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Berlinale 2021

Schauspielerin und Regisseurin Maria Schrader: „Ich bin für die Quote“

Maria Schrader zählt schon viele Jahre zu Deutschlands ersten Schauspielerinnen. Inzwischen ist sie auch als Regisseurin anerkannt. Ein Gespräch über ihren neuen Film „Ich bin dein Mensch“ mit Maren Eggert, ihren Werdegang, einen anderen Blick auf Berlin im Film – und über weibliche Rollenbilder.

V.l.: Die "Ich bin dein Mensch"-Hauptdarsteller:innen Maren Eggert, Dan Stevens und Regisseurin Maria Schrader. Foto: Christine Fenzl /www.christinefenzl.com/Majestic
V.l.: Die „Ich bin dein Mensch“-Hauptdarsteller:innen Maren Eggert, Dan Stevens und Regisseurin Maria Schrader. Foto: Christine Fenzl /www.christinefenzl.com/Majestic

Maria Schrader: „Es hat mir gefallen, dass es so eine einfache Situation ist“

tipBerlin Frau Schrader, Sie erzählen in „Ich bin dein Mensch“ von einer Frau etwa in Ihrem Alter, die sich auf ein Experiment einlässt: eine Beziehung zu einem lebensechten Roboter-Mann. Was hat Sie daran interessiert?

Maria Schrader Man hört ja viel, ist im Kopf mit verschiedenen Geschichten oder Fragmenten beschäftigt, reagiert auf alles Mögliche. Hier war es eigentlich der schlichte Pitch meiner Agentin: „Frau trifft Roboter“. Das ist ja vielleicht nichts Neues, aber ich dachte sofort an einen Liebesfilm, aber einen seltsamen, eine Begegnung der dritten Art. Es hat mir gefallen, dass es so eine einfache Situation ist: Eine Frau trifft einen Mann, der aber kein Mann ist, sondern eine Maschine. Was kann das für eine Begegnung sein? Wie kann Liebe in der Zukunft aussehen? Wir wollten das komödiantisch erzählen und gleichzeitig Fragen aufwerfen, auf die wir noch keine Antwort haben.

tipBerlin Sie waren zuletzt sehr beschäftigt, bei den Golden Globes zu Beginn dieses Jahres waren Sie noch mit dem Netflix-Mehrteiler „Unorthodox“ nominiert, bei der Berlinale lief dann im März schon „Ich bin dein Mensch“. Wann begann die Arbeit an dem Spielfilm?

Maria Schrader Die erste Fassung haben wir vor „Unorthodox“ geschrieben, das war noch 2018. Der Film war als Fernsehfilm geplant und sollte sehr schnell passieren. Es wurde aber bald klar, dass das vielleicht auch ein Film fürs Kino sein könnte und vielleicht mehr Zeit braucht. Parallel gab es Treffen für „Unorthodox“. Man weiß ja oft nicht genau, was sich als erstes verwirklichen lässt. Ein Projekt muss auch stark genug sein, um sich auf unbestimmte Zeit damit zu verbinden. Bei „Vor der Morgenröte – Stefan Zweig in Amerika“ (2016) waren das drei oder vier Jahre.

Dann hat Netflix bei „Unorthodox“ zugesagt, Ende 2018, ein Jahr später war die Serie fertig. Im März 2020 während des ersten Corona-Lockdowns kam sie raus, im August und September 2020 hatten wir das große Glück, dass wir „Ich bin dein Mensch“ drehen konnten. Das war dann schon sportlich.

tipBerlin Was schätzen Sie an Ihrem Schreibpartner Jan Schomburg?

Maria Schrader ist „oft mit Zweifeln beschäftigt und Jan mit dem Weitermachen“

Maria Schrader Ich bin immer wieder neugierig auf seine Gedanken und Ideen. Es macht Spaß, so lange gemeinsam zu reden, bis die Themen, um die es gehen soll, klar sind. Und auf dem Weg entstehen szenische Ideen und eine Menge Notizen. Bei „Vor der Morgenröte“ war es eine fast märchenhaft schöne Zusammenarbeit. An eine umfangreiche und fast akademische Recherche hätte sich wahrscheinlich keiner von uns alleine rangetraut. Und dann haben wir das in eine ziemlich gewagte Dramaturgie gesteckt und fünf Echtzeit-Vignetten geschrieben, fünf mal 20 Minuten aus den Exiljahren von Stefan Zweig.

