Berliner Schriftstellerin

Netflix-Serie „Unorthodox“: Ein Gespräch mit Deborah Feldman

Deborah Feldman reflektiert in ihrem dritten Buch „Überbitten“ ihre Flucht aus einer jüdisch-orthodoxen Familie in New York. Ein Gespräch über Verlage, ihren Weg nach Berlin und Kreuzberger Parallelgesellschaften

Deborah Feldman
Deborah Feldman. Foto: Mathias Bothor

tip Frau Feldman, nun ist Ihr drittes Buch erschienen, das die vergangenen sieben Jahre seit Ihrer „Flucht“ aus einer orthodoxen jüdischen Gemeinde der Satmarer in Williamsburg reflektiert. Wieso aber wurde das zweite, „Exodus“, nichts ins Deutsche übersetzt?

Deborah Feldman Gleich nach der Veröffentlichung von „Unorthodox“ habe ich von einem großen Verlag die Zusage für einen zweiten Buchtitel bekommen. Ich war so frisch im Business, dass ich gar nicht verstanden habe, wie die Industrie funktioniert. Der Verlag wollte kontrollieren, was und wie ich schreibe. Ich habe gemerkt, dass dadurch meine literarische Freiheit verloren geht. Diesen marketingorientierten, kommerziellen Umgang empfand ich als furchtbar. Erst als ich nach Berlin kam und nach einiger Zeit im Filmgeschäft den kleinen Secession Verlag kennenlernte, der mir meine Freiheit zurückgab, habe ich wieder zur Literatur zurückgefunden.

tip Während Ihr erstes Buch wie ein Befreiungsschlag wirkt, scheint der neue Titel eine Versöhnung Ihrer beiden Identitäten als jüdisch-orthodoxe und als freie Frau einzuleiten.

Deborah Feldman In „Unorthodox“ schreibe ich, dass ich das Gefühl habe, ich müsste eine Identität in mir umbringen. Das hat aber überhaupt nicht funktioniert. Mit der Zeit habe ich angefangen, alles wieder hervorzuholen. Heute kann meine orthodoxe Vergangenheit ein Teil von mir sein. Sie darf eine Rolle spielen, aber nicht dominant werden. Diese letzten sieben Jahre waren meine Übergangsphase. Heute habe ich das Gefühl, wirklich angekommen zu sein. Die Vergangenheit wird jedoch immer in mir leben.

tip Seit vielen Jahren ist Berlin Ihre neue Heimat. Was hat Sie in die Stadt geführt?

Deborah Feldman Der Rückflug von meiner ersten Europareise sollte von Berlin aus gehen. Daher kam ich nach Wochen des Reisens in die Stadt, die ich zunächst nur beobachtet habe. Denn damals hatte ich sehr viele Vorurteile. Durch meine Arbeit und Freunde kam ich kurze Zeit später erneut nach Berlin, da wirkte die Stadt ganz anders auf mich: Ich war plötzlich von vielen kreativen Menschen umgeben, die ich als sehr fortschrittlich, offen und radikal empfand. Menschen, die sehr revolutionär sind im Vergleich zu Amerikanern. In Berlin geht es nicht um Statussymbolik, sondern um Praktikabilität. Hier kann ich mit dem Wertesystem klarkommen.

tip Wie erleben Sie die Gentrifizierung?

Deborah Feldman Nehmen wir meine Kreuzberger Wohnung als Beispiel. Ich habe sehr gute Vermieter, die keine horrenden Summen verlangen. Ich könnte mir durchaus eine größere Wohnung leisten, doch ich sehe es nicht ein, die Preisschraube weiterzudrehen. Für die internationalen Gäste mag Berlin noch günstig erscheinen, ich will mich jedoch nicht am Ausverkauf beteiligen.

tip In Kreuzberg leben viele Migranten und Postmigranten. Gerade in muslimischen Gemeinschaften offenbaren sich Parallelgesellschaften, die an Verhaltensweisen der Satmarer erinnern. Stört sie das nicht?

Deborah Feldman Ich empfinde es als furchtbar. Ich erkenne mich in den verschleierten Frauen Kreuzbergs wieder. Ich kann ihre Gesichtsausdrücke lesen und habe das Gefühl, dass ich sie wirklich verstehe. Ein Bekannter aus dem Bezirk, der sich für die Rechte muslimischer Frauen einsetzt, hat mein Buch gelesen und mir gesagt, dass es eine Geschichte aus Kreuzberg wäre, wenn man das Wort „jüdisch“ mit „muslimisch“ austauschen würde. Das hat mir gezeigt: Fundamentalismus ist überall gleich. Auch politisch finde ich das schlimm, allen voran von Seiten der Linken. Die fühlen sich unglaublich wohl mit ihrer vermeintlichen Toleranz-Attitüde, die aber in Wahrheit die leichte Route ist. Klar ist, ich muss es hinnehmen. Auch wenn ich es mir anders wünschte.

tip Können Sie sich vorstellen, Ihren Lebensmittelpunkt noch einmal zu verlegen?

Deborah Feldman Ich kann mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben. Nur an die Unfreundlichkeit im Winter kann ich mich bis heute nicht gewöhnen.


Überbitten von Deborah Feldman, Aus dem Amerikanischen von Christian Ruzicska, Secession Verlag, 704 S., 28 €

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