1920er-Serie

Die Macher von „Babylon Berlin“ im Interview: „Ein riesiger Eisberg droht“

Die dritte Staffel von Babylon Berlin ist so etwas wie eine Zwischenbilanz der 1920er-Jahre. Die Serienmacher Achim von Borries, Henk Handloegten und Tom Tykwer über Kintopp-Momente, politische Relevanz – und Alexander Dobrindt

Darstellerinnen Liv Lisa Fries (r.), Caro Cult: Jetzt kann es richtig losgehen. Foto: Frédéric Batier / X Filme Creative Pool / ARD Degeto / WDR / SKY / Beta Film 2019

Die zweite Staffel von „Babylon Berlin“ endete mit einem mehrfachen Knalleffekt. Zwei wichtige Figuren starben nach Explosionen: August Benda und Bruno Wolter, beide mit Polizeiarbeit befasst, der eine ein Verteidiger der Demokratie, der andere einer ihrer Zerstörer. Die Fernsehserie, die als Ausgangsmotiv die Kriminalromane von Volker Kutscher über das Berlin der späten 20er- und der frühen 30er-Jahre nahm, hatte von Beginn an die ganze Geschichte der Weimarer Republik im Sinn – also des ersten Versuchs, in Deutschland eine Demokratie zu etablieren. Der Polizist Gereon Rath ermittelt nicht nur in den Fällen, die ihm zugeteilt werden; er hat es bald auch mit den politischen Überlebensfragen zu tun. Denn rechtsnationale Kräfte tun alles, um den liberalen Staat zu zerstören.

Und liberal ist in der Weimarer Republik vor allem Berlin. Zumindest in bestimmten Milieus der Hauptstadt war in den 20er-Jahren alles möglich: von Freiheit bis Dekadenz.

„Babylon Berlin“: Staffel 2 endete mit Versprechen

Charlotte Ritter, anfangs nur zur Aushilfe im Polizeikommissariat, ist in „Babylon Berlin“ die Figur, die vorlebt, was es mit dieser Freiheit im positiven Sinn auf sich haben könnte. Ihre Beförderung zur Kriminalassistentin war einer der Schlusspunkte der zweiten Staffel. Er enthielt ein Versprechen auf mehr – weitere Karriereschritte, aber auch weitere Schritte in die dunkelsten Bereiche Berlins.Diese zweite Staffel endete vor zwei Jahren, oder vor einem, je nachdem, wie man zählt: nach der ersten Ausstrahlung im Bezahlfernsehen, oder nach dem Sendetermin im frei empfangbaren Fernsehen.

Die Macher der Serie haben inzwischen intensiv weitergearbeitet, es war ein „ziemlicher Ritt“, sagt Achim von Borries, neben Henk Handloegten und Tom Tykwer einer der drei Autoren und Regisseure. Und so startet Ende Januar schon die dritte Staffel, bei der man eigentlich mutmaßen durfte, dass es nun in die 30er-Jahre geht. Aber dem ist nicht so, so viel kann man verraten: „Babylon Berlin“ hat von den 20er-Jahren noch etwas zu erzählen. Die dritte Staffel bildet so etwas wie einen Abgesang auf dieses wilde Jahrzehnt, eine auf wenige Wochen verdichtete Zwischenbilanz. Der tip sprach aus Anlass des Starts der dritten Staffel mit den drei Serienmachern Achim von Borries, Henk Handloegten und Tom Tykwer.


tip Täusche ich mich, oder nimmt die Serie in der dritten Staffel noch einmal so ein bisschen einen neuen Anlauf? Nach dem Motto: Wir haben in den ersten beiden Staffeln alles einmal ausprobiert, jetzt können wir noch stärker in die Details gehen.

Achim von Borries Wir haben schon das Gefühl, wir müssen nicht mehr mit heiligem Ernst unsere Serie und die Welt erfinden. Wir waren da schon. Vielleicht ist Gelassenheit das richtige Wort …

Regisseur Achim von Borries mit Liv Lisa Fries und Volker Bruch: ein Versprechen auf mehr. Foto: Frédéric Batier / X Filme Creative Pool / ARD Degeto / WDR / SKY / Beta Film 2019

Tom Tykwer Ich weiß nicht. Das Schreiben war ein Ringen. Es gibt diese widersprüchlichen Energien. Im Etablieren verbirgt sich eine filmische Form, das ist sehr schön, weil man etwas zur Welt bringt, und weil man sich da noch ein bisschen verstecken kann vor der Notwendigkeit, in medias res zu gehen. Bisher haben wir ja radikal verlangsamt, auch im Verhältnis zu den Romanen von Volker Kutscher. Wir sind ja immer noch nicht einmal in den 30er-Jahren angekommen.

tip Das ist ja die Grundspannung bei einer historischen Serie: Sie muss vorankommen, interessiert sich aber auch für Einzelheiten, will sich also Zeit nehmen.

