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Realfiktion

Mit 70 noch mal nach Neukölln: „Frau Stern“ ist eine Film-Hommage an die erstaunlichen Ahuva Sommerfeld

„Wir wollten keine Zeit verlieren“ Regisseur Anatol Schuster hat der erstaunlichen Ahuva Sommerfeld ein filmisches Denkmal gesetzt – sie spielt in „Frau Stern“ quasi sich selbst

Neue Visionen

Ahuva Sommerfeld ist am 8. Februar 2019 mit 81 Jahren gestorben. Sie war Mitte 70, als sie aus Bayern nach Neukölln zog. Auf ihre Weise war sie wohl auch so etwas wie ein Hipster: eine vitale Jüdin, die sich am wohlsten in Gesellschaft junger Menschen fühlte. Der junge Filmemacher Anatol Schuster lernte sie kennen, als er gerade Figuren für sein ­Projekt „Der Wanderer“ suchte – Ahuva taucht dort nur mit einem Foto auf, aber der Eindruck blieb hängen. Schuster begriff, dass er auf eine spannende Geschichte gestoßen war. Er schrieb ein Drehbuch und schickte es ab, in der Hoffnung, Ahuva Sommerfeld würde ­bereit sein, in hohem Alter ihre erste Filmrolle zu übernehmen. Sie sollte sich selbst spielen, wenn auch unter erfundenem Namen. „Frau Stern“ heißt nun der Film, beim Max-Ophüls-Preis zu Beginn dieses Jahres gab es dann gleich einen Schauspielpreis für Ahuva Sommerfeld – gemeinsam mit Kara Schröder, die in „Frau Stern“ ihre Enkelin spielt.

Beim Interview mit Anatol Schuster liegt die Frage nahe: Wenn Ahuva Sommerfeld im Grunde weitgehend sich selbst spielt, ­warum ein Spiel- und kein Dokumentarfilm? „Ich fühle mich in dieser Form wohler und vertrauter“, sagt Anatol Schuster. „Bei einem Doku­mentarfilm würde ich mich nicht so frei fühlen. Wir hätten vielleicht nicht so eine spielerische Form gefunden. Insgesamt war es natürlich eine dokumentarische Konstellation, auch von der Teamgröße her.“ Mit sehr kleinem Team entstand ein Film, der nicht auf die üblichen Produktionswege warten konnte: für eine Einreichung um Filmförderung war schlicht keine Zeit. Anatol Schuster spricht von einer späten „Altersblüte“, die er bei Ahuva Sommerfeld erlebte: „Mein Gefühl sagte mir: Auf diese Blüte können wir nicht ewig zählen. Das wusste sie auch, deswegen haben wir so schnell wie möglich begonnen. Wir wollten keine Zeit verlieren.“

So entstand ein spannender Film, den man vielleicht als Realfiktion bezeichnen könnte – ein Spielfilm ganz nahe an der Lebenswirklichkeit von Ahuva Sommerfeld, gedreht nicht zuletzt in ihrer tatsächlichen Wohnung. Wir lernen eine erstaunliche Frau kennen, eine scheinbar unverwüstliche Raucherin, eine Frau, die freimütig über ihr sexuelles Begehren spricht, und die konsequent versucht, in der Gegenwart zu leben, obwohl sie sich ­bewusst ist, dass sie in die Stadt gezogen ist, von der aus die Shoah geplant wurde. „Ich habe Auschwitz überlebt, ich werde auch das Rauchen überleben“, sagt Frau Stern an einer Stelle, die auch eine kleine Differenz zwischen der Filmfigur und der realen Figur enthält. Ahuva Sommerfeld wuchs in Palästina auf, sie spricht in diesem Fall für ihre jüdische Familie (im engeren wie im weiteren Sinn).

Ihre Nähe zu jungen Menschen hat auch ­damit zu tun, dass sie sich bei Deutschen ­ihrer eigenen Generation nie ganz sicher sein konnte, ob sie nicht in irgendeiner Form in die NS-Verbrechen verstrickt waren. Anatol Schuster erzählt, wie beim Drehen das Vertrauensverhältnis immer mehr wuchs, bis Ahuva Sommerfeld sogar eine Einschränkung zurücknahm. „,Eine Sache kannst du vergessen‘, hatte sie nach dem Lesen des Drehbuchs gleich gesagt. ,Ich werde nicht singen. Ich habe vor 50 Jahren aufgehört, zu singen.‘ Irgendwann kam aber der Punkt, wo sie sich dafür öffnete.“

Die Szene, in der sie „Summertime“ singt, am Klavier begleitet von ihrer Enkelin, die auch in Berlin lebt, ist zweifellos ein Höhepunkt. Auch die Tochter, die Sängerin und Schauspielerin Nirit Sommerfeld, spielt in „Frau Stern“ mit, sodass drei deutsch-israelische Generationen jüdischer Frauen vertreten sind.

Beim Max-Ophüls-Preis im Januar war Ahuva Sommerfeld noch dabei, erzählt ­Anatol Schuster. „Sie war die ganze Woche anwesend und hat unglaublich mitgemacht. Es war atemberaubend, wie sie das durchgehalten hat. Danach ließen ihre Kräfte sehr schnell nach. Sie wünscht sich einen schnellen ­Abgang, sagt sie im Film. Das ist wahrgeworden und entspricht ihrer Haltung zum Leben.“

So hat Anatol Schuster dem Tod zumindest ein kleines Schnippchen geschlagen. Er kehrt nun zu dem Film zurück, an dem er ­arbeitete, als er Ahuva Sommerfeld traf. Er soll „Stille“ heißen, für die Vorbereitung sorgt ein Wim-Wenders-Stipendium. Eine kleine Botschaft für die deutsche Filmförderung enthalte die Geschichte von „Frau Stern“ auch, meint Anatol Schuster. Sie könne ein wenig flexibler werden: „In Dänemark gab es einmal die Möglichkeit, nur mit einem Treatment loszulegen. So entstanden die Dogma-Filme, die zwar nicht der Norm entsprachen, aber weltweit Beachtung fanden.“

Frau Stern D 2019, 79 Min., R: Anatol Schuster, D: Ahuva ­Sommerfeld, Kara Schröder, Start: 29.8.

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