Marcel Marx hat ein neues Leben. Er schreibt keine tausendseitigen Racheromane mehr, trinkt nur noch ganz bescheidene Rotweinmengen und ist nebenbei auch noch von Paris nach Le Havre gezogen. Dort lebt er nun mit einer Frau, die einen finnischen Akzent wie Kati Outinen hat, und die er liebt, auf seine eigene großzügige und tiefe Art. Marcel Marx, gespielt von Andrй Wilms, war schon einmal der Held eines Kaurismäki-Films: In „La vie de bohиme“ (1992) verdrehte er mit seiner fein ziselierten Theatersprache allen den Kopf, arbeitete unverstanden an der großen Kunst und lebte in der reinen Gegenwart. Jetzt ist er Schuhputzer, aber die bescheidene Profession bedeutet für ihn immer noch Höheres: „Schäfer und Schuhputzer sind die Einzigen, die die Idee der Bergpredigt noch weitertragen“, sagt Marxel Marx, und Kaurismäkis Film beglaubigt diesen Satz mit absurdem Witz und großer Tiefe.
„Le Havre“ ist das Märchen einer nicht wirklich besseren Welt, in der sich aber im richtigen Augenblick manche Menschen für das Gute entscheiden. Der afrikanische Flüchtlingsjunge, dessen Beschützer Marx wird, empfängt Liebe und Schutz aus den unwahrscheinlichsten Quellen, während Kaurismäki mit unvergleichlicher Sicherheit seine Pointen aufeinandertürmt und die Frage der Solidarität weitergibt. Als Komödienregisseur ist er ernst wie noch nie.
Text: Robert Weixlbaumer
Foto: Marja-Leena Hikkanen/Sputnik Oy Pandora Film
tip-Bewertung: Herausragend
Orte und Zeiten: „Le Havre“ im Kino in Berlin
Le Havre, Finnland/Frankreich/Deutschland 2011; Regie: Aki Kaurismäki; Darsteller: Andrй Wilms (Marcel Marx), Jean-Pierre
Darroussin (Monet), Kati Outinen (Arletty); 93 Minuten; FSK 0
Kinostart: 8. September
Aki-Kaurismäki-Werkschau
Das Kino fsk zeigt von Do 15.9.bis Mi 28.9. begleitend Kaurismäkis Spielfilmwerk von „Crime and Punishment“ (1983) bis
„Lichter der Vorstadt“ (2006)
Lesen Sie hier: Ein Interview mit Aki Kaurismäki