Tom Tykwer Die Figuren sind inzwischen aber relativ weit vorangetrieben, und wir müssen jetzt Schritte weitergehen. Wir können uns nicht mehr ausruhen auf Geheimnissen, die wir etabliert haben. Wir müssen die auch durchdringen. An vielen Stellen mussten wir diesen Schritt jetzt machen. Das Bewusstsein, dass es sein muss, dass es weitergehen muss, dass das Ornament nicht mehr funktionieren wird, das steckt jetzt in dieser Staffel drin.

Tykwer: Wir können uns nicht ausruhen auf etablierten Geheimnissen

Henk Handloegten Nach dieser Staffel werden wir einen Riesenschritt machen – von sechs Wochen! Der sehr allmähliche Fortschritt hat schon hauptsächlich mit den Figuren zu tun. Die brauchen eben Zeit. Manchmal sind wir in der dritten Staffel aber doch sehr in den Plot gegangen. Der Mord in der Filmwelt bringt so allerlei Kintopp-Momente. Das ist schon auch eine große Liebe von uns. Wenn man die Figuren schon so gut kennt, fangen wir nun an, die Früchte zu ernten. Es reicht eine kleine Andeutung, und man sieht eine ganz andere Facette.

Achim von Borries Wir kommen auch mit schon bekannten Figuren an neuen Orte, zum Beispiel die Presse im Ullsteinhaus.

tip Wie behalten Sie beim Schreiben eigentlich den Überblick?

Tom Tykwer Wir arbeiten relativ altmodisch mit Karteikarten auf einer großen Wand und einer Ablagewand. Die Erzählstränge haben unterschiedliche Farben. Wir verbringen einen nicht unbeträchtlichen Teil unserer gemeinsamen Zeit mit Starren auf diese Wand. Irgendwann ist sie ganz voll, und dann beginnt ein unendlicher Vorgang von Rochaden und Wechselspielen. Man kommt rein, schaut auf die Wand, und schon entsteht was.

tip Sie haben dabei vermutlich auch schon im Kopf, wo das alles in sechs Jahren sein könnte? Historisch wissen wir es ja, aber bei den Figuren gibt es da viele Möglichkeiten.

Henk Handloegten Das Interessante ist, dass wir das nicht machen: vorausplanen. Wir versuchen, das selbst auch wie so ein Leben zu leben, da weiß man auch nicht, was kommt. Sonst ist es nur ein Ausmalen. Diese Offenheit ist anstrengend, weil wir oft sehr viel umschreiben, das macht aber auch glücklich. Von einem Neurobiologen habe ich einmal eine tolle Definition von Glück gehört: Glück ist alles, was besser ist als erwartet. Das ist das Credo, mit dem wir Szenen schreiben.

„Interessant wird es oft erst nach dem dramaturgischen Höhepunkt“

Achim von Borries Alle drei haben wir ein komplett anderes Ende im Kopf. Wir sind so unterschiedlich, wenn ich jetzt schon wüsste, wie alles ausgeht, wäre das lähmend. Wir wollten immer ein Panorama. Ich bin begeisterter Fan von „Das Echolot“, diesem Roman von Walter Kemposwki, der aus Zeugnissen sehr vieler Menschen besteht. Es können gar nicht genug Stimmen zu Wort kommen. Das Tolle an Serien ist, dass alles – wie im Leben – nicht ausschließlich dramaturgischen Narrativen folgt. Menschen können sich verändern, interessant wird es oft erst nach dem dramatischen Höhepunkt. Wie oft haben wir zum Beispiel Don Draper in „Mad Men“ verflucht, aber in seinen Schwächen ist er uns so vertraut und wir sind ihm gefolgt, von Staffel zu Staffel.

Gereon-Rath-Darsteller Volker Bruch (l.), Regisseur Henk Handloegten (M.): Glück ist alles, was besser ist als erwartet. Foto: Frédéric Batier / X Filme Creative Pool / ARD Degeto / WDR / SKY / Beta Film 2019

tip Es ist nur ein Detail, trägt aber viel zur Wirkung der Serie bei: der Vorspann. Was steckt da alles drin?

