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Interview

„Dark“-Star Oliver Masucci: Erst Hitler, dann Fassbinder – „Ich war abgeneigt“

Oliver Masucci hat Hitler gespielt und eine Hauptrolle im Netflix-Hit „Dark“ übernommen. Für die Rolle des exzessiven Filmemachers Rainer Werner Fassbinder in „Enfant Terrible“ musste er mächtig zunehmen – und sich in die Welt eines Besessenen hineindenken. Auch sonst war die Produktion ein ziemliches Abenteuer. Mit dem tipBerlin sprach er ausführlich über das Kino in Zeiten von Corona, seine Rolle in „Dark“, Abgründe auf der Bühne und die Mitte im Leben.

"Enfant Terrible"-Regisseur Oskar Roehler (l.) und der Schauspieler Oliver Masucci. Foto: Imago Images / Andre Lenthe
„Enfant Terrible“-Regisseur Oskar Roehler (l.) und der Schauspieler Oliver Masucci. Foto: Imago Images / Andre Lenthe

tipBerlin Herr Masucci, Sie kommen gerade aus London …

Oliver Masucci Ja, ich war da zu einem großen Dreh. Das ist alles momentan ziemlich anstrengend. Man wird jeden Morgen auf Corona getestet. Der ganze Set ist in drei Kategorien unterteilt, A, B und C, die Leute tragen so Bändchen wie im Swingerclub. In die „actor’s bubble“ dürfen gerade mal die Makeup-Leute noch rein. Ich weiß nicht, was passiert, wenn der erste Fall auftritt, aber es ist eigentlich ausgeschlossen, denn die Maßnahmen sind fast wasserdicht.

„Die Branche geht gerade zugrunde“

tipBerlin Wo waren Sie im März, als der Lockdown fast von heute auf morgen kam?

Oliver Masucci Wir sind mit der „Schachnovelle“ (Regie: Philipp Stölzl) nach vier Monaten Dreh am Tag vor dem Lockdown fertigbgeworden. Weil wir es haben kommen sehen, haben wir die Wochenenden durchgedreht. Für die Produzenten ist das alles momentan der Horror. Diese Branche geht gerade zugrunde.

Oliver Masucci in "Enfant Terrible" von Oskar Roehler
Oliver Masucci in „Enfant Terrible“ von Oskar Roehler. Foto: Weltkino

tipBerlin Trotz beträchtlicher Stützungs- und Überbrückungsmaßnahmen würden Sie das so klar und deutlich sagen?

Oliver Masucci Sie geht total kaputt. Kinos haben eine Auslastung von 20 Prozent, obwohl die mehr Luftzufuhr haben als in jedem öffentlichen Raum im Gasthaus oder in der Schule. Und die Leute reden ja nicht im Kino. Aber es lohnt sich nicht, das aufzumachen. Die Theater sind dicht, die Privattheater – wie sollen die denn überleben? Wir machen gerade die Unterhaltungsbranche komplett kaputt. Im Kino haben sie auch keine starken Filme mehr, deswegen ist es wahrscheinlich ein ziemliches Wagnis, mit „Enfant Terrible“ jetzt zu starten.

tipBerlin Ohne Corona wären Sie mit dem Film im Mai in Cannes über den roten Teppich gegangen.

Oliver Masucci Das war ein wenig komplizierter. Wenn Corona nicht gewesen wäre, hätten wir den Film wahrscheinlich zu Fassbinders Geburtstag Ende Mai herausgebracht, das wäre noch vor der Auswahl in Cannes gewesen, die ja verspätet im Juni bekannt gegeben wurde. Nur durch Corona sind wir eigentlich nach Cannes gekommen. Ich muss aber sagen, ich hab von Anfang an den Film für Cannes gedreht.

Ich hab damit kein Geld verdient, und hab einiges auf mich genommen. Ich musste 25 Kilo zunehmen. Einmal bin ich zum Produzenten gegangen und hab gesagt: Gib mir mal 15.000 Euro fürs Essen. Da hat er mich ausgelacht. So ist das in Deutschland. Das hat mich insgesamt eineinhalb Jahre gekostet, außerdem einiges an Nerven und Tinnitus.

"Enfant Terrible" von Oskar Roehler
„Enfant Terrible“ von Oskar Roehler. Foto: Weltkino

tipBerlin Das mit dem Zunehmen hatten Sie ja schon einmal. 2015  bei „Er ist wieder da“, als Sie Hitler spielten.

