Interview

Shahrbanoo Sadat: Die afghanische Regisseurin über Flucht und Kino

,,Kabul Kinderheim” – eine afghanische Coming-of-Age-Dramedy (seit 4.11. im Kino) – erzählt die Geschichte eines Jugendlichen namens Qodrat, der Ende der 1980er Jahre in Kabul zwischen politischen Umbrüchen und persönlichen Veränderungen aufwächst. Die Filmemacherin Shahrbanoo Sadat musste vor einigen Monaten aus ihrem Land fliehen und lebt seitdem in Deutschland.  Im Gespräch mit tipBerlin-Autorin Nora Stavenhagen erzählt sie vom Aufwachsen in politischen Zeiten, Bollywoodfilmen und der Wichtigkeit des Alltäglichen.

Die afghanische Regisseurin Sharbanoo Sadat ist aus Afghanistan geflüchtet. Derzeit läuft „Kabul Kinderheim“. im Fernsehen. Bild: Steppenwolf

„Überall war Krieg, aber Kabul war friedlich“. Shahrbanoo Sadat über ihr Leben in Afghanistan

tipBerlin Frau Sadat, wie gefällt Ihnen Berlin und Deutschland bisher?

Shahrbanoo Sadat Ich bin gerade erst heute angekommen, davor war ich in Hamburg. Aber ich war schon mal in Berlin und liebe es sehr.

tipBerlin ,,Kabul Kinderheim” spielt ja in der Zeit kurz bevor Sie geboren wurden, 1989. Warum haben Sie diese Zeit ausgewählt und warum war sie wichtig? Weil es eine Zeit der Veränderung in Afghanistan war?

Shahrbanoo Sadat  Ja, 2010 hatte ich meinen ersten Job bei einem bekannten Fernsehsender in Kabul gekriegt, ich war Produzentin für eine Kochsendung. Da habe ich bei einer Kaffeepause meinen Freund Anwar getroffen, der bei den Nachrichten arbeitete. Und er hat mir erzählt, dass er irgendwann seine Lebensgeschichte aufschreiben will, aber es immer aufschiebt. Halb im Spaß haben wir dann gesagt, dass er immer ein paar Seiten abends schreiben soll und sie mir schickt, damit ich sehe, dass er es wirklich macht. Und er hat es gemacht, innerhalb eines Jahres hatte ich 800 Seiten seines „Tagebuches“ gelesen und mich total darin verliebt. Es war sehr persönlich, und er wusste selber gar nicht, dass er so gut schreiben konnte. Es war seine Lebensgeschichte, aber gleichzeitig geht es auch um die Geschichte Afghanistans. Er ist 20 Jahre älter als ich und hatte die 80er und 90er durchlebt. Er war acht Jahre lang in einem russischen Kinderheim. Ich war so beeindruckt von seiner Geschichte, weil ich über diese Phase in Afghanistan ja wenig wusste, es war so neu für mich.

tipBerlin Was war damals anders?

Shahrbanoo Sadat Das Land war kein islamischer Staat, Frauen konnten mit Rock und nackten Beinen, ohne Kopftuch draußen laufen. Eine total andere Erfahrung als ich sie hatte. Viele Menschen sagen, dass die 1980er Jahre in Kabul die goldene Zeit waren, glückliche Tage. Und das, obwohl zu dieser Zeit für dreizehn Jahre außerhalb der Stadt der afghanisch-sowjetische Krieg tobte. Kabul als Hauptstadt war der letzte Ort, der von den Mudschahidin eingenommen wurde. Sie eroberten die Stadt erst 1992, und der Krieg begann 1979, also erst lange danach. Und in meiner Lebenszeit war es eigentlich ähnlich. Wenn ich die Sowjetunion mit den USA oder die Mudschahidin mit Taliban ersetzte, ist es eigentlich das Gleiche. Es gab da viele Gemeinsamkeiten mit der Zeit, in der ich aufgewachsen bin, überall war Krieg, aber in Kabul war es friedlich. Ich war so fasziniert davon, dass Afghanistan vor 30 Jahren nicht mal ein islamischer Staat war, und jetzt ist es wegen der Taliban als eines der strenggläubigsten Länder bekannt. Ich habe zu meinem Freund gesagt, dass ich fünf Spielfilme über diese Zeit machen möchte. Er glaubte mir gar nicht, weil ich zu dem Zeitpunkt noch gar keine Regisseurin war. Der erste Teil von 2016 heißt ,,Wolf and Sheep” , der zweite Teil im Kinderheim ist von 2019, und jetzt arbeite ich am dritten Teil, den wir hoffentlich nächsten Jahr drehen können.

