In der neuen Coming-of-Age-Serie „Schwarze Früchte“ tauchen wir in das chaotische Leben von Lalo ein, einem Mittzwanziger, der sich inmitten einer tiefen Lebenskrise befindet. Die Serie, die beim Tribeca Film Festival in New York Premiere feierte, bricht mit Stereotypen und zeigt überwiegend Schwarze, queere Figuren. Jetzt ist „Schwarze Früchte“ in der ARD-Mediathek verfügbar. Im Interview mit Creator Lamin Leroy Gibba sprachen wir über seine Vision für die Serie und die bedeutende Perspektive, die er und sein Team ins deutsche Fernsehen bringen.
„Schwarze Früchte“: Neue Perspektiven im deutschen Fernsehen
Es ist schwer mitanzusehen, wie sich jemand um Kopf und Kragen redet. In „Schwarze Früchte“ manövriert sich Protagonist Lalo mit jedem Wort tiefer in den Schlamassel, bis man ihm am liebsten den Mund zuhalten würde – und genau das macht die Serie aufregend. So aufregend, dass sie im Juni bereits beim Tribeca Film Festival in New York Premiere feierte.
Lamin Leroy Gibba wollte Schwarze, queere Figuren zeigen, die „richtig messy“ sein dürfen. Mit Lalo, gespielt von Gibba selbst, gelingt ihm das bestens: Lalo hat sein Studium abgebrochen, seine Beziehung steht vor dem Aus und sein Vater ist gerade gestorben. Frisch getrennt kommt er bei seiner besten Freundin Karla (Melodie Simina) unter, die jedoch mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen hat: Als Karrierefrau auf der Überholspur plagt sie der Verdacht, dass sie von ihrem unangenehmen Chef als Aushängeschild für Diversity missbraucht wird. Dann ist da noch Karlas jüngere Schwester, die vor der Entscheidung steht, eine Abtreibung vorzunehmen, und als beim Klassentreffen eine alte Freundin wieder in Lalos und Karlas Leben tritt, wird alles noch turbulenter.
Schwarz und queer vor und hinter der Kamera
Die Serie erlaubt den Figuren, Fehler zu machen, ohne sie zu verurteilen, und lässt Raum für Interpretation. Diese Ambivalenz macht sie interessant, ohne in Stereotype zu verfallen. Dass die Serie, koproduziert von Jünglinge Film und Studio Zentral im Auftrag der ARD Degeto, all das tut, während sie überwiegend Schwarze, queere Figuren zeigt, stellt eine Seltenheit im deutschen Fernsehen dar. Was macht die Produktion so außergewöhnlich? Kurz vor der Deutschlandpremiere von „Schwarze Früchte“ trafen wir Gibba zum Gespräch.
„Ich war skeptisch, ob es in Deutschland interessante Rollen für mich geben würde“
tipBerlin Du bist Creator, Headautor und Hauptdarsteller bei „Schwarze Früchte“. Was hat dich dazu inspiriert, die Serie zu entwickeln?
Lamin Leroy Gibba Die Serie entstand aus einer Idee für die Figuren und eine bestimmte Tonalität, die mir vorschwebte. Lalo und Karla (Melodie Simina) waren zwei Charaktere, deren Dynamik sofort klar war, und daraus entwickelte sich alles Weitere. Ich hatte ein ganzes Jahr Zeit, alleine daran zu arbeiten. Kurz nach meinem Schauspiel- und Filmstudium hatte ich Lust, eine Rolle in genau so einer Serie zu spielen, aber gleichzeitig wollte ich auch weiter schreiben und eigene Projekte entwickeln. Nach einigen Pitch-Sessions bei Produktionsfirmen traf ich dann zufällig das Team von Jünglinge Film und erzählte ihnen von meiner Idee. Wir haben sofort gemerkt, dass wir auf einer Wellenlänge sind. Das war kurz bevor „Futur Drei“ bei der Berlinale Premiere feierte. Besonders Bennys (Benjamin Radjaipour, Anm. d. Red.) Performance hat mich als Schauspieler extrem beeindruckt und ich konnte mich total damit identifizieren. Als sie dann vorschlugen, zusammenzuarbeiten, habe ich mich natürlich total gefreut.
tipBerlin Das heißt, du hast die Rolle von Anfang an mit der Idee im Kopf geschrieben, dass du sie selbst spielen willst – und dir so quasi selbst die Serie geschrieben, die du als Schauspieler vermisst hast?
