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Ein Rückblick auf den Wettbewerb der 61. Nordischen Filmtage Lübeck

„New York, the City That Never Sleeps – zum Glück sind wir hier in Lübeck“ – dieser Werbespruch eines (Bett-)Wäscheladens in der Altstadt drückt sehr schön das charmante Selbstbewusstsein aus, dass die alte Hansestadt Lübeck prägt. Und die Nordischen Filmtage immer Anfang November sind für viele Bürger ein fester kultureller Bestandteil im Kalender – da wird extra Urlaub genommen, um sich dann finnische oder isländische Film mit englischen Untertiteln anzusehen. Das internationale Festival passt einfach sehr gut in diese weltoffen wirkende Stadt.

Meister Cheng, Foto: TheYellowAffair

Weltoffenheit war auch eines der zentralen Themen im internationalen Wettbewerb, indem stets neue Produktionen aus Skandinavien, Island und dem Baltikum präsentiert werden. Etliche Filme thematisieren auf sehr unterschiedliche Weise den Zusammenprall der Kulturen. So etwa Aurora, das Spielfilmdebüt der Finnin Miia Servo. Sie erzählt von der lebhaften Titelheldin, einer jungen Frau, die mit dem Leben überfordert ist und sich deshalb mit ihrer Freundin ins ununterbrochene Feiern flüchtet. Bis sie eines Tages in einem Imbiss auf den iranischen Flüchtling Darian trifft. Der alleinerziehende Vater hat panische Angst, mit seiner kleinen Tochter abgeschoben zu werden und verspricht Aurora 3.000 Euro, wenn sie für ihn eine Frau findet, die er heiraten kann. Das ist der Beginn einer erfrischenden Geschichte, mit skurrilen Nebenfiguren und trotz der Konflikte viel Herzenswärme im eisigen Lappland.

Dort ist auch Meister Cheng angesiedelt, der neue Film des finnischen Altmeisters Mika Kaurismäki, dem älteren Bruder von Aki. Die Titelfigur ist ein chinesischer Koch, der eines Tages mit seinem kleinen Sohn Nju Nju in einem nordfinnischen Kaff landet. Er sucht einem Mann namens „Fongtron“, findet aber nur Sirkka und ihr mäßig laufendes Restaurant. Cheng beginnt bei Sirkka nach alter chinesischer Tradition zu kochen und erobert so selbst das Herz der eher sturen Einheimischen – und natürlich auch das von Sirkka. Mika Kaurismäki ging es explizit darum, mit seinem Feelgood-Movie ein Gegengewicht zur harten Realität zu bilden – was ihm prompt den begehrten Zuschauerpreis der Nordischen Filmtage einbrachte. „Meister Cheng“ wird im Frühjahr 2020 bei uns im Kino anlaufen.

Was passieren kann, wenn eine Gesellschaft wegen Fremdenhass und mangelnder Toleranz auf allen Seiten immer weiter auseinanderdriftet, das zeigt sehr eindrucksvoll die dänische Dystopie Sons of Denmark. So nennt sich eine rechtsradikale Gruppierung, deren Führer Martin Nordahl im Jahr 2025 drauf und dran ist, der kommende Premierminister zu werden und bereits angekündigt hat, alle Ausländer rauszuschmeißen aus Dänemark. Das wiederum ruft die andere radikale Seite auf den Plan: Der junge Iraker Zakaria hat sich einer gewalttätigen Gruppe angeschlossen, die ein Attentat auf Nordahl plant. Regisseur Ulaa Salim, ein Däne mit irakischen Wurzeln, konzentriert sich in seinem packenden Politthriller auf die Konflikte der Figuren mit ihrem Vorhaben. Das eigentlich Erschreckende: Das Gezeigte wirkt so gar nicht wie Science Fiction. „Sons of Denmark“ wird Ende Januar bei Kochfilms auf Blu-ray erscheinen.

Sons Of Denmark, Foto: Hyæne Film

Adäquat kunterbunt ging es zur Eröffnung der 61. Nordischen Filmtage zu, mit dem auf wahren Begebenheiten beruhenden Feuer und Flamme von Måns Mårlind und Björn Stein. Die beiden erzählen von einer auf wahren Begebenheiten basierenden Fehde zwischen zwei Familien, die im Jahr 1940 nebeneinander konkurrierende Rummelplätze in Stockholm betreiben und sich selbst mit kriminellen Methoden bekämpfen – bis sich Ninni von der einen und John von der anderen Familie ineinander verlieben. Eine an „Romeo und Julia“ angelehnte Geschichte, umgesetzt mit viel Fantasie, nicht immer ganz nachvollziehbar in der Figurenzeichnung, aber amüsant.