„Kabul, Kinderheim“ von Sharbahnoo Sadat. Bild: Steppenwolf

tipBerlin Also ist der Film die Lebensgeschichte Ihres Freundes?

Shahrbanoo Sadat Inspiriert davon. Bis diesen August war ja alles fast genauso wie damals. Krieg überall außer in der Hauptstadt, und dann haben die Taliban Kabul übernommen. Und die Regierung ist kollabiert und Menschen geflohen.

tipBerlin Ja, natürlich haben Sie den Film vor diesen Ereignissen gemacht, aber die Parallelen zu heute sind schon erstaunlich.

„Das ist mein Leben“: Shahrbanoo Sadat will im Kino das richtige Afghanistan zeigen

Shahrbanoo Sadat Ja, es ist traurig, die Geschichte wiederholt sich.

tipBerlin Es ist auf jeden Fall sehr interessant für Europäer Afghanistan so zu sehen, da es total anders ist als die medialen Bilder, die uns geläufig sind.

Shahrbanoo Sadat Es ist auch interessant für afghanisches Publikum, da das Land im Film oft nur als ein Klischee dargestellt wird. Es gibt immer bestimmte Bilder, die reproduziert werden, Kriegsdramen oder Dokumentarfilme. Wir sind nur dieselben Bilder gewohnt. Es gibt meiner Meinung nach sehr viele schlechte Filme über Afghanistan, auch welche, die Preise gewinnen und bei großen Festivals sind wie Cannes und die Berlinale.

tipBerlin Welche zum Beispiel?

Shahrbanoo Sadat Eigentlich alle (lacht). Ich bin da eine starke Kritikerin, ich gucke alles, wo es um Afghanistan geht, sogar wenn es nur eine Szene ist. Amerikanische, iranische, arabische Filme sehe ich mir an. Und ich hoffe immer etwas anderes und Neues zu entdecken. Etwas, wo ich als Person, die dort aufgewachsen ist, sagen kann, ja das kenne ich und das ist mein Leben. Aber das ist mir bis auf kleine Momente nie wirklich passiert. Und das liegt daran, dass internationale Filmemacher nicht genug über die afghanische Kultur wissen und ihr Blickwinkel, falls sie wirklich dorthin reisen, so touristisch ist, so oberflächlich. Und natürlich ist es für afghanische Filmemacher auch schwer, ihre Ideen zu verwirklichen, weil sie ja so viele andere Menschen von dem Projekt überzeugen müssen, um das zu verkaufen. Man muss sich ja auch am Markt orientieren, wenn es ein Kriegsfilm ist, können Leute sich damit identifizieren, weil sie es kennen. Aber eine romantische Komödie kommt dann vielleicht nicht so gut an.

tipBerlin Zählt vor allem der internationale Markt?

Shahrbanoo Sadat Es zählt das Bild von ausländischen Filmen. Auch afghanische Filmemacher orientieren sich daran, sie haben noch nicht das Selbstbewusstsein, Geschichten auf ihre eigene Weise zu erzählen, sie sehen darin noch nicht den Wert. Also produzieren sie auch dieselben Filme wie internationale Filmemacher. Das liegt daran, dass Afghanistan keine richtige Filmindustrie hat, wir haben noch nicht unsere eigene Filmsprache. Wir sehen uns durch die Augen der anderen. Das ist etwas, was ich hoffe, was sich in den nächsten 50 Jahren verändern wird. Erst recht jetzt, wo viele Künstler und Kulturschaffende das Land verlassen und sich in anderen Ländern weiterbilden. Dann gibt es in einigen Jahren großes Potenzial für eigene Kultur-und Filmproduktionen. Das größte Problem war nämlich das Geld, viele haben sich beschwert, dass es kein Unterstützungssystem gibt. Viele die jetzt nach Frankreich oder Deutschland gegangen sind, können dort hoffentlich von diesen Angeboten profitieren.

„Kabul, Kinderheim“ von von Shahrbanoo Sadat. Bild: Steppenwolf

tipBerlin Sind Sie im Kontakt mit anderen afghanischen Filmemachern und helfen Sie sich gegenseitig?

