Ein Film wie ein hormonell übersteuerter Junggesellenausflug. Wie ist dieser Bad-Taste-Movie von 1994, den Bernd Eichinger produziert hat, gealtert? tip-Autor Philipp Wurm hat sich die drollige Komödie noch einmal vorgenommen.
Der Artikel ist Teil der Reihe „Cancel Culture Club“, in der wir uns Filmen aus der Vergangenheit widmen – und diese aus heutiger Perspektive neu verhandeln.
„Voll Normaaal“: In den 90ern Quell der Freude für pubertierende Jungen
Es war einmal eine Zeit in der Geschichte des deutschen Films, deren Output laut und vulgär war. „Manta Manta“ (1991) stammt aus dieser Epoche, eine Komödie über präpotente Männer, deren Lebensinhalt darin besteht, grell lackierte Boliden aus Opel-Werken zu tunen und an die Grenzen ihrer Belastbarkeit zu fahren. Der junge Til Schweiger spielte die Hauptrolle; zum Produzententeam gehörte Bernd Eichinger.
Ein weiterer Streifen war „Voll Normaaal“ (1994). Ein Bad-Taste-Movie, der in Köln-Kalk spielte, einem kleinbürgerlichen Vorort im grauen Westen der Republik. Der Film war in den 90er-Jahren einmal Quell der Freude für pubertierende Jungs zwischen 12 und 15, vor allem in Nordrhein-Westfalen. Prägnante Sätze aus den Dialogen sind, jedenfalls vorübergehend, in den allgemeinen Sprachgebrauch geflossen („Alles für Dackel – alles für den Club“, „Voll die Seuche“ und „Hyper gierig!“). Wie das bei so genannten Kultfilmen meisten ist. Erstaunliche Personalie: Der Film ist ebenso von Eichinger produziert worden. Regie führte Ralf Huettner („Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem“, später „Vincent will Meer“).
„Voll Normaaal“ war so einflussreich, dass er regionale Proll-Kultur zum Stoff für Massen-Unterhaltung machte, später im TV mit Blödelfiguren wie Erkan & Stefan oder Cindy aus Marzahn.
Wie ist dieser Film gealtert, der Humor unter der Gürtellinie zum Prinzip macht?
Die Hauptfigur ist ein junger Autoschlosser namens Tommie, gespielt vom fast vergessenen Comedian Tom Gerhardt. Die Leidenschaften dieses Simplicissimus sind Pornos, Nutella und Moped-Fahren. Sein bester Freund ist Mario, sein Kollege aus der Kfz-Werkstatt (Hilmi Sözer). Zwei Lümmel, die sich mit den Potentaten des kölschen „Miljöhs“ anlegen, den lokalen Halbweltgrößen also. Stein des Anstoßes: Tommi hat einem Chef-Luden mit Vokuhila-Mähne die Kronjuwelen gestohlen. Genau genommen hat er dem Macker den fetten, polierten Auspuff von seiner Zuhälterkarre abgeschraubt. Und sich mit dem Phallus davon gemacht.
Eine Kastration, die das Alpha-Tier kirre macht. Tommi muss das Gerät schnellstens zurückbringen – und außerdem eine Kiste mit einer selten Biersorte auftreiben („Ramsdorfer Kölsch“). Sonst droht ihm „Köln-Kalk-Verbot“. So weit, so bizarr.
Es wäre übertrieben, diesen Plot feministisch zu nennen – aber er ist doch ein Versuch, einen einigermaßen selbstironischen Umgang mit einer verschwitzten Männerwelt zu finden. Für eine Mainstream-Komödie aus dieser Ära ist das womöglich schon viel.
Der Film thematisiert auch Pornografie und den male gaze – als das Internet, wie wir es heute kennen, noch gar nicht existierte. Verhandelt wird dies am Beispiel des Pornostars Gianna S., gespielt von Dolly Buster, deren Videos von Tommie und seinem Kumpel Mario regelmäßig konsumiert werden. Später gibt sie in Köln-Kalk halbnackt eine Show, auf der Bühne einer Großraumdisco, als eine Art Wiedergängerin von „Conan, der Barbar“. Tommie und Mario vergöttern Gianna S. wegen ihrer Tangas und Silikonbrüste. Ihre Kunstfigur ist Geschäftsmodell. Gianna S. verkauft Sex-Content an Männer, die oversexed and underfucked sind.
Bei „Voll Normaaal“ müssen Schwänze einiges aushalten
Dann ist da noch Gabi (Gruschenka Stevens): Sie arbeitet in der Videothek um die Ecke – und findet mit Tommie und Mario zu platonischer Freundschaft. Weil sie erahnt, dass hinter deren Geilheit die Verlorenheit von Außenseitern steckt? Für einen Playboy im Cabrio hat sie jedenfalls wenig übrig, genau genommen einen schmierigen Anlagebetrüger, der Tommies klamme Eltern übers Ohr hauen will. Sie schüttet ihm während eines Dates heimlich Tabasco ins Kondom. Der Mann, der eigentlich Sex erwartet hatte, jault vor Schmerz. Sagen wir mal so: In diesem Film müssen Schwänze einiges aushalten. Dafür muss man das amüsante Finale nicht mal spoilern.
Eine Apotheose heroischer Männlichkeit ist „Voll Normaaal“ also nicht gerade – obwohl die Handlung zugleich vom Grusel eines hormonell übersteuerten Junggesellenausflugs getragen wird. Bier, PS und Gesprächen über Oberweiten.
Der Film ist damit wie ein Zug, der auf halber Strecke stehen geblieben ist. Da ist einerseits alter Sexismus (selbst die clevere Gabi trägt Mini-Rock und lächelt meist offenherzig, weil eine Männerfantasie für den Durchschnitts-Kinogänger soll sie trotz allem verkörpern). Andererseits ist „Voll Normaal“ Trash-Kino, das in guten Momenten geschmacklosen Humor und Menschlichkeit in ein funktionierendes Verhältnis setzt.
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