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Filmkritik

„Trenque Lauquen“: Größer und bizarrer als alles, was man erwartet

„Trenque Lauquen“ heißt der Film von Laura Citarella, der in vielerlei Hinsicht überraschend ist. Die Frauen in diesem Film lieben Geheimnisse, die argentinisch-deutsche Produktion wechselt zwischen Perspektiven und Jahrzehnten, gibt Rätsel auf, ist zugleich ein wenig Mystery-Thriller, Road Movie und Fantasy. Warum tipBerlin-Kritikerin Olga Baruk dem vierstündigen Film die volle Punktzahl gibt, lest ihr hier.

Laura Paredes spielt die Hauptfigur im rätselhaften, langen und gelungenen Film „Trenque Lauquen“. Foto: Grandfilm

„Trenque Lauquen“: Ein merkwürdiger Fall, ein merkwürdiger Film

„Adios, adios, ich gehe fort“, stand auf dem Zettel geschrieben, mehr nicht, nur dieser eine Satz. Hinter dem Scheibenwischer eines Autos klemmte sie ihre Botschaft fest, das Auto geliehen, oder gestohlen, wie man’s nimmt. Und dann – adios. Laura, eine angehende Biologin aus Buenos Aires, ist zum Klassifizieren seltener Pflanzen in die Kleinstadt Trenque Lauquen gereist. Und außer diesem Fetzen Papier ist von Laura keine Spur. Was ist geschehen? Der Fall ist merkwürdig, wie hier so vieles.

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Neben Laura verschwinden in dieser schillernd lustvollen Geschichte nämlich auch andere Frauen, aber nicht irgendwie passiv, als wären sie entführt worden, sondern indem sie – wie Laura es tat – ganz einfach fortgehen, das Weite suchen, abhauen. Carmen, Elisa und Romina … aber Moment mal, das kommt erst später. Die Frage ist ja: Will jemand, der geht, überhaupt gefunden werden? Bevor die Frauen verschwinden, jede auf ihre Art und Weise, trinken sie Whisky und verleiben sich außerdem ein: Blumen (aber nur die gelben!), Bücher (eine ganze Bibliothek!) und zufällig entdeckte, vor vielen Jahren geschriebene Briefe erotischer Natur. Frauen in „Trenque Lauquen“ lieben Geheimnisse.

Szene aus „Trenque Lauquen“. Foto: Grandfilm

Und die Männer? Verliebt, sympathisch, ahnungslos. Rafael, zum Beispiel, der über Laura erstaunlich wenig wusste, obwohl die beiden fast zusammengezogen wären, wäre sie nur nach ihrem Job in Trenque in die Hauptstadt zurückgekehrt. Was Rafa nicht weiß, damit ist Ezequiel, Chicho genannt, schon längst vertraut. Und Juliana bekommt ihrerseits etwas mit, was Chicho nicht ahnte. Wie in diesem Film Informationen dargeboten werden: in kleinen Häppchen und großen Stücken, aber nie auf einmal. „Trenque Lauquen“ changiert elegant zwischen Jahrzehnten und Erzählperspektiven, lässt Ereignisse, Erzählzeiten und Motive ineinanderfließen, bis ein neues Kapitel sie wieder voneinander löst. Sackgassen gibt es auch, Fluchtlinien und offene Enden hängen aus der raffiniert gesponnenen Fiktion auch mal lose herab.

„Trenque Lauquen“ hat etwas von einem Detektivfilm

Und Laura? Sie wusste viel, weil sie eine Suchende und eine Fragende war, ein weiblicher Sherlock Holmes. Am Schluss wusste sie dagegen gar nichts mehr, weil sie das ganze Wissen hinter sich ließ, wie den Job, die Liebe, die Blumen und so ziemlich alles andere. „Trenque Lauquen“ hat etwas von einem Detektivfilm, ist ein wenig Mystery-Thriller, Road Movie und Fantasy in einem. Mehr als die Summe seiner Teile ist es. Größer und bizarrer als alles, was man erwartet.

Filmkollektiv El Pampero Cine: Neues argentinisches Kino und alternative Formen

Geschrieben und inszeniert hat diesen ungewöhnlichen Film Laura Citarella, die Hauptdarstellerin Laura Paredes hat an dem Drehbuch mitgeschrieben. Der Film sei ein Teil einer größeren Idee, „eine Reihe von Filmen, in denen dieselbe Figur verschiedene Leben in verschiedenen Städten in der Provinz Buenos Aires führt“. Vom Kino, das nie zu Ende geht, träumen auch Citarellas Mitstreiter und Mitstreiterinnen des Neuen Argentinischen Kinos, Nuevo Cine Argentino. Seit Mitte der 1990er-Jahre haben sich Lucretia Martel, Lisandro Alonso, Martín Rejtman, Mariano Llinás und weitere mit viel Erfolg der ästhetischen Innovation verschrieben.

Auch um neue alternative Formen des Filmemachens geht es dem Filmkollektiv El Pampero Cine, dem Citarella angehört, zum Beispiel um das Produzieren im Wechsel mit den eigenen Regiearbeiten oder um die Unabhängigkeit dank alternativer Finanzierungsformen. In diesem Rahmen entstand 2018 unter der Regie von Mariano Llinás „La Flor“ – ein 868 Minuten langes, überbordendes Kinoereignis, produziert von Laura Citarella. Im Vergleich dazu ist „Trenque Lauquen“ eigentlich sehr kurz. Ihre vier Stunden weiß die Filmemacherin jedenfalls bestens zu füllen.

  • Trenque Lauquen Argentinien/D 2022; 128 + 132 Min.; R: Laura Citarella; D: Laura Paredes, Ezequiel Pierri, Rafael Spregelburd; Kinostart: 1.6.

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