Es war mir wichtig, eine filmische Form dafür zu finden, wie man sich einer so ereignisreichen Zeit nähert. Fast wie eine Gegenüberstellung. Ich habe über die Jahre gemerkt, dass das Schreiben für mich eine dialogische Arbeit ist. So war das früher mit Dani Levy, so war das bei „Liebesleben“ mit Laila Stieler. Ich brauche ein Echo auf meine eigenen Ideen, und der Dialog lässt manchmal überhaupt erst Ideen entstehen. Ich bin oft mit Zweifeln beschäftigt und Jan mit dem Weitermachen. Manchmal ist es auch umgekehrt. 

tipBerlin Die Hauptrolle in „Ich bin dein Mensch“ spielt Maren Eggert, die man aus dem „Tatort“ kennt, die aber auch eine Lieblingsschauspielerin von Angela Schanelec ist. Dachten Sie von Anfang an an sie?

„Sie hat mich an Katharine Hepburn erinnert“

Maria Schrader Alma, die Hauptfigur, ist vielleicht das erste Mal so eine Art Alter-Ego. Eine Frau so ungefähr in meinem Alter, die in Berlin lebt, die viel mit ihrer Arbeit beschäftigt ist. Beim Schreiben hatte ich noch gar keine Idee, wer sie spielen soll. Wir haben ein Casting gemacht, und ich war einfach verzaubert davon, wie Maren Eggert das so angegangen ist mit der Alma.

Sie war lustig und verzweifelt, sie kann schnelle Wechsel spielen, von Komödiantik in Strenge, von Chaos in Disziplin. Schon im Casting war sichtbar, wie sehr sie Mensch ist im Gegensatz zu Tom, wie viele unterschiedliche Gesichter sie hat. Sie hat mich an Katharine Hepburn erinnert in ihrer Schnelligkeit. Manchmal auch Kälte, das fand ich aufregend. Am Ende steckt in so einer Entscheidung aber auch immer ein kleines Rätsel, ein Zauber eben, eine Art des Sich-Verliebens.

tipBerlin Alma wirkt, als hätte sie mit der Liebe abgeschlossen. Sie wird also im Film auch neu verzaubert.

Maria Schrader Alma hat eine Beziehung hinter sich, im Moment lebt sie allein. Das ist aber kein aktiver Rückzug. Sie hat das Glück, in unterschiedlichen Bereichen ihres Lebens Erfüllung zu finden. So sieht das Leben vieler Frauen in meiner Umgebung aus. Bei weiblichen Figuren geht das schnell mit solchen Projektionen. Wenn sie alleine leben, sind sie entweder von der Liebe enttäuscht oder verzweifelt nach ihr auf der Suche.

Kein Mann, der als Single in einem Film unterwegs ist, wird nach seiner zweiten Hälfte gefragt, die ihm entweder fehlt oder ihn betrügt. Dazu kommt man auch gar nicht, weil er ja meistens mit großen Aufgaben betraut ist wie der Rettung der Welt.

tipBerlin Vielleicht ist es tatsächlich eine Projektion, aber ich habe Alma als eine Frau gesehen, der Autonomie sehr wichtig ist.

„Vielleicht hinken Filmfiguren unserer Wirklichkeit ja auch noch etwas hinterher“

Maria Schrader Das stimmt. Das heißt ja aber nicht, dass sie mit der Liebe abgeschlossen hat. Sie geht einer Arbeit nach, die sie glücklich macht. Und bestimmt kennt sie auch Sehnsucht oder Einsamkeit, wie wir alle. Ich wehre mich ja nur dagegen, dass man Frauen im Film anhand vom anwesenden oder abwesenden Mann beurteilt und sagt, ah, die ist jetzt so und so. Ich höre öfter, Alma sei eine moderne Frauenfigur. Ich halte sie eher für normal widersprüchlich und komplex, aber vielleicht hinken die Filmfiguren unserer Wirklichkeit ja auch noch etwas hinterher, und sie ist so gesehen tatsächlich eine moderne Figur im Kino. 

tipBerlin Modern ist auch das Berlin, in dem Alma lebt. Was hatten Sie dabei im Sinn?

