Regisseur Pawo Choyning Dorji aus Bhutan stellt mit „Was will der Lama mit dem Gewehr?“ auf gewitzte Weise große Fragen. Zum Beispiel: Ist die Demokratie ein System, das Menschen unzufrieden macht? tipBerlin-Kritiker Bert Rebhandl hat mit dem Regisseur über Modernisierung, Glück und die Omnipräsenz von TikTok gesprochen.
„Was will der Lama mit dem Gewehr?“ macht mit dem recht unbekannten Bhutan vertraut
Das Königreich Bhutan am östlichen Rand des Himalaya hat einen bestimmten Ruf weg. Es heißt, dass die Menschen dort besonders glücklich wären. Andere Länder messen das Wirtschaftswachstum, in Bhutan gibt es einen Index für National Happiness. 2012 kam der österreichische Dokumentarfilm „What Happiness Is“ heraus, der auch ein wenig dazu beigetragen hat, dass rund um das Glück in Bhutan ein kleiner Hype entstanden ist. Oft steckt da aber auch ein gutes Stück Projektion drin. Umso besser, dass nun ein Film in die Kinos kommt, der mit diesem immer noch recht unbekannten Land näher vertraut macht: „Was will der Lama mit dem Gewehr?“ von Pawo Choyning Dorji.
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Die Geschichte spielt im Jahr 2006. Damals wurde die Bevölkerung eingeladen, für die Demokratie zu üben. Denn der König, der davor allein der Souverän gewesen war, hatte Wahlen ausgerufen. Vor der eigentlichen Stimmabgabe sollte es einen Probedurchgang mit fiktiven Parteien geben. Und die Menschen mussten überhaupt erst einmal von den Vorteilen eines Systems überzeugt werden, das in Europa entwickelt wurde. Der König orientierte sich am Vorbild Englands und hatte eine konstitutionelle Monarchie im Sinn, mit einem Parlament als Partner. Pawo Chyoning Dorji aber zeigt, dass viele Menschen damals dachten: Wozu das alles? Ist doch alles okay, wie es ist.
Ganz so okay eben doch nicht. Auch in Bhutan gab es damals verschiedene Vorstellungen, wohin sich das Land entwickeln sollte. Und diese Ideen verteilt der Regisseur auf verschiedene Figuren: eine junge Frau, die Werbung für die Wahlen macht; einen jungen Mann, der als Chauffeur und Guide für einen Amerikaner arbeitet; einen Mönch, der von seinem Meister, einem buddhistischen Lama, den Auftrag bekommt, ein Gewehr zu besorgen. In Bhutan gibt es aber nur historische Waffen. Und an diesem ist wiederum der Amerikaner interessiert, der für einschlägige Sammler unterwegs ist.
Regisseur Pawo Choyning Dorji: „Modernisierung wird oft mit Verwestlichung verwechselt“
Für den tipBerlin nahm sich Pawo Choyning Dorji Zeit für ein Zoom. Die Leitung nach Bhutan klappt problemlos. Die erste Frage: Gibt es im Bhutanesischen überhaupt ein Wort für „Moderne“? Denn das ist ja deutlich das Thema des Film: Modernisierung. Ein Land, das dem Klischee nach ein Paradies sein könnte, will und soll modern werden. „Der springende Punkt ist, dass oft Modernisierung mit Verwestlichung verwechselt wird“, antwortet Dorji. „Wir haben in Bhutan etwas wirklich Besonders, das ich eher Zufriedenheit als Glück kennen würde. Ich lasse mich von der Realität inspirieren. Alles, was ich erzähle, ist wirklich passiert. Nur den Amerikaner habe ich erfunden.“
Auf den Amerikaner, der fast alles falsch versteht, reagieren die Leute in Bhutan unterschiedlich. So unterschiedlich, wie sie auch auf den Fortschritt reagieren. 2019 wurde Dorji mit dem Film „Lunana – Das Glück liegt im Himalaya“ bekannt. Gedreht wurde in einem der entlegensten Orte der Erde. Aber selbst dort ist die moderne Welt schon angekommen. „Auch vierzehn Tage Fußmarsch reichen nicht aus, um TikTok hinter sich zu lassen. Das ländliche Bhutan verschwindet allmählich.“