Achim von Borries Die Stadt ist unsere Petrischale. Saskia Marka hat daraus diese runde Mitte gemacht, ein Logo, dazu ein Kaleidoskop.

Henk Handloegten Eine Idee dabei war auch Hypnose. Wie finden wir ein Bild für diese Zeit und diese Stadt? Die Energie kommt von außen, fließt immer schneller nach innen, und irgendwann ist es zu viel.

tip Die Romane von Volker Kutscher, denen Sie teilweise folgen, sind inzwischen bereits im Jahr 1935 angelangt. Wollen Sie da Schritt halten?

Henk Handloegten Wir haben nun einige Figuren dahin gebracht, wo wir sie am Anfang von dem Roman „Goldstein“ brauchen, weil der uns relativ viel gibt für die nächste Staffel. Wobei noch unklar ist, wieviel wir davon mitnehmen. Es gibt wichtige Welten oder Milieus der Stadt, wo wir noch nicht waren: das osteuropäische Judentum im Scheunenviertel, aber auch die obdachlosen Jugendlichen. Irgendwie müssen wir ein bisschen von dem zeitlichen Druck rausnehmen.

Achim von Borries Wir sind die Serie der Filmemacher, das heißt: Wir schreiben selbst und drehen dann auch. Dass wir das jetzt in zwei Jahren geschafft haben, war ein ziemlicher Ritt, den wir so nicht wiederholen können.

Henk Handloegten Es gibt eine ganz einfache Sache: die Schauspieler altern. Das geht ziemlich schnell. Ein paar ändern sich gar nicht, ein paar sind plötzlich fast schon in einem anderen Spielalter. Bei den Jugendlichen ist es ja klar, da haben wir uns entschieden, das einfach vorerst einmal auszuhalten, auch wenn es ein bisschen merkwürdig aussieht manchmal.

tip Die Serie stieß international auf großes Interesse. Wird sie in anderen Ländern anders gesehen als in Deutschland?

Henk Handloegten Die politische Relevanz wird im Ausland sehr stark wahrgenommen, viel mehr als in Deutschland, weil es uns hier noch relativ gut geht mit den demokratischen Werten.

Babylon Berlin: Eine Reise, an deren Ende „ein riesiger Eisberg droht“

Achim von Borries Überall werden Dinge zurückgedreht, und zwar ganz gewaltig. Wir haben eine Szene in der dritten Staffel, in der Charlotte und Toni über die Zukunft reden. Das ist eine zutiefst selbstermächtigende Szene. „Wir werden Chefs“, nehmen sie sich vor, eine zutiefst positiv gedachte Szene. Ein italienischer Journalist hat diese Szene als erschreckend empfunden, denn man wisse ja, wie die Zukunft lief. Unsere Helden haben eine Reise angetreten, an deren Ende der Reise ein riesiger Eisberg droht, an dem sie zerschellen werden.

Henk Handloegten In Deutschland hören wir manchmal so Fragen wie: Mensch, wo ist denn der Glamour hin? International spielt dieser Aspekt keine Rolle. Die Briten schätzen gerade auch den sozialen Realismus, das Elend. Das Panoramatische wird in Deutschland weniger wahr genommen als im Ausland. Dort reden sie nur von der Relevanz. Die scheint in Deutschland nicht so augenscheinlich zu sein. Dabei war die SPD 1929 in einer großen Koalition, und es gab bedeutende Kräfte, die alles versucht haben, sie da rauszudrängen. Da denkt man sich manchmal als Autor: Das gibt’s doch gar nicht. Und dann spricht ein Politiker wie Dobrindt vor ein paar Jahren von einer konservativen Revolution, und man fragt sich, was schlimmer ist: Wenn er weiß, wovon er spricht, oder wenn er keine Ahnung hat?

tip Der historische Moment ist für die Serie also ideal, aber auf eine Weise, die Sorgen machen müsste?

Henk Handloegten Ende der 90er-Jahre wäre „Babylon Berlin“ nicht relevant gewesen.


Wir haben schon geschaut: So gut ist die dritte Staffel von Babylon Berlin. Mehr daüber, wie Berlin in den 1920er Jahren aussah, erfahrt ihr hier. Und an diesen Orten sind die 1920er immer noch sehr lebendig. Babylon Berlin ist nicht die einzige Berlin-Serie: Wie „4 Blocks“, „Dogs of Berlin“ und „Beat“ die Stadt erzählen.

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