Oliver Masucci Ich mach das auch nie wieder. Das geht aufs Herz, auf den ganzen Körper. Aber ich kann diesen Charakter nicht spielen, wenn ich mir einen Wanst anbinde. Ich habe so viele Sexszenen und Nacktszenen, so viele wie noch nie in meiner Karriere. Da musst du dich auch sexy finden. Fassbinder fand sich ja sexy. Viele fanden ihn aber auch gar nicht attraktiv. Es gibt auch Leute, die sagen, er hat gestunken.

„Ich bin in alle Abgründe hineingesprungen“

tipBerlin Mal abgesehen vom rein Körperlichen: Wie standen Sie zu Fassbinder, bevor Oskar Roehler Ihnen die Rolle antrug?

Oliver Masucci Ich war abgeneigt. Ich wollte die Rolle gar nicht spielen. Roehler kam immer wieder mit dem Fassbinder, er zog aber auch andere Leute in Betracht. Ich hab gesagt: Muss ja nicht, dreh das ohne  mich. Ich war aber irgendwie auch angezogen. Eine meiner ersten Rollen war Katzelmacher am Hamburger Schauspielhaus, da hab ich Fassbinders Rolle gespielt.

Das Bild hat sich gewandelt bei mir. Der ist ja so ein Extremist, und ich befind’ mich in einer Phase meines Lebens, wo ich die Extreme hinter mir zu lassen versuche. Ich hab sie ausgelotet und bin in alle Abgründe hineingesprungen, und hab mich wieder rausgezogen. Ich versuche jetzt eher, ein mittigerer Mensch zu sein. Mit drei Kindern, die noch jung sind und viel Aufmerksamkeit erfordern, zwei Ex-Beziehungen, wo ich hin und her fahren muss.

tipBerlin Ein Patchwork-Leben.

Oliver Masucci Eine sehr gute Patchwork-Situation, die sehr viel Arbeit bedurfte, das dahinzubringen. Aber jetzt ist es so. Jetzt mögen wir uns alle, und leben als  ein großes Konglomerat miteinander immer wieder. Ich bin halt der, der reist. Ich versuche, mich irgendwo in der Mitte aufzuhalten.

"Enfant Terrible" von Oskar Roehler
„Der war ja so ein Extremist“: Oliver Masucci in der Rolle des Rainer Werner Fassbinder. Foto: Weltkino

tipBerlin Welche Extreme von Fassbinder kennen Sie auch persönlich?

Oliver Masucci Fassbinder war viel extremer als ich. Das war aber die Manie, die man am Theater hatte. Ich hab dreißig Jahre Theater gespielt, ich war 12, als ich anfing, und ich war da immer ein Gesinnungstäter. Denn ich habe das Theater geliebt. Ich weiß retrospektiv nicht, wie ich das gemacht hab, wie ich jeden zweiten Tag abends fünf Stunden auf der Bühne stehen konnte, und morgens wieder geprobt habe, in dieser kompletten Selbstausbeutung.

Ich hab so viele Filme und Geld und Rollen abgelehnt und weggetan, weil ich einfach dachte, ich bin da, wo die Texte sind. Das ist besser als im Fernsehen, wo es die Texte nicht gibt. Bis irgendwann Texte und Rollen kamen, die das ausgleichen konnten. Denn ich kann mir nicht vorstellen, meinen Beruf zu machen, ohne eine Erfahrung zu machen. Fassbinder ist halt eine ganz besonders extreme Erfahrung gewesen, das wusste ich, und davor hatte ich Angst. Massive Angst.

„Wir haben in einer Überforderung gedreht“

tipBerlin Wovor genau?

Oliver Masucci Einerseits das Körperliche. Ich habe morgens drei Weizenbier getrunken, damit der Bauch noch dicker wird, und mich dann in diesem Gestus bewegt. Ich hatte zum Glück ein Team, das mir nachher nicht irgendwie Stress gemacht hat, weil ich mich natürlich benommen habe wie eine Sau. Ich kann das nur so machen, dass ich quasi wie ein Method Actor da rein gehe, mich verwandle und mich bewege. Auch in der Überforderung, in der wir gedreht haben. Der Film war mit acht Millionen und mit 55 Drehtagen geplant. Gedreht haben wir mit 24 oder 25 Drehtagen und 2,9 Millionen.

„Nur schade, dass man nichts verdient“

tipBerlin Das sind Low Budget-Bedingungen. Damit geht eine entsprechende Ästhetik einher.

Oliver Masucci Es ist ein totaler Low-Budget-Film. Nur hat der Roehler in seiner Genialität das zum Thema gemacht. Wahrscheinlich haben wir so den besseren Film gemacht. Nur schade, dass man nichts verdient hat.

tipBerlin Welches Bild von Fassbinder hat Oskar Roehler Ihnen vermittelt?

