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Interview

„Was sehen wir, …“: Regisseur Alexandre Koberidze über trauriges Nichtstun

Manchmal taucht im Kino ein Film auf, bei dem man sofort das Gefühl hat, dass er die Verhältnisse ein wenig zurechtrückt. So ist das bei „Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“ von Alexandre Koberidze, einem Absolventen der Berliner Filmhochschule DFFB, der nun wieder in seiner Heimat Georgien lebt. tipBerlin-Autorin Carolin Weidner hat mit ihm über seine Arbeit gesprochen, dabei aber einen Künstler angetroffen, der am Krieg in der Ukraine so stark Anteil nimmt, dass er zur Zeit über „trauriges Nichtstun“ nicht hinaus.

„Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“ von Alexandre Koberidze. Foto: Grandfilm

„Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“: Erfolg auf der Berlinale

Kutaissi, drittgrößte Stadt Georgiens, scheint ein Ort der Brücken zu sein. Einige von ihnen sind sogar nach Farben benannt. Und unter ihnen rauscht der Fluss Rioni, der sich in Alexandre Koberidzes „Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“ auch immer wieder tosend präsentiert. Es ist gerade einmal der zweite Langfilm des georgischen Regisseurs. Mit ihm hat er nicht nur sein Studium an der Berliner dffb abgeschlossen, sondern wurde 2021 auch in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen und dort mit dem internationalen Preis der Filmkritik bedacht.

Eigentlich kann man sich darauf freuen, Alexandre Koberidze zu treffen, der in Tbilisi lebt und an kommenden Filmprojekten arbeiten sollte. Eigentlich gäbe es viel zu besprechen, zu fragen, wie es kommt, dass in seinem neuen Film Ampeln und Rohre und Hunde reden, wie es sein kann, dass Menschen aufgrund eines Fluches ihr Antlitz verlieren oder Fähigkeiten einbüßen. Eigentlich. Aber seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine, seit dem 24. Februar 2022 hat Alexandre Koberidze ein Gefühl überfallen, welches ein stringentes Weiterarbeiten unmöglich macht.

„Man verliert den Sinn in den Dingen“: Alexandre Koberidze ist wegen des Kriegs in der Ukraine zutiefst erschüttert

„Die Sache mit dem Krieg ist, dass man den Sinn in den Dingen verliert. Alles wird unwichtig“, sagt er. Die meisten Gesprächstermine, die zu „Was sehen wir, wenn zum Himmel schauen?“ hätten stattfinden sollen, hat er abgesagt. „Es ist schwierig, wirklich ernsthaft über den Film zu reden. Wir haben mit der täglichen Vernichtung von Menschen in der Ukraine zu tun, da kann man doch nicht gleichzeitig mit ernstem Gesicht über irgendwelche künstlerischen Entscheidungen sprechen.“

Alexandre Koberidze. Foto: Grandfilm

Ein märchenhafter Film

Der Situation wohnt auch auf anderer Ebene eine gewisse Tragik inne, denn Koberidzes märchenhafter Film, der sich ganz seiner von Merkwürdigkeiten bestimmten Liebesgeschichte hingibt – und mit ihr der Stadt Kutaissi –, sollte auch ein Befreiungsschlag sein. Ein leichterer Film jedenfalls als „Lass den Sommer nie wieder kommen“ (2017), eine dreieinhalbstündige Reise durch Tbilisi, weitgehend aufgenommen mit einer Handykamera. Auch dies eine Liebesgeschichte, aber eine heimliche, zwischen einem Tänzer und einem Offizier. Wiederkehrend wird die ohnehin lose Handlung dabei von einer Erinnerung unterbrochen: dem Gestank eines Kühlschranks, den man in einer heißen Sommernacht ausgestellt hatte und in dem mehrere Päckchen Butter geschmolzen waren. Eine Kriegserinnerung.

„Mein erster Film war in dem Sinne wichtig für mich, weil ich mit ihm einen Weg aus dem Stress und Trauma des Krieges von 2008 gesucht habe. Natürlich auch in der Hoffnung, dass so etwas nicht wieder passieren würde. Und jetzt ist es wieder da. Nach 2008 habe ich lange Zeit gebraucht, um auch wieder über andere Sachen nachdenken zu können.“

„Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“ von Alexandre Koberidze. Foto: Grandfilm

„Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“ Dokumentarische Beobachtungen

„Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“ erzählt von einer Zufallsbegegnung. Lisa und Giorgi laufen auf der Straße buchstäblich ineinander, dann ein zweites Mal und dann auch noch ein drittes Mal. Sie verabreden sich im neuen Café an der Brücke, beide bereits im Zustand wachsender Liebe begriffen, ohne Zweifel. Auf dem Heimweg aber verraten drei Freunde (unter anderem ein Rohr) Lisa, dass die Bekanntschaft verflucht sei. Am nächsten Morgen erkennt sich keiner von ihnen im Spiegel wieder. Und wie soll es unter diesen Umständen mit dem abendlichen Treffen klappen?

Über eineinhalb Jahre haben Regisseur und Filmteam in Kutaissi verbracht, einen Ort, den Koberidze laut eigener Auskunft zuvor nur von der Durchreise kannte. Die Beobachtungen der Stadt haben auch etwas Dokumentarisches – Kinder beim Fußballspiel, Straßenhunde. „Ich habe bis jetzt noch keine klare Antwort auf die Frage gefunden, wo das Dokumentarische aufhört und das Fiktionale beginnt. Mit meinen Filmen versuche ich auch immer, solche Sachen zu verstehen. Aber mich interessiert beides“, meint er.

Das bloße Dokumentieren des Alltags hilft Koberidze außerdem, Rhythmen und Funktionsweisen einer Umgebung zu begreifen. Ein umfassendes Verständnis dieser ist ihm wichtig. Ein Grund, warum seine Filme bislang in Georgien entstanden sind und nicht in Berlin: „Ich habe fast zwölf Jahre in Berlin gelebt und trotzdem das Gefühl, dass es zu viel gibt, von dem ich nichts weiß. Auch jetzt ist das, was ich sehe, sehr begrenzt, genauso wie der Kreis an Leuten, die ich kenne. Alle haben mit Film zu tun und sind ungefähr in meinem Alter. In Berlin habe ich keine Ahnung, wie Kinder erzogen werden, wie es in der Schule ist, wie ein Leben hinter den Fenstern überhaupt abläuft.“

Es sei schwer, auf dieser Grundlage einen Film zu realisieren, „doch nicht unmöglich“, und er wolle es unbedingt versuchen. Aktuell liegen aber noch zwei andere Projekte auf dem Tisch, unter anderem ein Drehbuch für einen Film, der im Jahr 1993 spielen soll, ebenfalls ein Kriegsjahr in Georgien. In ihm geht es um Menschen, die zu Fuß über den Kaukasus geflüchtet sind. Außerdem stünde ein Dreh an. „Da hatte ich mich eigentlich lange drauf gefreut, aber mir fehlen Lust und Konzentration. Auch wenn ich nicht wirklich helfen kann, finde ich es gerade besser, nichts tuend traurig zu bleiben als einen Film zu machen.“ Carolin Weidner

D/Georgien 2021; 150 Min.; R: Alexandre Koberidze; D: Giorgi Bochorishvili, Vakhtang Panchulidze, Ani Karseladze; Kinostart: 7.4.


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