Doku-Thriller

So gut ist „Der große Fake – Die Wirecard-Story“ mit Christoph Maria Herbst

Das ging fix: Der RTL-Streaminganbieter TV Now macht aus dem Wirecard-Skandal einen prominent besetzten TV-Spielfilm. „Der große Fake – Die Wirecard-Story“ mit Christoph Maria Herbst, Nina Kunzendorf und Franz Hartwig rollt den Fall auf, der wohl mit einer Armada von Anwälten geschnitten werden musste. Heikel? Oh ja. Sehenswert? Das sagt euch tipBerlin-Filmkritiker Bert Rebhandl.

"Ich habe absolute Herrschaftswissen", sagt Markus Braun. In "Der große Fake – Die Wirecard-Story" spielt Christoph Maria Herbst den Chef der Finanzfirma. Foto: TVNOW/Gordon Muehle
„Ich habe absolute Herrschaftswissen“, sagt Markus Braun. In „Der große Fake – Die Wirecard-Story“ spielt Christoph Maria Herbst den Chef der Finanzfirma. Foto: TVNOW/Gordon Muehle

Der österreichische Geschäftsmann Markus Braun muss ein ziemlich seltsamer Typ sein. Den Fimmel mit dem schwarzen Rollkragenpullover mag man ja noch verstehen, da hielt sich halt jemand für den neuen Steve Jobs. Die Steigerung der Merkel-Raute ist auch einigermaßen nachvollziehbar, irgendwo müssen die Hände ja hin, und Braun hielt sie gern so gefaltet, dass es aussah wie eine Kombination aus dem Markenzeichen der Bundeskanzlerin mit den betenden Händen von Dürer.

Mit dieser distinguierten Geste gab Braun dann Dinge von sich wie zum Beispiel: „Ich habe absolutes Herrschaftswissen!“ So zu hören in „Der große Fake – Die Wirecard-Story“. Ein starker Satz, der nur leider nicht mehr galt, als es darum ging, fast zwei Milliarden Euro zu finden, die in den Bilanzen der Firma Wirecard standen, ohne tatsächlich zu existieren. Das war der Punkt, an dem Deutschland zum Schauplatz eines Finanzskandals erster Ordnung wurde.

Sogar Merkel war Türöffnerin für Wirecard in China

Im Mittelpunkt stehen zwei Männer: Markus Braun und Jan Marsalek, beide aus Österreich. Sie gestalteten den Aufstieg von Wirecard von einem windigen Finanzdienstleister für Online-Glücksspiel und Internet-Pornoseiten zu einem DAX-Konzern, für den sogar Angela Merkel sich als Türöffnerin in China verdient machen wollte. Wirecard galt bis vergangenes Jahr auch als die neue „Volksaktie“, sie war einmal fast 190 Euro wert, in diesen Tagen grundelt sie unter 50 Cents herum. Markus Braun sitzt in Untersuchungshaft, nach Jan Marsalek wird weltweit gefahndet.

Ein Drama also, in dem ein großer Stoff steckt, den „Der große Fake – Die Wirecard-Story“ nun ungestreckt präsentiert. Ein Dokudrama aus dem Haus Ufa Fiction, das in eineinhalb Stunden eine komplexe Materie nachvollziehbar zu machen versucht, indem es Interviews mit Spielszenen kombiniert.

Franz Hartwig (li.) spielt Franz Marsalek in "Der große Fake – Die Wirecard-Story". Im Konzern war er der internationale Mann voller Geheimnisse. Foto: TVNOW/Gordon Muehle
Franz Hartwig (li.) spielt Franz Marsalek in „Der große Fake – Die Wirecard-Story“. Im Konzern war er der internationale Mann voller Geheimnisse. Foto: TVNOW/Gordon Muehle

Für die beiden zentralen Figuren und einige weitere Rollen wurden Schauspieler:innen verpflichtet: Christoph Maria Herbst spielt Markus Braun, Franz Hartwig ist eine gute Wahl für Jan Marsalek, dazu gibt Nina Kunzendorf eine Reporterin, Lisa Hrdina hat eine interessant gebrochene, leider zu kleine Rolle als Lotte Mendel, die Assistentin von Marsalek, und Bernd Hölscher, eben erst in „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ als der schmierige Günter Breitweg vertreten, bringt die Perspektive von unten ein: er spielt den Chauffeur von Markus Braun, der sich verleiten lässt, seine Altersversorgung in Wirecard-Aktien zu investieren.