Oliver Masucci Keins. Mit Roehler läuft das anders. Der redet über Filme, dann redet er über Bücher, das ist wahrscheinlich der belesenste Regisseur, den ich kenne, der ist wie ein cineastisches und literarisches Lexikon. Wenn man mit dem über Kunst redet, ist es wahnsinnig schön.

Ich hab gesagt: der stößt mich ab, der Mann. Daraufhin hat Roehler gesagt: Musst du halt rausfinden, wo das so ist. Dann haben wir uns in der kompletten Selbstüberforderung in den Film geschmissen und eine Szene nach der anderen gedreht, so richtig stakkato. Roehler kann dazu wahnsinnig kluge Sachen sagen, aber uns intellektuell austauschen über Fassbinder wollten wir nicht. Da bin ich auch gar nicht der Typ dazu.

Die Leute, die so viel reden am Theater, die einem genau sagen, wie man die Rolle denn spielen würde – da ist meine Erfahrung: so macht man es dann nicht. Man kann nur auf die Bühne gehen und spielen. Das Reden drüber ist eigentlich die Angst vor dem Spiel oder die Angst vor der Rolle. Am Ende weißt du ja, was zu spielen ist. Da liegen Roehler und ich sehr nahe beieinander, da verstehen wir uns emotional. Ich sehe das in seinen Augen. Er muss es mir nicht sagen.

tipBerlin Das karge Budget ist eigentlich eine unverhohlene Misstrauenserklärung der deutschen Filmwirtschaft gegenüber Oskar Roehler, oder nicht?

„Mit dem Vorschlaghammer durch die Tür hauen“

Oliver Masucci Ja, natürlich ist das so. Oskar ist halt ein anstrengender Mensch. Er gibt sich mit dem Naheliegenden nicht zufrieden. Wie ich das auch nicht tue, deswegen sind wir beide anstrengende Menschen. Weil wir neurotisch sind, da sind wir uns ähnlich, weil wir wahnsinnig Angst haben vor allem. Oskar ist noch angstbesetzter, als ich das eigentlich bin, ich gehe ja ins Zentrum. Um aus der Angst rauszukommen, muss man mit dem Vorschlaghammer durch die Tür hauen.

Roehler provoziert halt gern. Es fällt ihm wahnsinnig schwer, in einer Welt, die politisch korrekt zu funktionieren versucht, Kunst zu machen. In einer Welt, in der es heute keinen Fassbinder mehr geben könnte. Roehler hinterfragt, er hat einen zynischen Blick auf vieles. Heute haben alle wahnsinnig viel Angst, irgendwo anzuecken. Man kann an vielen Ecken das Falsche tun. So einen wie Fassbinder wird es nicht mehr geben. Zu Recht auch nicht mehr.

„Ein Konglomerat von Wahnsinnigen“

tipBerlin Kannten Sie noch Leute aus der „Familie“ von Fassbinder?

Oliver Masucci Eva Mattes spielt ja selber mit, die kenne ich seit langer Zeit von der Bühne. Ich kannte die Irm Hermann immer wieder vom Spielen. Ich hab mich aber nicht so intensiv auf den Film vorbereitet, weil mir das irgendwann so auf den Keks ging, dass alle behaupteten, sie wären dem Fassbinder besonders nahe gestanden. Ich wollte meinen eigenen Fassbinder spielen. Letzten Endes spiele ich ein Konglomerat aus all den Wahnsinnigen, die ich im Lauf der Jahre kennengelernt habe.

Oliver Masucci in "Enfant Terrible" von Oskar Roehler
Oliver Masucci in „Enfant Terrible“ von Oskar Roehler. Foto: Weltkino

tipBerlin Viele?

Oliver Masucci Viele Wahnsinnige. Da gab es Leute, die man aus der Klapsmühle oder aus der Therapie geholt hat und auf Schauspieler loslässt. Das geht jetzt auch nicht mehr so, zum Glück. Zwei Monate lang Schauspieler von links nach rechts jagen, einfach so aus Wahnsinn. Ich hab Zadek noch kennengelernt, der toll war, aber der hat Schauspieler auch aufeinander losgehetzt, um daraus Energien entstehen zu lassen.

Ich hab Verrückte kennengelernt, das war toll, aber man musste halt gucken, wie weit geh ich denn mit dem. Da gab es Komplettalkoholiker, die lallend im Zuschauerraum saßen oder auf die Bühne kotzten. Menschen mit unglaublichem Ego und so einem kleinen Selbstbewusstsein. All so was hab ich erlebt. Theater war immer so ein Einstiegsort für Gestrandete.

tipBerlin Auf eine Erklärung für den Wahnsinn von Fassbinder verzichtet „Enfant Terrible“ weitgehend.

