Das Gesicht von Glenn Close in der Rolle von Albert Nobbs ist eine Sensation: kindliche Greisenhaftigkeit, eine verletzliche Maske mit dem pudrigen Staub eines nichtgelebten Lebens. Dahinter verbergen sich Kinderbuchträume von einer heilen Familie und ein skandalöses Geheimnis: Albert Nobbs ist eine Frau. Im Dublin des späten 19. Jahrhunderts arbeitet Nobbs als Hotelkellner. In edlem Tuch und mit geschliffenen Manieren gehört er zum Adel der Domestikenkaste, die sich nur durch die Farbe des Binders von den Gentlemen unterscheiden, die sie bedienen. Und was dieser scheinbar interesse- und geschlechtslose Beobachter alles sieht auf den Treppen des diskreten kleinen Hotels: die überdekorierte Fassade einer wankenden Klassengesellschaft, die großen Leidenschaften und kleinen Amouren, die vielen Lügen, von denen die eigene die aufrichtigste ist. Eine Zufallsbegegnung reißt Nobbs aus der Isolation und ermöglicht einen rauschhaften Ausbruch: Der kleine Herr wird zur unscheinbaren älteren Dame, endlich frei in Korsett, Unterröcken und Haube. Solche Momente vertrackter Emanzipation machen den Film, trotz einiger dramaturgischer Schwächen, zum Ereignis.
Text: Stella Donata Haag
Foto: Patrick Redmond / Pandastorm Pictures
tip-Bewertung: Sehenswert
Orte und Zeiten: „Albert Nobbs“ im Kino in Berlin
Albert Nobbs?, Großbritannien/Irland 2011; Regie: Rodrigo Garcнa; Darsteller: Glenn Close (Albert Nobbs), ?Mia Wasikowska (Helen), Aaron Johnson (Joe); 109 Minuten
Kinostart: 26. September