Shahrbanoo Sadat Ich habe Kontakt mit einigen Leuten, aber es ist nicht einfach, weil vieles über mafiöse Strukturen geht. Sogar im Kultursektor ist es so, überall dieselben 50 Menschen. Für junge Leute ist es echt schwer, da rein zu kommen. Wenn man Ansehen haben möchte, muss man dazugehören. Und das war das Netzwerk in Afghanistan, wovon ich eine große Kritikerin war, weil es eine Mafia war. Die Produktion war auch gering, in den letzten 20 Jahren ist fast nichts passiert. Die Anzahl der Produktionen lag jährlich bei null. Und Filmemacher haben sich auch nicht getraut darüber zu sprechen, sonst bezahlt man dafür, deswegen sind sie das Risiko nicht eingegangen. Ich war mehr eine Außenseiterin, weil ich mit der europäischen Filmindustrie verbunden war und daher nicht abhängig von dieser afghanischen Gruppe. Also war ich unabhängig, und Koproduktionen sind mir wichtig, damit man auch ökonomisch seine Kreativität realisieren kann.

„Ich habe einfach versucht, Momente zu filmen“. Shahrbanoo Sadat über „Kabul Kinderheim“

tipBerlin In Ihrem Film ,,Kabul Kinderheim” geht es um schlimme und tragische Ereignisse, dennoch überwiegt ein lebensbejahender Ton mit lustigen Momenten. Warum denken Sie, dass diese alltäglichen Momente wichtig sind?

Shahrbanoo Sadat Mein Fokus ist das alltägliche Leben von Menschen, und dort gibt es halt traurige und lustige Momente, alle möglichen Gefühle gleichzeitig. Und mit Kindern, Jungs in diesem Falle, wird das alles noch viel chaotischer.  Als ich dieses Projekt entwickelte, habe ich mir vorgestellt, dass dieses Kinderheim wirklich existiert, und ich dort einfach nur mit meiner Kamera Momente filme. Ich hatte zwar ein 100-seitiges Drehbuch, aber ich wollte die echten Momente einfach finden. Es musste kein fester Plot sein, sondern ich wollte einfach mit den Charakteren sein und ihrem Leben folgen. Die Charaktere führen Regie, ich habe meiner Crew und Kamerafrau gesagt, dass wir uns nach ihnen richten. Sie sollten die Möglichkeit haben, sich frei zu bewegen und nicht in feste Bildausschnitte gezwängt werden. Ich habe in Sequenzen, langen Aufnahmen, manchmal bis zu 40 Minuten gedreht und währenddessen die ganze Zeit geredet und Anweisungen gegeben, korrigiert, das war sehr schwer für meine Mitarbeiter danach rauszuschneiden (lacht).

tipBerlin Der Film fühlt sich auch wirklich authentisch an. Wie war der Arbeitsprozess mit den Kindern und wie wurden sie gecastet?

Shahrbanoo Sadat Der Castingprozess hat über ein Jahr gedauert. Qodrat und ein anderes Mädchen waren schon in meinem ersten Film, und ich habe sie dann hier auch genommen. Der Rest wurde unter 20.000 Jungs in der größten Schule Kabuls gefunden. Als ich mit deren Familie gesprochen habe, habe ich auch einige von deren Verwandten mit in den Film genommen. Anwar, mein Freund ist auch in dem Film.

tipBerlin Oh, welche Rolle hat er, den Kinderheimleiter?

Shahrbanoo Sadat (nickt) Ja! Erst wollte er es nicht machen, er hasste sein Gesicht dabei. Aber für mich ist das ein gutes Zeichen, denn ich mag keine Leute, die es extrem lieben Schauspieler zu sein, narzisstische Menschen, das kann ich gar nicht ab. So ist er viel natürlicher vor der Kamera.

„Kabul Kinderheim“ von Shahrbanoo Sadat. Bild: Steppenwolf

tipBerlin Für ihn muss es wahrscheinlich merkwürdig gewesen sein, eine Rolle zu spielen, die so mit seinem eigenen Leben verbunden ist, oder?

Shahrbanoo Sadat Ja, für mich war es auch komisch. Ich kannte zwar seine 800-seitige Lebensgeschichte sehr gut und dachte, ich wüsste so viel darüber, da ich ja ihn und seine Freunde sehr gut kenne. Aber am Set war er ganz anders, als ob sein Körper sich wieder an Dinge erinnert. Ich war überrascht, aber es war eine sehr gute Entscheidung. Ich hatte ihm vorgeschlagen im Film zu sein, aber er hatte es drei Mal abgelehnt. Ich hatte sogar andere Leute für die Rolle gecastet, aber keiner davon gefiel mir so gut. Als ich da keine Hoffnung hatte, jemand Passenden zu finden, habe ich ihm sozusagen befohlen, die Rolle zu spielen, weil ich sonst niemand finden konnte. Dann hat er endlich zugesagt, aber dass er keine Verantwortung übernimmt, falls es furchtbar wird. Ich freue mich wirklich sehr, dass er im Film ist, da es seine Geschichte ist. und ich wollte, dass er auch auf der Leinwand Teil dessen ist.

tipBerlin War es schwer mit den jungen Laienschauspielern zu arbeiten?