Oliver Masucci Das ist Roehler nicht so wichtig. Der Film war auch nicht als ein Biopic geplant. Er bewundert ihn, dann findet er ihn wieder doof, aber es gibt einen Aspekt, der wichtig ist. Fassbinder hat gesagt: Ich will, dass mein Name dasteht, wo die großen Namen stehen. Neben Orson Welles oder so. Das ist auch Roehler. Ich weiß auch nicht, warum man das alles sonst machen soll. Wenn man den Beruf macht, will man das auch. Auf dieser Ebene. Darum geht’s. Natürlich, der Inhalt und alles, klar, aber das auch. Der Fassbinder ist die Reibe, an der der Oskar seine Kartoffel reibt. Beide haben wir ihn wahnsinnig liebgewonnen. Wir haben uns reinverliebt. Zentral ist das jetzt ein Film über enttäuschte Liebe.

„Wie Desiree Nick in ihrem Lack- und Lederkostüm, diese Supervixe“

tipBerlin War es schwierig, sich in den schwulen Fassbinder hineinzuversetzen?

Oliver Masucci Roehler hat ein relativ klischiertes Frauenbild, bei ihm ist das immer wie Desiree Nick in ihrem Lack- und Lederkostüm, diese Supervixe, das ist so das besetzte Frauenbild von ihm. Das nervt ihn selber, da ist man von sich selber gelangweilt. Schon wieder eine Sexbombe. Um sich von diesem Bild zu trennen, ist die Männerliebe in „Enfant Terrible“ ein Thema, wo er sich gar nicht auskannte, und wo er keine Bilder im Kopf hatte. Dazu kam die Bürgerlichkeit, die Fassbinder mit seinen schwulen Geliebten auch gesucht hat, und an der er massiv gescheitert ist. Das ist so der zentrale Punkt, den wir gefunden haben.

Oliver Masucci spielte im Netflix-Hit "Dark" Ulrich Nielsen. Foto: Netflix
Oliver Masucci spielte im Netflix-Hit „Dark“ Ulrich Nielsen. Foto: Netflix

tipBerlin Sie sind zuletzt vor allem durch die deutschen Netflix-Serie „Dark“ sehr populär geworden. Sind Sie zum Schluss noch durchgestiegen, wie das alles aufgeht mit den Zeitsprüngen und Paralleluniversen?

Oliver Masucci Ich hab nie alle Folgen am Stück gesehen, habe aber jede Staffel jeweils direkt gebingewatcht – so sagt man ja jetzt. Vor der letzten hätte ich die davor noch einmal anschauen müssen, da habe ich selber schon Schwierigkeiten, das zusammenzukriegen. Was die Leute an „Dark“ wohl so fasziniert, ist, dass du das nicht einfach wegkonsumieren kannst. Es braucht aktives Zuschauen. Das geht gegen den Trend.

„Vielleicht ist Roehler einfach falsch in Deutschland“

tipBerlin Könnten Sie sich vorstellen, mit Oskar Roehler weiter zusammenzuarbeiten?

Oliver Masucci Wir beschäftigen uns gerade mit dem Thema Beuys. Mal gucken, wo wir das hinkriegen. Vielleicht in Frankreich. Wir telefonieren regelmäßig, ich hab grad gestern wieder drei Stunden mit ihm geredet. Sein nächster Film sollte heißen: 8 1/4. Aber der wird wieder nicht finanziert. Vielleicht ist es wie bei Fassbinder. Vielleicht ist Roehler einfach falsch in Deutschland.

tipBerlin Fassbinder hat immerhin gegen Ende seiner Karriere noch den Traum vom populären Kino nach dem Vorbild der Ufa teilweise realisiert.

Oliver Masucci Ja, aber gewürdigt wurde er woanders. Weil die Deutschen sich nicht vorstellen konnten, dass das Kunst ist.


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tipBerlin-Autor Bert Rebhandl hat sich die Fassbinder-Biografie angesehen. Überzeugen konnte ihn Oskar Roehlers „Enfant Terrible“ allerdings nicht. Was zeitgleich mit „Enfant Terrible“ angelaufen ist: Die Kino-Neustarts vom 1. Oktober. Ihr seid mit dem Bingewatching fertig? Dann schaut euch doch die Drehorte der Netflix-Serie „Dark“ in Berlin an.

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