Andy Bichlbaum und Mike Bonanno fürchten sich nicht. Schon seit vielen Jahren treiben sie gnadenlos ihren Schabernack mit rücksichtslosen Kapitalisten und Lenkern von Weltkonzernen, die Menschen nur als Faktoren ihrer Profitrechnung sehen. Sie gehen zu denen, die derzeit durch die Finanz- und Wirtschaftskrise ihre Unbeliebtheitswerte noch einmal überbieten konnten. Nach den ersten Attacken in „The Yes Men“ versuchen sie sich nun als Weltenretter in „The Yes Men Fix the World„. Gescheitelt und im Businessanzug schlüpfen sie dafür auf Veranstaltungen und Konferenzen abermals in die Rolle der Gegenseite: Als Sprecher von Dow Chemicals beispielsweise kündigt Bichlbaum vor der Fernsehöffentlichkeit auf BBC World die Entschädigung der Opfer der Bhopal-Katastrophe in Indien an – und ruft so zusammen mit Bonanno bei dieser und anderen Aktionen mit zubeißendem Entlarvungshumor einige unbequeme Wahrheiten in die Welt.
In solch antikapitalistischen Attacken haben die Yes Men Berührungspunkte mit Naomi Klein. Mit ihrem Thesenbuch „The Shock Doctrine“ ist die ungleich ernstere Kanadierin zu einer nicht ganz unumstrittenen Galionsfigur der Antiglobalisierungsbewegung geworden. Ihre Ausführungen zum sogenannten Katastrophenkapitalismus, die sich an den Thesen des Ökonomen und Liberalismusgurus Milton Friedman abarbeiten, hat Regisseur Michael Winterbottom nun zusammen mit seinem „The Road toGuantбnamo„-Partner Mat Whitecross in eine Doku gleichen Titels gefasst. Vor zwei Jahren entstandbereits ein Kurzfilm über „The Shock Doctrine“ unter Mitarbeit von Klein selbst: Das Resultat war ein Aufruf zur Aufklärung in Form von rabiatem Agitprop. Auch Winterbottom hat vor Agitprop im Einsatz für die gute Sache nicht immer zurückgeschreckt. Seine Version von „The Shock Doctrine“ wird als Work in Progress im Panorama laufen.
Die aktuelle Diskussion über die Globalisierung und den Turbokapitalismus hingegen unterfüttert der Forumsbeitrag „L’encerclement„. Der kanadische Regisseur Richard Brouillette fächert in seinem Film zunächst die historischen Ursprünge des Neo-Liberalismus auf und beleuchtet dann die weitreichenden, verheerenden Auswirkungen dieser Wirtschaftsdoktrin. In über zweieinhalb Stunden, zweiTeilen und zehn Kapiteln lässt er dabei vor allem Experten und Intellektuelle (darunter Noam Chomsky), aber auch einige Verfechter des deregulierten Marktes zu Wort kommen und richtet den Fokus darauf, die neoliberalen Ideen hier tiefenkritisch auseinanderzunehmen. Seit der Initialidee hat Brouillette insgesamt zwölf Jahre an seinem Projekt gearbeitet – zu keinem Zeitpunkt wäre sein Film aktueller gewesen als jetzt.
Ein Gegenstück zu dieser theoretischen Diskussion bildet Josй Padilhas Dokumentation „Garapa“ (siehe Interview). Der Brasilianer, der im vergangenen Jahr mit dem umstrittenen Polizeithriller „Tropa de Elite“ den Goldenen Bären gewann, blickt ganz unmittelbar auf die Auswirkungen von Armut und Hunger, unter dem weltweit über 920 Millionen Menschen leiden. Im Stil desdirect cinema ist „Garapa“ dabei ein Film der reinen Beobachtung, in dem Padilha kaum nachfragt oder erklärt: 110 Minuten lang zeigt er in rauen Schwarz-Weiß-Bildern drei brasilianische Familien, deren Alltag vom Kampf gegen Hunger und Fehlernährung bestimmt wird. Von der Konzernwelt, die sich die YesMen immer wieder vorknöpfen, könnten diese Eindrücke nicht weiter entfernt sein – und doch liegenbeide Welten ganz nah beieinander.
Text: Sascha Rettig
Lesen Sie hier: Ein Interview mit Josй Padilha
L’encerclement
Forum 7.2., 20.00 Uhr, Arsenal 1; 9.2., 13.00 Uhr, Cubix 7; 13.2., 17.30 Uhr, CineStar 8
Garapa
Panorama 11.2., 17.00 Uhr, CineStar 7; 12.2., 14.30 Uhr, CineStar 7; 13.2., 12.00 Uhr, CineStar 7
The Shock Doctrine
Panorama 9.2., 17.00 Uhr, International; 10.2., 12.00 Uhr, CineStar 7; 11.2., 17.30 Uhr, Cubix 7; 14.2., 20.00 Uhr, CineStar 7
The Yes Men – Fix the World
Panorama 6.2., 17.00 Uhr, CineStar 7; 7.2., 12.00 Uhr, CineStar 7; 8.2., 22.30 Uhr, CineStar 7, 15.2., 17.30 Uhr, Cubix 7