Berliner Serie

„All You Need“: Deutschlands erste schwule TV-Serie kommt mit Karacho

Feiern, flirten, ficken die Schwulen die ganze Zeit? Aber ja doch. Wenn sie nicht gerade andere Sorgen haben. „All You Need“, die erste schwule Serie im deutschen Fernsehen, findet die richtige Cocktailmixtur aus Fun und Drama. Kommt spät, aber dafür mit Karacho.

Endlich keine Quoten-Queers mehr: Vince (Benito Bause) und Robbie (Frédéric Brossier) in der queeren Serie "All You Need". Foto: ARD Degeto/Andrea Hansen
Endlich keine Quoten-Queers mehr: Vince (Benito Bause) und Robbie (Frédéric Brossier) in der queeren Serie „All You Need“. Foto: ARD Degeto/Andrea Hansen

Los geht’s mit der Eskalation auf der Poolpaty

Wenn man die Gartenparty unten am Grunde des Swimmingpools verbringt, ist irgendetwas schiefgelaufen. So geht es Vince prompt zu Beginn der ersten Episode der Serie „All You Need“. Aber keine Sorge, er blubbert ja noch! Das Licht fällt violett und pink ins Wasser. Kann schlimmere Orte geben! Da schwebt auch die Scheibe einer Zitrusfrucht durchs Wasser. Benito navigiert fast so souverän durch die Unterwasserwelt, als wäre er ein Meerjungmann. Dann schwebt auch ein niedliches Cocktailschirmchen mit einer saftigen Olive am Stil vorbei. Das gehörte wohl mal zum selben Glas wie besagte Zitronenscheibe.

Dann der Blick nach oben: Am Rand des Swimmingpools steht eine irritierte Partycrowd. Bilder im Schleudertempo-Rückwärtsgang: Vince (Benito Bause) fliegt aus dem Wasser zurück nach oben, sehr dicht zu seinem besten Freund Levo (Arash Marandi). Offenbar hat der ihn, nicht gerade zimperlich, ins Wasser befördert. Wie gesagt: Irgendwas ist schiefgelaufen.

„All You Need“: Vom Berliner WG-Leben nach Brandenburg

Dabei war sechs Wochen vorher, wohin uns die Serie nach dem Vorspann mitnimmt, doch noch alles eitel Sonnenschein. Mehr oder weniger. Levo und Sarina (Christin Nichols) platzen bei Vince ins WG-Zimmer hinein, während der Schwanzbilder auf einer Dating-App verschickt. Oh là là! Man neckt und zieht sich gegenseitig auf. Vor allem aber hat man „Bock zu dancen“, eine Nacht, bevor Levo seinen allerliebsten WG-Buddy Vince verlassen wird, um chic ins Brandenburgische zu ziehen, in eine noble Designerhütte, die sein nunmehr fester Freund Tom zuvor mit seiner Ehegattin bewohnt hatte.

Robbie und Vince – und im Hintergrund läuft Britney Spears. Foto: ARD Degeto/All You Need
Robbie und Vince – und im Hintergrund läuft Britney Spears. Foto: ARD Degeto/All You Need

In dem Club also (es ist ganz offensichtlich das SchwuZ auf dem Rollberg in Neukölln, auch wenn der Name nicht fällt) baggert Vince während eines Britney-Tracks einen heißen Typen an der Säule an: Robbie (Frédéric Brossier). Ob der ihm nicht einen Drink spendieren wolle? Will er nicht, aber stattdessen landet man schnell auf dem Klo für einen Blowjob. Warum auch nicht? Und man scheint nachts noch munter weiter zugange gewesen zu sein, jedenfalls verpennt Vince am nächsten Morgen den halben Umzug von Levo. Nicht gut.

Zu viel schwuler Sex fürs Hauptprogramm?

„All You Need“ ist, man mag es kaum glauben, die erste schwule Serie im deutschen Fernsehen. Darauf scheint die ARD auch mächtig stolz zu sein, glaubt man den PR-Meldungen zur Serie. Dem (wenn es nicht gerade eingedöst ist) schreckhaften Publikum im Hauptprogramm der ARD wollte man die auch sexuell explizite Serie (bald geht’s in eine Schwulensauna, wo im Sling gebumst wird) dann aber doch nicht zumuten, so scheint es: Stattdessen lief „All You Need“ um 23.15 Uhr im „jungen“ Öffi-Nebensender One. Maximaler Pride und maximale Sichtbarkeit? Geht anders.