Ganz im Gegenteil zu Kongo, dem norwegischen Beitrag von Marius Holst, ebenfalls auf Tatsachen beruhend und einer der Höhepunkte im Wettbewerb. Holst erzählt von zwei norwegischen Söldnern, die des Mordes an ihrem Chauffeur angeklagt werden. Vor allem erzählt „Kongo“ aber von Männer, denen fortgeschrittene Demokratien zu weichgekocht sind und die das Abenteuer, den ultimativen Kick suchen. Ein packender, in Südafrika gedrehter Thriller über fehlgeleitetes Testosteron, der in seinen besten Momenten wie weiland Francis Ford Coppola in das „Herz der Finsternis“ blicken lässt.

Und dann gab es in Lübeck auch einige eindringliche Dramen, die sich mit den heftigen Emotionen ihrer Protagonisten auseinandersetzen. Da brilliert etwa die wunderbare Trine Dyrholm als Herzdame, die den 17-jährigen Sohn aus erster Ehe ihres Mannes verführt und ihn so ins Unglück stürzt. Oder der herbe finnische Film Dogs Don’t Wear Pants, in dem ein trauernder Witwer feststellt, dass er sich nur dann seiner verstorbenen Frau nahe fühlt, wenn er durch Strangulation eine Nahtoderfahrung macht und sich deshalb an eine Domina wendet. Auch die isländische Bäuerin Inga muss in The County nach dem Tod ihres Mannes allein klarkommen und legt sich bald mit der örtlichen übermächtigen Genossenschaft an. Konnte man in „Sture Böcke“, dem vorherigen Spielfilm von Grímur Hákonarson, noch einen leisen Humor entdecken, so geht es diesmal sehr dramatisch zur Sache. Überhaupt bewies das kleine Island wieder einmal, wie stark die Filmproduktion von dort ist, zum einen mit dem pfiffigen Echo von Rúnar Rúnarsson, der in 79 Minuten 56 Minidramen auftischt, mal dokumentarisch, mal inszeniert, die ein eindrucksvolles Sittenbild des Landes zwischen Weihnachten und Neujahr ergeben.

Weisser Weisser Tag, Foto: Arsenal Filmverleih

Und zum anderen ist da noch Ingvar Sigurdsson, der wohl bekannteste Schauspieler Islands. Er brilliert in Weißer weißer Tag von Hlynur Palmason als Polizist, der zwei Jahre nach dem Tod seiner Frau feststellen muss, dass sie ihn betrogen hat. Der folgende Rachefeldzug ist allerdings so introvertiert erzählt wie seine Hauptfigur und der gesamte Film wortkarg sind. Palmason findet eindrückliche Bilder, das war der Jury den Hauptpreis des Festivals wert. Das Drama wird im Februar 2020 bei uns anlaufen. Lübeck 2019: ein starker Jahrgang.

Die Preisträger 2019:

NDR Filmpreis: WEISSER WEISSER TAG (Hvítur, hvítur dagur), Regie: Hlynur Pálmason Island/Dänemark/Schweden

Preis des Freundeskreises für das Beste Spielfilmdebüt: AURORA, Regie: Miia Tervo, Finnland

Publikumspreis der Lübecker Nachrichten: MEISTER CHENG (Mestari Cheng), Regie: Mika Kaurismäki, Finnland/China/Großbritannien

Kirchlicher Filmpreis INTERFILM: ECHO (Bergmál), Regie: Rúnar Rúnarsson, Island/Frankreich/Schweiz

Baltischer Filmpreis für einen nordischen Spielfilm: SONS OF DENMARK (Danmarks sønner), Regie Ulaa Salim, Dänemark

Dokumentarfilmpreis des DGB Bezirk Nord: DIE KRAFT DES JOIK (Luodi fábmu), Regie Paul-Anders Simma Finnland/Großbritannien/Norwegen/Schweden

CineStar-Preis: ASCONA (Ascona), Regie: Julius Dommer, Deutschland

Kinder- und Jugendfilmpreis: STUPID YOUNG HEART (Hölmö nuori sydän), Regie: Selma Vilhunen, Finnland/Niederlande/Schweden

Preis der Kinderjury: LUCIA UND DER WEIHNACHTSMANN (Julemandens Datter), Regie: Christian Dyekjær, Dänemark

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