Shahrbanoo Sadat Beim Dreh war es einfach, das Casting war schwer. Denn wenn man die richtigen Leute castet, hat man weniger Probleme beim Dreh. Und da sie mehr oder weniger sich selbst spielen und auch das Drehbuch auf Englisch nicht lesen konnten, entdeckten sie die Geschichte in jeder Szene beim Dreh. Die Kinder sind aus Afghanistan, aber gedreht haben wir in Tadschikistan, Deutschland und Dänemark. Und die dann dorthin zu bringen, sich mit Pässen, Visa und allem möglichen herumzuschlagen; mit mal afghanischer oder europäischer Crew zu drehen, es war wirklich chaotisch manchmal. Ich musste mich um so viel kümmern, was gar nicht mit dem Beruf der Regisseurin zu tun hat, mehr wie ein Runner. Visas, Requisiten, Locations, Fotografie. Wenn ich zurückdenke an all diese Arbeit, war das einfachste wirklich die Zusammenarbeit mit den Kindern am Set. Da waren es meistens lange Takes und es hat Spaß gemacht mit ihnen.

„Kabul Kinderheim“ von Shahrbanoo Sadat. Bild: Steppenwolf

tipBerlin Manchmal dachte ich. im Film erkannt zu haben, dass es in Deutschland spielt. Wie war die Erfahrung hier oder in Tadschikistan zu drehen, und es wie Afghanistan aussehen zu lassen?

Shahrbanoo Sadat Das war eine der größten Herausforderungen. Ich war in Kontakt mit meiner deutschen Produzentin. Das Problem war, dass sie nicht nach Afghanistan kommen wollte, weil es für sie und die europäische Crew zu gefährlich wäre. Ich wollte aber unbedingt dort drehen. Aber da wir zusammenarbeiten und den Film realisieren wollten, haben wir uns irgendwie geeinigt. Als ich 2014 an meinem ersten Film gearbeitet habe, wollte ich den im meinem Heimatdorf in Zentralafghanistan drehen. Aber dann gab es aufgrund einer unfairen Wahl politische Unruhen und Terrorismus. Ich war für ein Jahr in meiner Wohnung in Kabul in einem Lockdown sozusagen, weil ich mich nicht getraut habe rauszugehen. Viele gebildete Menschen haben in der Zeit das Land verlassen, auch amerikanische Truppen. Meine Produzentin hat zu mir gesagt, dass ich entweder vor Ort mit einer kleinen afghanischen Amateurcrew drehen könnte und die Postproduktion in Deutschland mache. Oder wir gehen in ein anderes Land und stellen Afghanistan nach, mit einer europäischen Crew. Das war zwar nicht das, was ich eigentlich wollte, aber vielleicht war es eine gute Chance, die ich ergreifen sollte.

„Ich bin sehr nerdig, wenn es um Details geht“: Shahrbanoo Sadat musste „Kabul Kinderheim“ in Tadschikistan drehen

Ich bin sehr nerdig, wenn es um Details im Film geht, erst recht, wenn es dann um Afghanistan geht, was ich ja sonst immer in anderen Filmen kritisiere. Und dann muss ich mein Land woanders nachstellen, und es ist alles nicht echt. Aber ich habe die Challenge angenommen. Wir haben in China, Marokko, Iran, Tunesien nach Locations gesucht, überall auf der Welt. Wir haben uns dann für Tadschikistan entschieden, weil das von der Natur her ähnlich wie Afghanistan ist und die Visa auch einfacher auszustellen waren. Für meinen ersten Film konnten wir kein geeignetes Dorf finden, wir hatten die Natur, aber nicht das Dorf. Das haben wir dann alles nachgebaut. Für den zweiten Film war es einfacher, da Tadschikistan auch ein ehemaliges sowjetisches Land war, also konnten wir denselben Architekturstil auch bei Kinderheimen finden. Vor allem die Hauptstadt Duschanbe ist wie Kabul in den 1980ern, das haben viele Leute bestätigt. Die erste Location, die wir dort besucht haben ist auch die die im Film ist. Auch wenn ich andere besucht habe, wusste ich, dass das die richtige ist.

tipBerlin Ein weiterer interessanter Aspekt ist die kulturelle Hybridität, so viele Sprachen und Kulturen zusammen dort zu sehen ist auch neu für europäisches Publikum. Was sind da Ihre persönlichen Erfahrungen und wie haben Sie das im Film repräsentiert?