„Was will der Lama mit dem Gewehr?“ trifft eine ganze Reihe sehr heutiger Themen
Die Vorstellungen von Glück oder Zufriedenheit („contentness“) haben für Dorji viel mit dem Buddhismus zu tun. Er selbst kam zum Filmemachen, weil sein Meister sich für das Medium begeisterte. Wer sich näher interessiert, kann den Filmtitel „Spiel der Götter“ (1999) suchen. Auch das ist schon eine typische Kombination für die spannenden Widersprüche in Bhutan: authentischer Buddhismus und das technische Massenmedium Kino. „Buddhismus ist ein großer Einfluss für mich. Das zentrale Konzept ist Verbundenheit. Alle Dinge hängen miteinander zusammen. Wenn ich ein Blatt Papier sehe, stelle ich mir darüber eine Wolke vor, die steht für Wasser, den Regen brauchen die Bäume, aus den Bäumen wird Papier.“ Bhutan ist das einzige karbonnegative Land der Welt, darauf legt Doriji Wert. Mindestens 60 Prozent der Fläche müssen Wald sein. So steht es in der Verfassung.
Mit „Was will der Lama mit dem Gewehr?“ trifft er gleich eine Reihe sehr heutiger Themen. „Für mich ist die größte Fähigkeit der Menschen das Erzählen von Geschichten. In unserer Sprache gibt es kein genaues Wort dafür. Wir sagen: Ich öffne einen Knoten.“ Das trifft sehr gut, was Dorji macht. Er öffnet den Knoten des Fortschritts, in einer Komödie, die einen melancholischen Hintergrund nicht verleugnet. Die großartige Landschaft von Bhutan spielt natürlich auch eine prominente Rolle.
Mit seinem ersten Film „Lunana“ landete Dorji unvermutet auf der Shortlist für die Oscars 2022. Damit ist der große Brückenschlag gut markiert, für den der Regisseur selbst steht. Er ist eindeutig ein Kind der modernen Welt, lebt zur Hälfte in Taiwan, und hat amerikanische Produzenten. Sein Film ist nicht naiv, aber er findet einen schönen Tonfall für das Bedürfnis nach einer Welt, die noch nicht vollkommen der Digitalisierung und der Globalisierung ausgeliefert ist. Was der Lama mit dem Gewehr will, wird schließlich in einem Ritual deutlich, bei dem man nicht von ungefähr an Vorstellungen von amerikanischen Ureinwohnern denken könnte. Selbst die Romantik ursprünglicher Völker hat längst eine Geschichte. Und Pawo Choyning Dorji fügt ihr ein sehr sehenswertes Kapitel hinzu.
- The Monk and the Gun Bhutan/Taiwan 2023; 107 Min.; R: Pawo Choyning Dorji; D: Tandin Wangchuk, Deki Lhamo, Tandin Sonam; Kinostart: 1.8.
Einst Jugend-Star aus „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, heute etablierte Regisseurin: So ist die neue Sommerkomödie „Zwei zu eins“ von Natja Brunckhorst. Der Kult-Schocker der Berlinale: Wir finden, „Love Lies Bleeding“ ist der Noir-Thriller des Jahres. Spiel um Identitäten: „A Killer Romance“ von Richard Linklater in der Kritik. Blinde Aliens, ein tolles Starduo und eine Katze mit Nebenrolle: Unsere Kritik zu „A Quiet Place: Tag Eins“. Vom Leben und Sterben: Eva Trobisch beleuchtet in „Ivo“ gekonnt den Alltag einer Palliativpflegerin. Das Epos unserer Gegenwart: „Furiosa: A Mad Max Saga“ in der Filmkritik. Am liebsten draußen: Hier ist das Programm der Berliner Freiluftkinos. Was läuft sonst gerade? Hier ist das aktuelle Kinoprogramm für Berlin. Mehr aus der Filmwelt lest ihr in unserer Kino-Rubrik.