritte, um als Menschheit weiter zu kommen in Richtung Entkategorisierung.“ Das ist ein sperriges Wort für das Ideal, dass Menschen einander einfach als Menschen sehen könnten und sich nicht an Eigenschaften stoßen, die der Zufall verteilt. Entkategorisieren wollte Tykwer wohl auch seine eigene Ästhetik in einem Film, der mit Formen des Musicals spielt und überhaupt „in alle Richtungen hin offen“ sein will – „Das Licht“ ist mit 164 Minuten auch doppelt so lang wie „Lola rennt“. Das Wagnis, das er damit eingeht, erinnert am ehesten an „Der Krieger und die Kaiserin“, den er 2000 auf den Höhepunkt seines frühen Erfolgs und mit vielen Freiheiten machte, und der dann ein wenig schwerfällig und sehr pathetisch wurde.

„Das Licht“-Regisseur Tom Tykwer: „Ich wollte dem Rechnung tragen, was in den 25 Jahren seit ,Lola rennt‘ alles noch hinzugekommen ist.“ Foto: Joachim Gern
„Das Licht“-Regisseur Tom Tykwer: „Ich wollte dem Rechnung tragen, was in den 25 Jahren seit ,Lola rennt‘ alles noch hinzugekommen ist.“ Foto: Joachim Gern

Einerseits begriff Tykwer schon früh viel von dem, was heute mit der Idee der Multiversen und von Logiken des Zufalls durchgespielt wird. Andererseits wird das Spiel oft zu stark mystisch überhöht und mit überdeutlichen Botschaften beladen. Das gilt nun in hohem Maß für seinen neuen Film.

Tom Tykwer sagt, sein Film „Das Licht“ beschönige nichts

Deutschland, Syrien, Kenia bilden in „Das Licht“ einen Zusammenhang, der für eine weltweite Verbundenheit steht. Tykwer ist ein deutscher Filmemacher, der selbst für eine Weile so etwas wie eine persönliche Globalisierung durchlaufen hat und sich daraus auch wieder zurückgezogen hat. Nun spricht er mit seinem neuen Film zu einem Land, in dem die Sehnsucht nach einer überschaubaren, bewältigbaren, homogenen Lebenswelt zu einer bedrückenden Ideologie zu werden droht. „Ich sehe die ganze Krise in ihrer Macht. Mein Film beschönigt da nichts. Aber es gibt eine Grundbewegung, die unsere Kinder in sich tragen, und die ist zueinander. Ich schaff das gar nicht, das weit genug zu denken, was das für die Lebensräume und für die Alltagskultur bedeutet.“

Damit hat Tykwer ganz gut das Dilemma von „Das Licht“ bezeichnet. Denn die Reise, auf die er hier das Publikum mitnimmt, führt weit hinaus aus dem Alltag. Sie führt zu einer Konfrontation mit Lebenserfahrungen, von denen man aus den Zeitungen und aus dem Fernsehen und auch auf TikTok nur unzureichend etwas erfährt. Tykwers Reise in „Das Licht“ führt auch zu Musical-Sequenzen, die nicht immer glücklich gewählt erscheinen – „Bohemian Rhapsody“ von Queen ist ein Meisterwerk der eigenen Art, das sich bei Vereinnahmung schnell als sperrig erweist. Das große „Zueinander“, das er inszenieren will, ist auch ein Zueinander der Formen. Aber „Das Licht“ wird dadurch ungelenk, in den vielen Milieus und Welten fehlt tatsächlich eine plausible Alltäglichkeit. Und Farrah hat zwar eine starke dramaturgische Funktion, aber ihr Ort im Film ist nicht zufällig eine Art Black Box. Sie ist kein plausibles menschliches Gegenüber, auch wenn sie schließlich für die menschliche Urerfahrung der Todesangst steht.

Das Kino ist auch eine hypnagoge Lampe. Es schenkt Wachträume, in denen man Klarheit und Konzentration finden kann, in denen man sich aber auch verlieren kann. „Das Licht“ ist letztlich ein Film, der aus seinen Träumen nicht mehr hinausfindet.

  • Das Licht D 2025; 162 Min.; R. Tom Tykwer; D: Nicolette Krebitz, Lars Eidinger, Tala Al-Deen; Kinostart: 20.3.2025

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