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Filmkritik

„Der See der wilden Gänse“ von Yinan Diao: Chinesische Halbwelt

Gangsterfilm In der Volksrepublik China bildet sich gerade eine Gesellschaft heraus, die man allenfalls noch nach außen, aber nicht mehr leicht nach innen verlassen kann. Man kann höchstens einmal das Telefon nicht bei sich tragen, auf dem die alleswissenden Anwendungen sich befinden, aber die Überwachungskameras wissen dann auch, dass da jemand ohne Endgerät unterwegs ist. Den Film „Der See der wilden Gänse“ von Yinan Diao kann man ohne Weiteres als eine Fantasie über die letzten Freiräume sehen, die unter diesen Voraussetzungen noch bleiben.

Der See der wilden Gänse von Yinan Diao
„Der See der wilden Gänse“ von Yinan Diao. Foto: eksystent

Zhou Zenong, die Hauptfigur, ist ein Gangster, der sich auf Motorraddiebstähle spezialisiert hat. Die Geschichte beginnt mit einer Großaufnahme seiner blutigen und tätowierten Faust, dann tritt eine junge Frau in einem roten Pulli und mit einem transparenten Regenschirm neben ihn, und bestellt einen Gruß von seiner verschollenen Ehefrau. Es erweist sich, dass eine Belohnung von 300.000 Yuan (ungefähr 37.000 Euro) auf Zenong ausgesetzt ist, und der Thrill der zwei Stunden des Films läuft darauf hinaus, wer sich dieses Geld sichern kann.

Eine Art von Ballett: „Der See der wilden Gänse“ von Yinan Diao

„Der See der wilden Gänse“ steht dabei für einen durchaus halb imaginären, halb den Genrekonventionen des Gangsterkinos entlehnten Ort, ein „uncharted territory“, wie es einmal in den Untertiteln heißt, ein Gebiet, das noch nicht restlos datentechnisch erfasst ist. „Badende Schönheiten“ bieten sich hier als Geheimprostituierte an, eigenartige Vergnügungen werden angeboten, und Yinan Diao erzählt aus dieser Gegend auf eine Weise, die seine Bilder und Figuren immer wieder in eine Art von Ballett versetzt.

Wenn Menschen mit Neonleuchtsohlen zu „Rasputin“ von Boney M. tanzen, auf einem verwunschenen Flohmarkt irgendwo im China, dann öffnen sich plötzlich Räume, von denen keine Kontrollgesellschaft jemals etwas wissen wird. Und mit diesem zugleich populärkulturellen wie politisch subversiven Aspekt wird „Der See der wilden Gänse“ zu mehr als nur einer sehr attraktiven Übung in Gangsterposen: Der Clou ist, dieser Gesellschaft nicht einfach zu entfliehen, sondern ihr sogar noch ein Schnippchen zu schlagen. Einer muss dabei allerdings draufzahlen.

  • Nan Fang Che Zhan De Ju Hui (OT) China 2019; 113 Min.; R: Diao Yinan; D: Liao Fan, Huang Jue, Kwai Lun-Mei; Kinostart: 27. 8. 2020

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