Nusret, eine alte Frau, die allein in ihrem Haus am Rande eines Bergdorfes über der Schwarzmeerküste lebt, ist eines Morgens verschwunden. Aufgeschreckt durch den Anruf eines besorgten Nachbarn, machen sich ihre drei erwachsenen Kinder aus Istanbul auf den Weg, um die Mutter zu suchen. Doch bereits zu Beginn der langen Autofahrt zeigen sich Spannungen zwischen den einander entfremdeten Geschwistern, die sich endgültig entladen, als sich herausstellt, dass die Mutter an Alzheimer leidet. So wird die in Zeit und Raum verlorene alte Frau zum explosiven Auslöser der geballten Frustrationen und Existenzängste einer typischen modernen Mittelschichtfamilie in der durch gesellschaftliche Umwälzungen geprägten Türkei.
Der urbanen Ödnis der Großstadt und den Lebensentwürfen einer modernen kapitalistischen Industriegesellschaft stellt die Regisseurin Yesim Ustaoglu in poetischer Bildsprache die Stille und atemberaubende Serenität der noch weitgehend unberührten Landschaft der Osttürkei mit ihren traditionellen Werten gegenüber. Aber die Fragen nach dem gesellschaftlichen Umfeld, das wir unseren Kindern bieten, und nach unserem Umgang mit alten Menschen, die Ustaoglu in ihrem überzeugenden Film aufwirft, weisen weit über die Türkei hinaus.
Text: Barbara Lorey
tip-Bewertung: Sehenswert
Orte und Zeiten: „Pandora’s Box“ im Kino in Berlin
Pandora’s Box (Pandoranin Kutusu), Türkei/Frankreich/Deutschland/Belgien 2008; Regie: Yesim Ustaoglu; Darsteller: Tsilla Chelton, Derya Alabora, Onur Ünsal; Farbe, 110 Minuten
Kinostart: 26. November