Maria Schrader Ähnlich wie bei „Unorthodox“ war es eine schöne gestalterische Aufgabe, herauszufinden: Welches Porträt von Berlin erzählen wir? Wir hatten das große Glück, dass das Futurium und das Pergamonmuseum uns als erstem Filmteam die Pforten geöffnet haben. Die Uni, in der Alma arbeitet, ist im zukunftsträchtigsten Gebäude dieser Stadt angesiedelt. Wir zeigen da eine in der Hierarchie niedrigschwellige und internationale Universität in Berlin. Almas Privatleben ist eher bescheiden und etwas undefiniert. Kein bildungsbürgerlicher Altbau mit Stuck und hohen Decken, stattdessen ein Plattenbau, der aber eine urbane Romantik hat wegen des tollen Blicks.

tipBerlin Bei „Unorthodox“ und ein bisschen bei „Ich bin dein Mensch“ hatte ich doch den Eindruck eines Wunsch-Berlins, einer Stadt, von der nur eine latent touristische Mitte ins Bild kommt.

Maria Schrader: „Es war eine bewusste Abkehr von der gewohnten Architektur“

Maria Schrader Ich lebe inzwischen seit vor dem Mauerfall in Berlin. In dieser Zeit habe ich mich immer wieder an Architekturentscheidungen gestört wie zum Beispiel am Potsdamer Platz, über den man sich gar nicht genug aufregen kann. Man kann 100 verschiedene Gesichter dieser Stadt finden. Besonders in den Streamingdiensten, wenn ich an Sachen wie „Dogs of Berlin“ denke: die kriminalisierte Straße.

Das sind schon bewusste Entscheidungen gewesen, dass wir ein anderes und einladendes Bild von Berlin zeichnen wollten, das dann von Netflix um die Welt geschickt wird. Es war eine bewusste Abkehr von der gewohnten Architektur hin zu Hans Scharoun, der in den 60er-Jahren ein kommunikatives und demokratisches Kulturzentrum um die Philharmonie herum schaffen wollte. Für „Unorthodox“ im Musikinstrumentenmuseum drehen zu können, dafür haben wir lange geworben. Die Autorin Deborah Feldman hat Berlin ebenfalls als freundlich und weltoffen erlebt, als sie hier ankam.

tipBerlin Sie werden nun schon mindestens so sehr als Regisseurin wie als Schauspielerin wahrgenommen. Wie weit reicht dieser Wunsch bei Ihnen zurück, selbst Filme zu machen?

Maria Schrader Ich wollte zuerst nur Schauspielerin werden. Das habe ich entschieden, als ich 14 war, nach meiner ersten Begegnung mit dem Theater. Aber neulich ist es mir erst wieder ins Gedächtnis gekommen, dass ich schon für die Theater-AG Stücke gelesen habe, um den Lehrern Vorschläge zu machen. Es hat mich auch schon damals interessiert, wie denn ein Bühnenbild aussehen könnte und ein Kostüm, ich habe Zeichnungen gemacht und hatte wahrscheinlich früher, als ich dachte, ein weitreichenderes gestalterisches Interesse. Aber das bezog ich nur auf Theater.

Durch die Begegnung mit Dani Levy begann ich, an Drehbüchern mitzuarbeiten. „RobbyKallePaul“ (1988) entstand wie bei Theaterproben, wir gingen sechs Wochen als Gruppe in Klausur und haben improvisiert und mit Video aufgenommen, brauchbare Dialoge abends abgeschrieben, und so wurde im Kollektiv ein Drehbuch gebaut. Mein Beginn mit Film ist unkonventionell. Ich bin nicht zu Castings gegangen. Ich habe mich bei Dreharbeiten für alles interessiert, und mich in meiner Einflussnahme allmählich expandiert, bis ich bei „Meschugge“ (1998) auch Ko-Regie geführt habe. Parallel ist etwas losgegangen, das man eine schauspielerische Karriere im Kino nennen könnte.

tipBerlin Mussten Sie sich emanzipieren, um als Regisseurin allein Verantwortung zu übernehmen?

„Bis heute frage ich mich manchmal, was ich eigentlich lieber mache, Spielen oder Regie“

Maria Schrader Ich bin für „Liebesleben“ als Schauspielerin gefragt worden. Ich habe heimlich angefangen, das Drehbuch zu schreiben und mir parallel überlegt, wer denn die Regie führen sollte. Bis heute frage ich mich manchmal, was ich eigentlich lieber mache, Spielen oder Regie. Während des Drehs von „Unorthodox“ habe ich noch Vorstellungen von „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ in Hamburg gespielt, während des Schnitts habe ich „Deutschland 89“ gedreht. Manchmal dachte ich, das ist jetzt echt zu viel, aber in Wahrheit gab es mir Kraft und ich möchte weder auf das eine noch das andere verzichten.