Lamin Leroy Gibba Genau. Ich habe in Amerika studiert, wo es theoretisch mehr Möglichkeiten für Schwarze Schauspieler:innen gibt, aber auch dort war ich skeptisch, ob ich wirklich interessante Rollen finden würde – solche werden immer noch viel zu selten geschrieben. In Deutschland erst recht. Also bin ich mit dem Ziel hierher gekommen, Projekte zu entwickeln, die Schwarze Perspektiven ins Zentrum rücken. Eine Zeit lang habe ich gehofft, dass mir jemand solche Chancen bieten würde, aber mir wurde klar: Das wird niemand für mich machen, ich muss es selbst in die Hand nehmen. Natürlich ist es viel Arbeit, aber es ist auch ein Geschenk, alles von Grund auf selbst gestalten zu können.
Ein Vertrauensvorschuss für neue Talente
tipBerlin Vom Writers‘ Room bis zum Produktionsteam waren hauptsächlich Schwarze und queere Personen an der Entstehung der Serie beteiligt.
Lamin Leroy Gibba Ja, das war wirklich unglaublich wichtig für mich. Am Anfang war die Vorstellung, wie die Serie aussehen und sich anfühlen könnte, schon ziemlich klar. Aber gleichzeitig war es irgendwie auch verrückt, weil ich zu Beginn überhaupt keinen Zugang zur Branche hatte, keine Connections, nichts. Es war also schon ein bisschen surreal, als klar wurde, dass die Serie wirklich umgesetzt wird. Und wie sie jetzt letztlich geworden ist – das hat all meine Erwartungen übertroffen. Elisha Smith-Leverock und David Uzochukwu, die Regie gemacht haben, sowie das gesamte Team im Writers‘ Room, bei der Kamera, im Kostüm und in der Maske – sie haben alle so fantastische Arbeit geleistet.
Von Anfang an war uns klar, dass die Perspektiven, die wir erzählen wollen, auch hinter der Kamera vertreten sein müssen. Das war auch für die Produzent:innen von Jünglinge Film, Studio Zentral und der ARD Degeto essenziell. Natürlich bedeutete das manchmal, dass einige Leute vielleicht noch nicht die typische Branchenerfahrung vorweisen konnten. Aber es gab diesen Vertrauensvorschuss – auch mir gegenüber. Das Team hat gesehen: Da ist Energie, da ist Leidenschaft, und die Projekte, die wir vorher mit limitierten Ressourcen gemacht haben, haben überzeugt. Und dieses Vertrauen hat sich voll ausgezahlt. Jeder hat einen großartigen Job gemacht, und ich bin wirklich stolz darauf, was wir gemeinsam geschaffen haben.
tipBerlin Warum war es dir wichtig, dass „Schwarze Früchte“ in der ARD-Mediathek zu sehen ist und nicht etwa bei einem großen US-Streaminganbieter?
Lamin Leroy Gibba Ich finde, das hat zwei Seiten. Einerseits ist es symbolisch einfach stark, dass die Serie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland ihren Platz hat. „Schwarze Früchte“ positioniert sich damit im Mainstream, direkt im Ersten Deutschen Fernsehen – das finde ich ziemlich cool und wichtig. Auf der anderen Seite ist es auch super, dass die Serie ohne Paywall zugänglich ist. Jede Person kann sie sich einfach online ansehen, ohne dafür bezahlen zu müssen, und das ist für mich ein großer Pluspunkt. Und es war echt eine tolle Erfahrung, dieses Projekt mit der ARD-Mediathek zu realisieren. Sie sind wirklich darauf aus, neue Zuschauergruppen zu erreichen und andere Geschichten zu erzählen als bisher. Wir hatten auch kreativ völligen Freiraum, was bei so einem Projekt natürlich großartig ist.