„Die Wirecard-Story“: Zielpublikum in der Tiefgarage abgeholt

Da holt „Der große Fake“ ein bisschen überdeutlich das Zielpublikum in der Tiefgarage ab. Zum Ensemble kommen eine Reihe von Leuten, die als Zeugen auftreten, darunter so schillernde Figuren wie die amerikanische Hedgefonds-Managerin Fahmi Quadir, die man mit ihrer Extravaganz leicht für erfunden halten könnte, oder der ehemalige Profiboxer Ahmed Öner, der eine Weile der Mann fürs Grobe bei Wirecard war. Selbst ein so gewichtiger Vertreter der deutschen Finanzbranche wie Christian Sewing, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, war zu einem Gespräch bereit.

Das hat aber vermutlich auch damit zu tun, dass Markus Braun auf dem Höhepunkt seiner Träume vom absoluten Herrschaftswissen überzeugt war, Wirecard stünde kurz vor einer Übernahme der Deutschen Bank. So was lässt sich jetzt schön kühl kommentieren.

Jan Marsalek als Big Blender

Zu erzählen gibt es viel, und manches muss dadurch auch im Sauseschritt absolviert werden. Jan Marsalek hat dabei den weitaus aktiveren Part, er war bei Wirecard der internationale Mann voller Geheimnisse, mit Verbindungen nach Libyen (wo er angeblich mit Söldnern den Schleuserbanden das Handwerk legen wollte) oder nach Russland (wohin er sich inzwischen auch abgesetzt hat, wie eine populäre Theorie geht).

Der Regisseur Raymond Ley hat sich dafür entschieden, Franz Hartwig als Jan Marsalek immer wieder direkt in die Kamera sprechen zu lassen – eine etwas dubiose Idee, denn dadurch lässt „Der große Fake – Die Wirecard-Story“ den Big Blender ja noch einmal genau so auftreten, wie er sich wohl selbst gern gesehen hat, als Mann, der alle Schwierigkeiten locker wegmoderiert.

Geld galt bei Wirecard als etwas Herbeiquasselbares

In den Passagen, in denen sich die Situation dann zuspitzt, gelingt das nur noch bedingt. Höhepunkt des Dramas in der Wirklichkeit wie auch der Darstellung im Dokudrama war die Suche nach den 1,9 Milliarden, die auf einem Treuhandkonto auf den Philippinen liegen sollten. Da kam es zu einigen Szenen aus den eher unteren Schubladen des globalen Geschäftslebens, mit einem Wirecard-Partner namens Tolentino, der Geld offensichtlich für etwas Herbeiquasselbares hielt. Diesen Glauben teilte er mit Jan Marsalek, und Markus Braun hielt ihn für Herrschaftswissen.

Hinterher sind alle klüger, wenngleich es zu Wirecard immer noch viel zu recherchieren gibt, und die Gerichte werden auch noch über die ganze Sache befinden. Den eigentlichen Showdown, die Flucht von Marsalek in allerletzter Minute, lässt „Der große Fake“ schließlich weg. Es ist auch so schon heikel genug, diese Geschichte zu erzählen – schließlich gilt die Unschuldsvermutung.

„Der große Fake – Die Wirecard-Story“: Am besten als Serie

Für einen Schnellschuss aber, der wohl auch mehr oder weniger mit einer ganzen Armada von Anwälten im Rücken geschnitten werden musste, ist das ein durchaus interessanter Kompromiss mit einem Stoff, für den es eigentlich so jemand wie Vince Gilligan („Breaking Bad“) bräuchte, um ihm wirklich gerecht zu werden. Und sechs bis acht Staffeln, mit einer noch offenen Fortsetzung über Jan Marsalek im Visier von Interpol.

Der große Fake – Die Wirecard-Story ab 31.3., TV Now; R: Raymond Ley; D: Christoph Maria Herbst, Nina Kunzendorf, Franz Hartwig; D 2021, 90 Min


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