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„Die Zweiflers“: Großer Abräumer beim Deutschen Fernsehpreis

„Die Zweiflers“ erzählt die Geschichte einer jüdischen Familie und deren Delikatessengeschäft im heutigen Deutschland. Die im Mai in der ARD-Mediathek veröffentlichte Miniserie räumte in Cannes und zuletzt beim Deutschen Fernsehpreis ab. Eine zweite Staffel wurde bereits angekündigt.

Eine schrecklich nette Familie: „Die Zweiflers“. Foto: ARD Degeto/HR/Turbokultur/Elliot

„Die Zweiflers“: Preisgekrönte Serie über jüdisches Leben

Es geht ums Fleisch. Während des Vorspanns fährt die Kamera in extremen Nahaufnahmen über rohes Fleisch. Auf den ersten Blick faszinierend, später eher leicht ekelerregend. Mit Fleisch hat Symcha Zweifler sein Geld gemacht. Jetzt will der altgewordene Besitzer eines Delikatessengeschäftes und einer Gastwirtschaft im Frankfurter Bahnhofsviertel sein Unternehmen an einen Investor verkaufen. Seinen drei Enkelkindern traut er nicht zu, sein Erbe verantwortungsvoll weiterzuführen. Leon ist erst 19 und strebt eine Karriere als Bildender Künstler an, sein Bruder Sam(uel) hat zwar Jura studiert, sich aber danach als Musikmanager in Berlin etabliert. Dana ist nach einem traumatischen Erlebnis nach Israel gereist, hat dort ihren Ehemann Zvi kennenlernt, mit dem sie mittlerweile zwei Kinder hat.

Es geht ums Fleisch, nicht nur um die großen Mengen, die für Symcha, der auch einen eigenen Bauernhof und eine fleischverarbeitende Fabrik besitzt, sondern auch um ein winziges Stück Fleisch, die Vorhaut von Samuels frisch geborenem Sohn Noah. Denn um dessen Beschneidung entspannt sich ein großer Streit.

Sam hat sich in Frankfurt in Saba verliebt, die Küchenchefin eines Lokals, in dem er und seine alten Freunde ihr Wiedersehen feierten. Dass Saba so schnell schwanger wird, damit hatten beide nicht gerechnet. Auch hat Sam die Beziehung gegenüber seiner Familie erst einmal verschwiegen, wohl wissend, dass seine Mutter Mimi sofort Pläne für sie machen würde.

„Die Zweiflers“ portraitiert junge jüdische Menschen in der Gegenwart. Foto: ARD Degeto/HR/Turbokultur/Elliot

Sam ist nicht religiös, so wenig wie Saba, aber der Beschneidung will er trotzdem zustimmen, sie sei nun einmal Teil der jüdischen Identität. Saba muss sich fragen, wie es mit ihrer eigenen Identität aussieht. Ihre Mutter ist Engländerin, ihr Vater, der die Familie früh verlassen hat, stammt aus der Karibik. Zudem plant sie ihre berufliche Zukunft als Küchenchefin in Japan. Von Sam fühlt sie sich in dieser Hinsicht im Stich gelassen. Schließlich verlässt sie mit ihrem Baby die Wohnung der Zweiflers, während Mimis Schwester Tammy und deren Tochter aus New York schon unterwegs nach Frankfurt sind, um der Brit, dem rituellen Akt der Beschneidung, beizuwohnen.

Genug Probleme? Keineswegs, denn auch Mimi und ihr Mann Jackie, ein russischer Jude, geraten wiederholt aneinander, Jackie fühlt sich von seiner Frau permanent untergebuttert – aber ist die Affäre, die er mit einer Patientin aus seiner Praxis als Therapeut begonnen hat, ein Ausweg? Symcha wird unterdessen von seiner Vergangenheit eingeholt. Der gerade aus dem Gefängnis entlassene Siggi erpresst ihn wegen eines großen Gefallens, mit dem er ihm aus der Patsche geholfen hat, als Symcha noch als Angestellter in dem Unternehmen war, das heute ihm gehört. Wie groß diese Unterstützung war, kommt erst später heraus. Da Symcha jetzt Siggis Forderung nach einer Teilhaberschaft ablehnt, lanciert der Zeitungsberichte, die entsprechend Vorwürfe erheben.