Schwarze, queere Figuren, die sehr „messy“ sein dürfen
tipBerlin Welche Leerstellen füllt die Serie im deutschen Kontext, im Vergleich zu US- oder internationalen Produktionen?
Lamin Leroy Gibba Ich glaube, als Erstes würde ich tatsächlich die Tonalität erwähnen. Die Art, wie die Figuren sprechen, wie sie strukturiert sind und auch der Look, den David, Elisha, Claudia und Malcolm (Kameraleute Claudia Schröder und Malcolm Saidou, Anm. d. Red.) geschaffen haben – das ist wirklich besonders. Alles ist sehr durchdacht, von der Farbgestaltung bis hin zur Art, wie lange eine Einstellung gehalten wird. Stilistisch bietet die Serie also etwas Neues. Und natürlich auch in ihren Perspektiven: Es gibt zwar auch andere Serien, in denen Schwarze Figuren im Mittelpunkt stehen, aber hier haben wir es hauptsächlich mit Schwarzen, queeren Figuren zu tun, die sehr „messy“ sind. Ich glaube, das wird bei vielen Zuschauer:innen unterschiedliche Reaktionen hervorrufen, je nach eigenen Werten und Erfahrungen. Und darauf freue ich mich besonders – dass die Figuren etwas bei den Zuschauer:innen auslösen, sie sich dadurch mit sich selbst und miteinander auseinandersetzen und sich über die Serie austauschen und diskutieren.
tipBerlin Das finde ich besonders spannend, gerade bei deiner Figur, weil sie so ambivalent ist. Einerseits ist Lalo ein Sympathieträger, andererseits bringt er sich ständig in Schwierigkeiten, redet sich um Kopf und Kragen, und man denkt sich oft: „Was zur Hölle machst du da?“
Lamin Leroy Gibba Ja, total. Das war auch von Anfang an mein Ziel. Ich liebe dieses Genre der Cringe Comedy, vor allem wenn sie sich mit anderen Genres mischt. Diese Art von Comedy, bei der man manchmal das Bedürfnis hat, kurz auf Pause zu drücken, weil es so unangenehm wird. Das schafft Spannung und macht es auch interessant, zu sehen, wie weit man mit einer Figur gehen kann, bevor das Publikum das Interesse verliert oder die Sympathie kippt.
Film und Serie bieten die Chance, in die Perspektiven von Figuren einzutauchen, die man im echten Leben vielleicht nicht sofort verstehen würde. Für mich ist es immer wichtig, dass die Figuren in ihrer Welt nachvollziehbar handeln, auch wenn sie Fehler machen oder unangenehm sind.
Lamin Leroy Gibba
Cringe-Comedy: Auf Pause drücken, weil es so unangenehm wird
tipBerlin In einer Szene musste ich wirklich kurz pausieren, weil ich den Cringe kaum ausgehalten habe.
Lamin Leroy Gibba Super, sehr gut! Dann hat es funktioniert. Cringe Comedy ist super spannend, weil es das Publikum herausfordert, aktiv zu sein. Man fragt sich, warum man sich in bestimmten Momenten unwohl fühlt und was das mit einem selbst macht. Diese Dynamik liebe ich, auch als Zuschauer. Bei der Figur Lalo war mir besonders wichtig, zu sehen, wie weit man mit einer Figur gehen kann, bevor das Publikum die Sympathie verliert – und gleichzeitig aber neugierig bleibt. Es macht Spaß, Lalo in diese ambivalenten Situationen zu bringen, in denen er sich selbst nicht richtig versteht oder seine Gefühle nicht benennen kann. Das Publikum soll sich an ihm reiben, ihn manchmal nervig oder sogar unsympathisch finden, aber trotzdem auch Momente haben, in denen sie ihn verstehen. Diese Ambivalenz macht Lalo spannend, weil man nicht genau weiß, wo er steht, und dadurch eine Spannung entsteht, die das Publikum beschäftigt.
