Kein Wunder also, dass die US-Bürgerin Julia Child, die als Botschaftsangestellte Ende der 40er Jahre in Paris die Haute Cuisine entdeckte, ihre Landsleute unbedingt missionieren wollte. Ihr Kochbuch „Mastering the Art of French Cooking“ wurde ein Hit – und die Einbauküche der Autorin im Smithonian National Museum ausgestellt. Noch zu Childs Lebzeiten, im Laufe des Jahres 2002, hat eine junge New Yorkerin die 524 Rezepte ihres Küchenkompendiums nachgekocht und darüber in einem Blog berichtet. Julia Child hat diese Kannibalisierung nicht gemocht; Julie Powell hat sie weltberühmt gemacht.
„Zu viel Essen, zu wenig Sex“ – mit dieser Klage des bekochten Ehemanns ist der Kochlöffel über dem filmischen Eintopfgericht der Regisseurin Nora Ephron („Schlaflos in Seattle“, „E-Mail für Dich“) eigentlich schon gebrochen. In einem lauen Sud normaler Angestelltennöte köcheln die beruflichen und privaten Probleme der 30-jährigen Julie (Amy Adams) so vor sich hin. Doch die Einlage hat es in sich! Denn Rückblenden zeigen auch Julia Child zwischen Herd und Bett – und Meryl Streep in Höchstform. Die vom diplomatischen Gatten (Stanley Tucci) souverän geduldete Karriere Julia Childs soll Powells Egotrips offenkundig legitimieren. Doch verleiht Meryl Streep ihrer in Wahrheit wohl eher pingeligen Kochmamsell einen derart furiosen Transvestiten-Drive, dass die Newcomerin Amy Adams dagegen schlicht wie „Entbeinte Ente“ wirkt.
Nach den 524 nachgekochten Rezepten verkündet Julie Powell dann auch nicht etwa: „Ich bin eine Köchin!“, sondern triumphal: „Ich bin eine Schriftstellerin!“ Womit „Julie & Julia“ doch noch eine volle Prise Zeitgeist abbekommt. Denn längst ist die hier gerühmte schwere französische Küche mit ihren Sülzen und Saucen ja obsolet geworden. Weithin hat sich das Kochen entmaterialisiert. Längst schon heißt es: „The proof of the pudding is in the reading.“
Text: Jörg Schöning
tip-Bewertung: Zwiespältig
Orte und Zeiten: „Julie & Julia“ im Kino in Berlin
Julie & Julia, USA 2009; Regie: Nora Ephron; Darsteller: Meryl Streep (Julia Child), Amy Adams (Julie Powell), Stanley Tucci (Paul Child); Farbe, 123 Minuten
Kinostart: 3. September