Jetzt habe ich das erste Mal über ein Jahr lang nicht mehr gespielt, und es fehlt mir. Bei „Liebesleben“ war es Stefan Arndt von X Filme, der gesagt hat: „Ich produziere den Film, wenn du die Regie machst.“ Vielleicht hätte ich diese Entscheidung auch alleine getroffen, etwas später, ich glaube schon. Es war ein aufregender und großer Schritt, und trotzdem ist es mir schwergefallen, die Rolle und das Spielen damit an jemand anderen abzugeben.

Maria Schrader bei einem Screening ihrer Serie "Deutschland 89". Foto: Imago/Future Image
Maria Schrader bei einem Screening der Serie „Deutschland 89“. Foto: Imago/Future Image

tipBerlin Heute ist die Aufmerksamkeit auf die Geschlechterrollen in der Kunst deutlich höher als noch zu Beginn Ihrer Karriere. Wie haben Sie diese Entwicklung erlebt?

„Frauen wachsen bis heute anders auf“

Maria Schrader Ich habe auf jeden Fall das Theater wie auch die Filmwelt als männlich dominiert erlebt und zahllose Erlebnisse gehabt, von denen ich nicht glaube, dass Männer sie teilen. Ich bin auf Misstrauen gestoßen bei dem Schritt, allein Regie zu führen und diese Chef-Position zu übernehmen. Ich würde sagen, dass das auch geschlechtsspezifisches Misstrauen war. Außerdem habe ich gemerkt, dass ich selbst diese gesellschaftliche Zuschreibungen, den Zweifel verinnerlicht hatte, mehr als ich dachte.

Die Schwierigkeiten lagen ebenfalls in mir selbst, und damit sind wir bei einem fundamentalen Thema. Frauen wachsen bis heute anders auf. Das Selbstbewusstsein, dass die Welt auf unserer Stimme wartet, wird uns nicht in die Wiege gelegt, zumindest nicht meiner Generation. In der Arbeitswelt müssen neue Realitäten strukturell erst mal installiert werden, sodass sie sich erproben und selbstverständlich werden können. Deswegen bin ich auch für die Quote.

tipBerlin Sie mussten sich Regie überhaupt erst einmal zutrauen lernen. Als Schauspielerin waren Sie schon ein Star. Wie weit lag das auseinander?

„Männer werden dafür bewundert, sich zu widersetzen“

Maria Schrader Schauspieler:innen sind darauf trainiert zu adaptieren, auf Anweisungen zu reagieren, flexibel zu sein, offen, und am Ende weisungsgebunden zu arbeiten. Ausnahmen bestätigen da nur die Regel. Dieses Berufsbild entspricht sehr viel mehr der Rolle von Frauen in der Gesellschaft.

Wenn man männliche Schauspielerkarrieren anschaut, dann liegt deren Sexyness oft genau darin, sich diesem Prinzip verweigert zu haben, denken wir an Marlon Brando. Selbst Jürgen Vogel, der stolz immer wieder betont, dass er nie eine Ausbildung wollte oder brauchte. Dazu gibt es kaum Entsprechungen in weiblichen Karrieren. Frauen erhalten Zuspruch, wenn sie die Dinge richtig machen. Männer werden dafür bewundert, sich zu widersetzen. Ich hoffe, dass mir jüngere Frauen darin inzwischen vehement widersprechen würden und ihre Realität anders erleben. Die Dinge verändern sich.


Maria Schrader

Maria Schrader, geboren 1965 in Hannover als Tochter eines Künstlerehepaars, kam in einer Zeit zum Kino, als der deutsche Film gerade durch einen Komödienboom ging. Mit ihrem damaligen Partner Dani Levy drehte sie „RobbyKallePaul“, „Stille Nacht“ und „Meschugge“, da war sie dann schon Ko-Regisseurin. Rollen in „Aimee und Jaguar“ oder „Rosenstraße“ festigten ihren Status. 2006 verfilmte sie mit „Liebesleben“ einen Roman von Zheruya Shalev. Den Durchbruch als Regisseurin hatte sie 2016 mit einem Film über den Schriftsteller Stefan Zweig: „Vor der Morgenröte“. Es folgte die Netflix-Serie „Unorthodox“, und nun die Teilnahme am Berlinale-Wettbewerb mit „Ich bin dein Mensch“, den wir hier besprechen.

Ich bin dein Mensch D 2020; 104 Min.; R. Maria Schrader; D: Maren Eggert, Dan Stevens


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