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Dokumentarfilm

In der Doku „Erde“ geht es um die Auswirkungen von Großbaustellen

Philosophie, Psychologie, Umweltzerstörung: Der österreichische Dokumentarfilmer Nikolaus Geyrhalter blickt in „Erde“ auf die ­Auswirkungen von Großbaustellen

Nikolaus Geyrhalter/ Real Fiction

„Es gibt keine Grenzen. Nur die, die man sich selbst setzt“, philosophiert der Vorarbeiter einer gewaltigen Baustelle im kalifornischen San Fernando Valley. Man versetzte hier buchstäblich Berge, ergänzt er, während der Blick auf eine gewaltige Ödlandschaft fällt, die von riesigen Baumaschinen für eine noch zu bauende Stadt planiert wird. „Vielleicht steht an dieser Stelle dann ein Kino“, sagt er zu Regisseur Nikolaus Geyrhalter, „wer weiß?“

60 Millionen Tonnen Oberflächenmaterial würden täglich durch Winde und Flüsse bewegt, heißt es im neuen Werk des österreichischen Dokumentarfilmers gleich zu Beginn. Wohingegen mittlerweile täglich 156 Millionen Tonnen durch Menschen bewegt würden. Damit sei der Mensch „der entscheidende geologische Faktor der Gegenwart“.

Für „Erde“ besuchte Geyrhalter deshalb in verschiedenen Gegenden der Welt Orte, an denen diese Eingriffe in die Natur besonders augenfällig sind: vom Tunnelbau am Brenner bis zum Braunkohletagebau in Ungarn, von einer spanischen Kupfermine bis zu einem Marmor-Steinbruch im italienischen Carrara.

Dabei ergibt sich durchaus eine dramaturgische Steigerung, denn an den beiden letzten Stationen, die der Regisseur aufsucht, ist das menschliche Wirken schon mal so richtig schiefgelaufen: Im Salzbergwerk im niedersächsischen Asse – einst als garantiert sicheres Endlager für atomaren Müll gepriesen – ist man heute vor allem mit der Stabilisierung der Stollen und der Rückholung der verstrahlten (und verrosteten) Fässer beschäftigt, die man einst in fröhlichem Fortschrittsglauben in der Tiefe abgekippt hatte. Und im kanadischen Fort McKay erläutern zwei First-Nation-Ureinwohner die katastrophalen Umwelt-Auswirkungen von Ölfeldern in der Nähe ihres Heimatortes.

Dass Geyrhalter, zu dessen bekanntesten Filmen mit „Pripyat“ (1999) und „Unser täglich Brot“ (2005) Dokumentationen über Tschernobyl und über die Lebensmittelindustrie gehören, dem menschlichen Treiben skeptisch gegenübersteht, daraus macht sein Film keinen Hehl. Zugleich gibt es hier nichts Didaktisches oder Demagogisches. Die Interviews, die der Regisseur mit Arbeitern, Ingenieurinnen und Geologinnen führt, sind geprägt von Respekt. Man sieht reflektierte Menschen, die sich der Auswirkung ihres Tuns durchaus bewusst sind. Die zugleich aber auch stolz auf ihre Arbeit sind, auf den Kampf mit dem Material und die eigene Fähigkeit, alle Schwierigkeiten zu überwinden. Man wolle ja nicht zurück in die Steinzeit, sagt einmal jemand.

Verkehr, Warenaustausch, Energie – das ist der Fortschritt. Zugleich ermöglicht der technische Fortschritt, immer schneller zu arbeiten und immer schneller zu zerstören. Eine Spirale, aus der es kein Entrinnen gibt. Manche der Protagonisten würden sich natürlich mehr unzerstörte Natur wünschen, haben aber pragmatisch resigniert vor dem Gewinnstreben und der Geschäftemacherei. So sind die Menschen eben: „Wenn ich es nicht tue, macht’s ein anderer.“

Auch in der Ästhetik von „Erde“ spiegelt sich eine Faszination für Großbaustellen und die gewaltigen Maschinen eines in sich geschlossenen Systems durchaus wider. Es ist ein wenig wie bei Atombombenexplosionen: Man weiß um die Schrecken und die Zerstörung, aber schön anzusehen sind sie dennoch.

Geyrhalter, der auch sein eigener Kameramann ist, produziert Bilder für die große Leinwand, er sucht und findet die interessanten und ästhetisch ansprechenden Perspektiven. Da gibt es die faszinierende Aussicht aus dem Führerhäuschen des Braunkohlebaggers, das aus der Vogelperspektive gefilmte synchrone Abkippen von Gestein in ein Mahlwerk, die filigranen Choreografien der großen gelben Baumaschinen sowie den Blick auf die abstrakten Strukturen, die sie in der Landschaft hinterlassen.
Weggebaggert

Doch bei aller Faszination wird eben auch deutlich, in welchem Ausmaß und mit welcher Hybris der Mensch seine Umwelt zerstört. Ob der Mensch eine gute Spezies sei, fragt Geyrhalter einmal etwas provokant an einer Stelle seines Films. Die junge Mitarbeiterin des ungarischen Museums, das ein Diorama eines weggebaggerten versteinerten Sumpfzedernwaldes präsentiert, hat darauf eine vorsichtige, aber treffende Antwort: „Es ist unwahrscheinlich, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“

Erde A 2019, 115 Min., R: Nikolaus Geyrhalter, Start: 4.7. 

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