Aber in erster Linie hatte Das Erste „All You Need“ wohl ohnehin für die Mediathek produziert. Und da geht das Ding mit den warmen Brüdern weg wie warme Schrippen. Über eine Million Klicks, meldet die ARD erquickt. So kann’s gehen.

„All You Need“ nimmt sich „Queer As Folk“ zum Vorbild

Auf dem Streaming-Markt konkurriert die ARD nun mit Kontrahenten von ganz anderem Kaliber: War das 1990 noch ein Riesending, als die ARD den ersten schwulen Kuss im deutschen Vorabend-TV zeigte, in der „Lindenstraße“, so hat sich international seitdem sehr viel getan. Gay-Serien-Klassiker wie „Queer As Folk“ (in der britischen und einer US-amerikanischen Version) wurden freilich auch beim deutschen schwulen Publikum in DVD-Boxen verschlungen. „All You Need“ orientiert sich merklich daran – und auch ein klein wenig am viel gelobten Netflix-Hit „Pose“, dessen Farbgebung und Logo-Schriftart „All You Need“ Tribut zollt.

V.l.: Jale Arikan, Matthias Freihof, Arash Marandi und Mads Hjulmand. Foto: ARD Degeto/Andrea Hansen
V.l.: Jale Arikan, Matthias Freihof, Arash Marandi und Mads Hjulmand. Foto: ARD Degeto/Andrea Hansen

Auch im deutschen Fernsehen gab es in den letzten Jahren viele Quoten-Queers, etwa als Psycho-Serienkiller oder als Mord-Opfer. Na danke! Oder im Trash-TV beim „Bachelor“, „Prince Charming“ und „Let’s Dance“. Aber eine ganze Serie, die die schwule (Berliner) Lebensrealität ernst nimmt, indem sie sie nicht zu ernst nimmt? Das gab’s bisher noch nie. Danke, ARD!

Küssen am Kotti? Die Serie spart auch Rassismus nicht aus

All You Need“ kommt spät, doch dafür mit Karacho. Drehbuch und Regie  (beides: Benjamin Gutsche) haben sich sehr viel vorgenommen, um den Figuren viele Facetten zu geben: Der smarte Langzeit-Medizinstudent Vince ist mutig mit seinen Friends auf dem Klunkerkranich, aber knickt leicht ein am Kottbusser Damm oder am Landwehrkanal, wenn Robbie ihn küssen will, aber Vince doch Angst hat – nicht zuletzt wegen Rassismus, der für ihn, auch in Berlin, sehr präsent ist.

Der bezaubernde Robbie wiederum hat ganz andere Unsicherheiten: Er verheimlicht, dass er mit einem Bein im Knast steht – und bei Sozialstunden Müll einsammelt. Nicht mal seine Plattenbau-Bude will er Vince zunächst zeigen. Levo, der als Webdesigner Erfolg hat, knabbert daran, dass seine Eltern ihn „normaler“ wollen – weshalb es ihm sehr zupass kommt, dass er ihnen mit Tom nun spießiges Familienglück präsentieren kann. Wobei Tom beim Schwulsein alles noch so neu ist, und er Vieles aufregend findet, womit Levo eigentlich abschließen wollte.

„All You Need“ erhält lesbisches Pendant und zweite Staffel

Zunder und Zündstoff also, und „All You Need“ findet bei all dem die richtige Mixtur aus Drama und Fun. Dass man fast nur Männer sieht – etwas schade, allerdings hat ZDF Neo ein lesbisches Pendant für den Sommer angekündigt. Und das „All You Need“-Drehbuch nimmt sich eh schon sehr viel vor.

Die Welt wäre besser, sagt Levo, wenn alle mal mehr „feiern, flirten, ficken“ täten – nachdem seine Schwester meinte, das wäre ja wohl „die schwule Welt“. Sie ist dies, aber noch viel mehr. Und „All You Need“ ist auf bestem Wege, uns all dies zu zeigen – zumal die zweite Staffel schon bestellt ist.

  • All You Need R: Benjamin Gutsche; D: Benito Bause, Frédéric Brossier, Arash Marandi, Mads Hjulmand, Christin Nichols, fünf Episoden à 30 Minuten in der ARD-Mediathek. Alle Folgen hier

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