Es muss im Herbst 1981 gewesen sein, nach dem zwischenzeitlichen Sieg der Solidarnosc-Bewegung, und kurz bevor das polnische Regime am 13. Dezember das Kriegsrecht verhängte und das Land in einen Zustand der Erstarrung versetzte. In dieser kurzen Phase des politischen Tauwetters lief in unserem Danziger Kinderkino Bajka, wo es sonst nur tschechische Märchenfilme zu sehen gab, der erste „Star Wars“-Film.
Vier Jahre später als im Westen kamen wir endlich auch hinter dem Eisernen Vorhang in den Genuss, am bis dato größten Filmereignis aller Zeiten teilzuhaben. „Krieg der Sterne“ lief im englischen Original mit Untertiteln, aber da ich mit sechs Jahren noch nicht so schnell mitlesen konnte, flüsterte mir meine Mutter die Texte ins Ohr. Zugehört habe ich ihr vermutlich nicht, dafür war ich zu sehr beeindruckt von den Raumschiffen, Robotern, Laserschwertern und dem düsteren Darth Vader.
Ein popkulturelles Schlüsselerlebnis, das mich noch lange prägen sollte – aber nicht sofort. Denn es gab ein Problem: Ich sah den Film, und das war es. In unserem real existierenden Sozialismus existierte das Konzept des Merchandising einfach nicht. Es gab keine Zeitschriften, Aufkleber oder Spielzeug zur Saga. Dass solche Dinge überhaupt existieren könnten, entzog sich meiner Kenntnis. Also schaute ich wieder tschechische Märchen und die polnische Zeichentrickserie „Lolek und Bolek“. Mein einschneidendes Erlebnis verblasste einem billigen Farbfoto gleich zu bunten Schemen.
Als wir einige Jahre später in West-Berlin landeten, war die Aufregung um die „Star Wars“-Trilogie gerade abgeklungen. Von „Das Imperium schlägt zurück“ und „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ habe ich sowieso nichts mitbekommen, ich kannte ja nur „Gwiezdne Wojny“ so hieß „Krieg der Sterne“ bei uns. Und 1985, zwei Jahre nach dem vorerst letzten Teil, spielte die Reihe im Westen kaum noch eine Rolle. Alle wollten Marty McFly in „Zurück in die Zukunft“ oder Eddie Murphy als „Beverly Hills Cop“ sehen und nicht Han Solo oder Luke Skywalker.
Für mich aber begann ein popkulturell überschatteter Integrationsprozess. Als kleiner, blasser Junge war ich wohl ohnehin zum Nerd-Dasein prädestiniert. Die anfangs fehlenden Sprachkenntnisse und das stolpernde, schließlich dann aber doch gelungene Andocken an die Klassengemeinschaft einer Reinickendorfer Grundschule kompensierte ich mit einer obsessiven Sammelwut jeglicher „Star Wars“-Devotionalien, derer ich mich bemächtigen konnte. Als Kind mit recht frischem Migrationshintergrund war ich in doppelter Hinsicht nicht eben üppig mit finanziellen Mitteln ausgestattet, doch das abgeebbte Interesse am Thema spielte mir in die Karten. Die noch vor einigen Jahren mit „Star Wars“-Spielzeug beschenkten West-Berliner Kinder entsorgten den Plunder, um Platz für frische Produkte aus dem „Masters of the Universe“-Universum zu machen, und die Kaufhäuser verramschten die Ladenhüter.
Mit zehn, elf, zwölf Jahren lief ich über die Flohmärkte und kaufte den Rasenden Falken, den TIE-Fighter, das Ewok-Dorf zu Spottpreisen und die Actionfiguren für eine Mark das Stück. Außerdem Bücher, Magazine, Plakate, Fotos, Aufkleber und Spielkarten, ich besitze sogar noch eine mit C3PO und R2D2 bedruckte Federtasche. Prunkstück der Sammlung war ein 40 Zentimeter großer Boba Fett. Am liebsten ging ich auf den Riesenflohmarkt am Potsdamer Platz, der einige Jahre später zum berüchtigten „Polenmarkt“ umgetauft wurde und wo ich jetzt, 30 Jahre später, am 17. Dezember 2015 im Cinestar im Sony Center die Premiere von „Star Wars 7 – Das Erwachen der Macht“ sehen werde.
Mein Kinderzimmer glich einem „Star Wars“-Museum, ein sicherer, von Jedis, Droiden und Kopfgeldjägern bewohnter Ort. Bis ich den Rock’n’Roll, Mädchen und interessantere Substanzen entdeckte, war ich von der Fantasy-Saga nahezu vollständig absorbiert. Doch dann fiel die Mauer und meine Faszination endete. Ich stopfte das ganze Zeug in Umzugskartons und dann in den Keller, ganz lösen konnte ich mich von der Sammlung nicht. Vielleicht werde ich sie ja mal an mein Kind weitergeben, dachte ich mir damals.
20 Jahre später wurde ich Vater und belästigte meinen Sohn auf einmal mit einer Yoda-Puppe und Jeffrey Browns lustigen „Star Wars“-Cartoons „Darth Vader und Sohn“. Anfangs machte er mit, er kannte die Namen der wichtigen Figuren und deren Verwandtschaftsverhältnisse. Darth Vader ist Lukes Papa, das war dem Kleinen schnell klar, aber ist Darth Vader ein Böser oder ein Guter? Eine Frage, die sich nicht ganz so leicht beantworten lässt. Die Filme kennt er noch nicht, aber alle Helden und das ganze Zeug drumherum. „Star Wars“ erlebt er also unter komplett anderen Vorzeichen als ich in meinem Kinderkino Bajka. Aus der Merchandising-Perspektive sozusagen.
Doch jetzt, noch keine sechs, grenzt er sich schon von der Sache ab. Nein, „Star Wars“ interessiere ihn nicht, er will auch nicht den Lego-„Star Wars“-Adventskalender, sondern den Lego-„City“-Adventskalender. Vielleicht ist es eine rebellische Distinktion zum Vater, dessen Herz noch immer für George Lucas’ Epos schlägt. In der Hinsicht habe ich als Vater scheinbar versagt, fürs Erste zumindest. Es muss wohl jeder seinen eigenen Weg zu „Star Wars“ finden, daran vorbei kommt man nicht. Noch zwei, drei Jahre, dann wird er die Filme selbst sehen, und dann hole ich die Umzugskartons vom Dachboden.
Text: Jacek Slaski
Fotos: Archiv
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