Shahrbanoo Sadat Ja, Indisch und Russisch! In meiner Zeit dort, wegen der amerikanischen militärischen Invasion waren wir mehr verbunden mit Englisch und lernten die Sprache in Kursen. Familien der Mittelklasse in Kabul sprechen oft Englisch, auch in anderen größeren Städten. Dann habe ich gelernt, dass es früher auch so war, nur mit Russisch. Die Welt war noch nicht so offen wie jetzt, der einzige Weg, sich mit anderen Ländern zu verbinden, war durch die Sowjetunion. Wie im Film mit den Pionier-Sommercamps für Schüler, so konnten sie sogar Osteuropa besuchen. Ähnlich wie meine Erfahrungen, nur mit anderen Elementen. Mit Indien ist es so, dass die ganze Nation total in Bollywoodkino verliebt ist, und das ist sehr typisch für Afghanen, so sprechen sie auch Urdu oder Hindi manchmal. Es gibt schon sehr lange eine Freundschaft zwischen Indien und Afghanistan. Anwar hat auch wie Qodrat im Film auf dem Schwarzmarkt Karten für Bollywoodfilme verkauft. Er war ein großer Fan von diesen Action- und auch Musikszenen. Also sehr interessant, dass er in dieser Welt gelebt hat und dann im Kinderheim in die sowjetische Welt geworfen wurde. Der Film ist also eine Mischung aus diesen Einflüssen, was sehr gut Kabul in den 80ern repräsentiert. Wenn man sich jetzt Archivmaterial aus dieser Zeit ansieht, kann man sehr gut diese Mixtur aus Indien und Russland sehen, in Musik, Film, Kultur.

tipBerlin Deshalb gibt es im Film auch diese Musikszenen, in denen Qodrat wie in einem Bollywoodfilm ist?

Shahrbanoo Sadat Diese Idee ist mir übrigens in Berlin gekommen, 2017 war ich hier für einen Scriptwriting-Workshop. Ich habe ungefähr 400 Bollywoodfilme gesehen, aus den 50ern,60ern,70ern, 80er,90er Jahren und dann ist mir aufgefallen, dass die meisten Protagonisten in den Filmen Waisen sind. Ein armes Kind und nach 20 Jahren wird es reich und erfolgreich und deshalb mochte Anwar natürlich diese Filme sehr. Dann dachte ich, vielleicht kann ich das auch spielerisch in meinem Film einsetzen, so drückt Qodrat indirekt seine Gefühle aus.

tipBerlin Wie haben Sie die letzte Szene des Films geplant? Und denken Sie der Film, hätte danach auch weitergehen können? Die Szene ist ja sehr aufwühlend.

„Bollywood übertreibt gern“: Shahrbanoo Sadat spielt in „Kabul Kinderheim“ mit den Formen des Kinos

Shahrbanoo Sadat In den ersten Entwürfen hatte ich auch Szenen, nachdem die Mudschahidin das Kinderheim übernehmen und zu einer Militärbasis machen. Aber dann ist mir aufgefallen, dass es das Genre des Films verändern würde, es würde zu einem Kriegsfilm werden. Und ich wollte mehr ein Happy End haben, obwohl es natürlich nie so sein würde. Also habe ich ein bisschen mit der Actionszene rumgespielt, die wie in Bollywood extrem übertrieben sind, denn so stellt sich das Qodrat vor, auch wenn es nicht der Realität entspricht.

tipBerlin Warum gibt es in dem Film fast ausschließlich eine männliche Perspektive?

 Shahrbanoo Sadat Was für mich wichtig ist, ist, wer hinter der Kamera ist. Die Zeit, in der der Film spielt, ist die politischste Zeit im modernen Afghanistan, weil es sich dramatisch von einem nicht-religiösen zu einem extrem islamischen Staat wandelt. Wenn irgendein anderer männlicher Regisseur darüber eine Story machen würde, wette ich, er würde einen Kriegsfilm oder sehr politischen Film machen. Ich denke, es ist eine sehr weibliche Sicht, aus einer politischen Zeit etwas über das alltägliche Leben zu machen. Und dann ist es egal, ob männliche Charaktere im Film dominieren, es geht um die Perspektive der Filmemacherin.


Mehr zum Thema

Weiteres zu Kino und Streaming haben wir hier; dier aktuellen Filmstarts der Woche sind hier

Berlin am besten erleben
Dein wöchentlicher Newsletter für Kultur, Genuss und Stadtleben
Newsletter preview on iPad