Eine Serie wie „Die Zweiflers“ war lange überfällig im deutschen Fernsehen

Das war überfällig: Dass sich auch die serielle Fernseh-Fiktion endlich mit jüdischem Leben in Deutschland beschäftigt. Wer sich wundert, warum der 7. Oktober 2023 nicht erwähnt wird: Die Serie ist bereits vorher abgedreht gewesen. Man sollte auch von einer Arbeit nie erwarten, dass sie alle Aspekte eines Problems gleichermaßen in den Fokus rückt.

Die Zweiflers sind ohne Zweifel eine schwierige Familie, in deren drei Generationen unter einem Dach die Serie etwas modellhaft verdichtet: Von der ersten Generation, den Holocaust-Überlebenden, über deren Kinder, die ganz unterschiedlich damit umgehen, und die Enkelkinder, die dem Glauben eher skeptisch gegenüber stehen. Während Samuel der Beschneidung seines Sohnes um des Familienfriedens zustimmt, rebelliert Leon mit seiner Kunst gegen die Familie – seine Ausstellung enthält ein großformatiges (von Bosch und Breughel beeinflusstes) Tryptichon, in dem die Familienmitglieder nackt neben und mit Würsten posieren, zum Entsetzen seiner Mutter, während der Großvater trocken kommentiert, er sähe sich gut getroffen („bis auf mein bestes Stück“). 

Mutter weiß es besser. Foto: ARD Degeto/HR/Turbokultur/Elliot

Dass in dieser Familie viel gestritten wird, ahnt der Zuschauer schon nach der ersten Folge. Man hätte sich mehr stille Momente gewünscht, wie den zweiminütigen Monolog, den Jackie am Grab seiner Eltern hält, oder die Geschichte einer mutigen Aktion im KZ, von der Lilka am Ende ihrer Tochter Dana erzählt. Dadurch bekommt man auch einen anderen Eindruck von der Auschwitzüberlebenden, die überwiegend jiddisch spricht und sich ihre Medikamente aus Israel kommen lässt, weil sie den deutschen misstraut, nicht nur den deutschen Medikamenten, sondern den Deutschen generell. Als Sam einmal eine Verletzung an ihrem Bein entdeckt und sie zu einem Arzt bringen will, weist sie ihn darauf hin, dass der letzte deutsche Arzt, den sie gesehen hat, ein KZ-Arzt war.

Viele Preise und eine zweite Staffel

Auf der anderen Seite gibt es auch einige sehr direkte Szenen, die dramaturgisch flach wirken, weil man den Eindruck hat, hier solle dem Zuschauer in aller Kürze etwas klargemacht werden, was vorher mehr angedeutet wurde, etwa im Streit der beiden Schwestern Tammy und Mimi. Die hält ihrer Schwester vor, sie habe die Familie im Stich gelassen und sei nach New York geflüchtet, während Tammy kontert, Mimi habe stets das Sich-Kümmern um ihre Eltern vorgeschoben, um sich nie von ihnen abzunabeln. In der Tat ist diese Mimi die problematischste Figur der Serie. Verkörpert von Sunnyi Melles, gibt diese in fast allen Szenen dem Hang zum Schrillen nach. „Eine Mutter weiß am besten, was ihre Kinder wollen“ beschreibt sie einmal ihre Überzeugung – das gilt auch, wenn die Kinder längst erwachsen sind.

„Die Zweiflers“ feiert viele Erfolge. In der ARD Mediathek wurden die sechs Folgen der ersten Staffel bereits knapp drei Millionen Mal gestreamt. Beim Festival „Canneseries“ und auch beim Deutschen Fernsehpreis räumte die Miniserie ab: Aaron Altaras wurde als bester Schauspieler geehrt, Sunnyi Melles als beste Schauspielerin, die Produktion wurde als beste Dramaserie ausgezeichnet. Zuvor hatten sich „Die Zweiflers“ auch in der Kategorie „Beste Kamera Fiktion“ durchgesetzt. Zuletzt wurde eine zweite Staffel angekündigt. Das Startdatum wurde noch nicht bekanntgegeben.

  • Die Zweiflers 6 Episoden, 45–55 Min, bis 3.5.25; R: Anja Marquardt, Clara Zoë My-Linh von Arnim; D: Aaron Altaras, Leon Altaras, Saffron Coomber, Sunnyi Melles, Mike Burstyn, Ute Lemper, Martin Wuttke u.a., in der ARD-Mediathek

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