Das Spiel mit dieser Ambivalenz ist ein Mittel, um Empathie zu schaffen – auch wenn man die Figur nicht immer mag. Film und Serie bieten die Chance, in die Perspektiven von Figuren einzutauchen, die man im echten Leben vielleicht nicht sofort verstehen würde. Für mich ist es immer wichtig, dass die Figuren in ihrer Welt nachvollziehbar handeln, auch wenn sie Fehler machen oder unangenehm sind. Man kann sie verurteilen, aber wir, die Erzähler, müssen immer hinter ihnen stehen. Nur so kann das Publikum seine eigene Haltung zu den Figuren entwickeln und das macht die Reaktionen am Ende umso spannender.
„Die Serie ist im deutschen Kontext einzigartig“
tipBerlin Im Juni durftet ihr die Serie bereits beim Tribeca Filmfestival in New York präsentieren. Warst du vor der Weltpremiere dort aufgeregter oder jetzt, kurz vor der Veröffentlichung in Deutschland?
Lamin Leroy Gibba Jetzt! Vor der Premiere in New York war ich schon ziemlich aufgeregt, weil viele aus dem Team die Serie das erste Mal gesehen haben. Sie haben so viel Arbeit und Leidenschaft in das Projekt gesteckt, ich wollte, dass sie es mögen. Aber jetzt wird es besonders spannend, weil die Serie im deutschen Kontext einzigartig ist und die Personen, für die sie gemacht wurde, sie sehen können. Ich bin extrem gespannt, wie die Serie aufgenommen wird und wie das Publikum die vielen Details interpretiert, die wir eingebaut haben. Besonders freue ich mich auf den Austausch mit dem Publikum, weil jetzt der Moment kommt, wo ich loslassen muss. Es liegt nicht mehr an mir, die Figuren zu erklären, sondern das Publikum wird sie auf ihre eigene Art interpretieren – und das war immer das Ziel.
Es ist wichtig zu betonen, dass diese Serie natürlich nicht die einzige Schwarze und queere Perspektive darstellt, sondern nur eine Geschichte von vielen möglichen ist.
Lamin Leroy Gibba
tipBerlin Du hast jetzt insgesamt fünf Jahre an „Schwarze Früchte“ gearbeitet. Was wünschst du dir für die Zukunft?
Lamin Leroy Gibba Ich freue mich auf mehr Filme und Serien von und mit Schwarzen und queeren Menschen. Es ist wichtig zu betonen, dass diese Serie natürlich nicht die einzige Schwarze und queere Perspektive darstellt, sondern nur eine Geschichte von vielen möglichen ist. Es braucht allgemein mehr Projekte, die bisher wenig sichtbare Perspektiven ins Zentrum stellen und dass Filmschaffende mit diesen Perspektiven auch maßgeblich die Entscheidungen hinter der Kamera treffen können. Um das zu erreichen, sind strukturelle Veränderungen notwendig. Besonders in Bezug auf Filmförderungen und andere Film Institutionen gibt es dazu konkrete Forderungen von Aktivist:innen, mit denen das deutschsprachige Fernsehen und Kino nachhaltig und langfristig zu Orten werden können, in denen unsere Gesellschaft in ihrer tatsächlichen Vielfalt repräsentiert wird.
- Schwarze Früchte von und mit Lamin Leroy Gibba, 8 Folgen à 25-35 Minuten, ab 18.10. in der ARD-Mediathek
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